Teile diesen Beitrag "Wie man Frieden schließt mit sich und seinem Leben"
Mal schreit es, mal flüstert es, mal beißt es, mal rüttelt es. In so vielen von uns, in dieser gnadenlosen Zeit, in der wir angeblich alles schaffen, alles sein, alles leisten müssen … das Gefühl: Ich bin ein Versager, ein verdammter Versager.
„Ich schaff’s einfach nicht, dass meine Leidenschaft zum Riesenbusiness angewuchert oder mein Seelenlos-Job wenigstens sechsstellig bezahlt ist, meine Beziehung ein Märchen und meine Kinder Musterschüler sind, mein Körper Fitness- und meine Haarfrisur Pudelpreise gewinnen. Ich schaff’s einfach nicht. Ich hab’s einfach nicht drauf.“
Was tun wir, wenn wir uns so fühlen?
Eine Methode, die immer versagt
Meist versuchen wir es einfach noch länger, noch härter mit Leistung. Wollen unbe-unbe-unbedingt erfolgreich werden und so das quälende Gefühl aus der Seele schaben wie der Hautarzt die Warze vom Ellenbogen.
Dabei gibt’s zwei Probleme:
- Problem 1: Wie sollen wir mit dem nötigen Selbstbewusstsein an eine Sache rangehen, wenn wir eben nicht selbstbewusst sind, sondern uns als zu ewigem Scheitern verurteilte Versager fühlen? Wenn uns jede Beziehung missglückt ist, wir einsam und bedürftig sind, wie sollen wir dann beim nächsten Mal nicht erneut alles in den Sand setze? Indem wir schon wieder beim ersten Date einen Heiratsantrag machen, und die Antwort wie jedes Mal „nein!“ ist und wir nachhause schlurfen und in den großen Becher Schokoeis weinen, den wir in uns hineinstopfen? Wenn scheinbar jedes Gold, das wir anfassen, zu Scheiße wird, uns jede Geschäftsidee und jeder Job nur noch weiter an den Abgrund führen?
- Problem 2: Es gibt keine klare Beziehung zwischen Erfolg und Selbstbewusstsein. Viele im Außen erfolgreiche Menschen fühlen sich trotzdem als Versager. Sie tragen die Selbstzweifel und das Gefühl von Minderwertigkeit in sich, egal, wohin sie gehen (mein Studium zum Beispiel lief richtig gut, hinterher fühlte ich mich trotzdem kein bisschen wohler mit mir uns meinem Leben). Superstars, die scheinbar alles haben – vor allem genug vom Leben, und mehr als genug Heroin im Blut, Überdosis im Hotelzimmer. Superschicke Superreiche, die sich in ihren Ferrari setzen, von null auf 100 auf 200 auf Prall auf Tod, weil sie sich selbst nicht mehr ausgehalten haben.
Dem ersten Problem begegnen wir gern, indem wir uns eintrichtern wollen, wir seien schon erfolgreich. Affirmationen, Visualisieren, das Gesetz der Anziehung sollen es richten … „Ich bin ein wunderschöner Schwan“, „Ich habe meine Traumfrau gefunden“ oder: „Ich habe tausend Freunde und auch sonst alles, was ich mir wünsche, alles, was ich mir wünsche (schnief), alles, was ich mir wünsche (buhuu).“ Leider führt das nirgendwohin. Es macht uns höchstens noch unzufriedener. Selbst zum Wünsche-Bestellen beim Universum sind wir anscheinend zu blöd!
Beim zweiten Problem neigen wir zur Methode „mehr vom Selben“. Der nächste Job, die nächste Gehaltserhöhung oder Brust-OP, die nächste Beziehung soll heilen, wo’s all die letzten Versuche doch auch nicht gebracht haben. Das Hamsterrad dreht sich immer schneller auf der Stelle.
Frieden schließen mit dem, was man nicht hat
Aber was können wir stattdessen tun?
Den Glauben aufgeben, mit mehr Erfolg würden wir uns nicht mehr als Versager fühlen. Sämtliche Versuche und Kämpfe in diese Richtung einstellen, Stück für Stück. Denn das Gefühl, ein Versager zu sein, hat nichts mit der Realität zu tun, nichts mit einem Versagen an sich. Also können wir es auch nicht mit realer Leistung überwinden – Erfolg ist kein wirksames Gegenmittel.
Selbstwertgefühl bedeutet, sich und das eigene Leben nicht als mangelhaft zu empfinden. Das jedoch hat viel mehr mit unseren Geschichten im Kopf und Gefühlen im Herz zu tun als mit den Umständen. Deswegen bleibt das Minderwertigkeitsempfinden selbst dann so standhaft, wenn äußerer Erfolg eintritt.
Lernen wir jedoch, uns auch ohne das, was wir uns vielleicht wünschen würden, gut zu fühlen (oder wenigstens okay), schwindet der empfundene Mangel.
Was bleibt uns auch anderes übrig, wenn äußerer Erfolg das empfundene Versagen nicht heilen wird?
Beginnen wir, uns im Außen weniger abzustrampeln und uns dem eigenen Inneren und unseren Gefühlen zuzuwenden, sie wahrzunehmen und zu erlauben:
Ja, wir sind traurig, obwohl wir vermutlich lieber permanent in Happiness baden würden.
Ja, wir haben keinen Partner, da ist Einsamkeit in uns.
Ja, andere haben die besseren Jobs, mehr Freunde, mehr Geld.
Das mag am Anfang schmerzhaft sein, doch der Schmerz vergeht. Die eigene Zuwendung allein heilt schon. Mehr als jede Zuwendung eines anderen und mehr als jedes Antreiben und jeder Druck, etwas an uns und unserem Leben verändern zu müssen.
Damit geben wir uns selbst, was uns wir doch eigentlich und am dringendsten brauchen: Liebe.
Wir schließen auf diese Weise nach und nach Frieden mit dem, was ist und mit dem, der wir sind: keine Versager, sondern wertvolle Menschen, die eben tun, was sie können.
Mehr dazu im myMONK-Buch für mehr echtes, tiefes Selbstwertgefühl. Und mehr dazu auch myMONK-Podcast mit der Folge „Wie man aufhören kann, sich mit anderen zu vergleichen:
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Alles zum Podcast und zu den Folgen findest Du hier.
Photo: Luciano Vigon Photography
Lieber Tim,
vielen Dank für einen weiteren tollen Beitrag! Du scheinst immer genau die Themen aufzugreifen, die mich gerade am meisten beschäftigen.
Ich bin gerade mitten in einer beruflichen Umbruchphase, in der ich mich zwischen einer weiteren Festanstellung oder der Selbstständigkeit als Grafikdesigner entscheiden muss. Und da kommt mir mein mangelndes Selbstwertgefühl wieder in die Quere. Du hast Recht, obwohl ich sehr gute Rückmeldungen von Kunden für meine Arbeit bekomme, hält dieses Erfolgsgefühl immer nur kurz an. Wie eine Droge, die einem Selbstbewusstsein vorgaukelt. Und nach dem Trip landet man jedes Mal wieder ganz unten. Man verliert so völlig das Gespür für die Dinge, die einen tatsächlich ausmachen.
Ich werde mir deine Tipps zu Herzen nehmen und hoffe, dass ich meine berufliche Zukunft frei von unbegründeten Zweifeln treffen kann.
Also herzlichen Dank für diesen wirklich spannenden und augenöffnenden Artikel!
Liebe Grüße
Susi
Hallo Tim,
dieser Beitrag ist wohl aktueller denn je 🙂
Ich stehe komplett hinter dir. Ich denke auch, dass die Annahme der Situation schon wirklich viel bringen kann. Annehmen heißt für mich dabei nicht, das auch alles toll zu finden, sondern es eben einfach nur anzunehmen. Der Realität ins Auge zu sehen. Sie einfach nur bewusst und wertfrei wahrzunehmen.
Der 2. Schritt ist dann wohl die Selbstliebe.
Lieben, was und wer man ist. Sich nicht zu verurteilen und keinen falschen Idealen hinterher zu laufen.
Einfach zu schauen, was sind meine inneren Treiber. Was möchte ich tun und lassen. Was sind meine Bedürfnisse und wie kann ICH sie MIR erfüllen, ohne dazu Hilfe von Außen zu benötigen.
Diese Schritte sind erst einmal ein Angehen aber sie helfen aus meiner Erfahrung ungemein.
Einen schönen Wochenstart wünscht
Dirk
Hallo Tim,
wieder ein sehr interessanter und inspirierender Beitrag!
Ich denke, was diese Gedanken an das Versagertum noch weiter nährt, ist, dass wir aktuell in einer Zeit leben, in der man sich ständig mit einer verzerrten Realität auf Social Media (Facebook, etc.) und Co. vergleichen kann.
Das ist aber die falsche Messlatte. Denn dort publiziert keiner (ich kenne solche Leute zumindest nicht ;-), was der- oder diejenige für ein „beschissenes“ Frühstück heute oder was für einen blöden Arbeitstag er gerade hinter sich hatte.
Man findet doch meist Posts, von Leuten, die sich in einem optimalen Licht darstellen möchten…Und so scheint es, als wäre jeder in einer Top-Beziehung, monatlich siebenstellig unterwegs und mit Sixpacks geboren worden ;-).
Eine gute Woche!
Tobias
P.S. Mir fällt da in dem Zusammenhang noch dieses Buch ein, was sich um genau das Thema dreht: „The Subtle Art of Not Giving a F*ck: A Counterintuitive Approach to Living a Good Life“ von Mark Manson
Lieber Tim,
vielen Dank für deinen Artikel. Die Selbstliebe ist der Schlüssel zum Glück. Wer sich selbst mit allen Ecken und Kanten liebt, der wird liebenswert und strahlt das auch aus. Man ist nicht mehr bedürftig nach Aufmerksamkeit von außen und wirkt dadurch anziehender. Erfolg misst sich nicht am Geld, am Doktortitel, am Besitz, an einer Ehe….etc. Erfolg bedeutet sich wieder gefunden und eine emotionale Reife erlangt zu haben.
Hi Ti m,
toller Beitrag. Ein großes Problem bei mir. Denke ständig nur an die Dinge die ich nicht habe und bin deshalb unerfüllt. Dennoch denke ich ist es auch wichtig essentielle Dinge wie die Einsamkeit nicht einfach hinzunehmen. Im Moment zu Akzeptieren, ja, jedoch sollte man die Dinge die wirklich von Bedeutung sind deshalb nicht versuchen aufzugeben meiner Meinung nach.
Beste Grüße,
Nico
[…] Quelle:myMONK.de | Für innere Ruhe und verwirklichte TräumeVeröffentlicht = Montag, den 26.09.2016https://mymonk.de/kein-versager/ […]
Das glaube ich kaum, dass das funktioniert: Die Warze vom Ellbogen schaben!
Man kann es schon mal mit abzwicken und aufweichen, mit Tinktur und dann mechanisch ablösen versuchen. Man kann auch mal mit einem Metallbohrer hineinbohren. Das Ding scheint einfach noch tiefer zu stecken. Obgleich alles entfernt ist. Die Warze ist bald wieder da. Jedenfalls nicht selten. Ich denke, die Seele mag so was auch nicht. Da helfen Operationen an der Oberfläche wenig. Die Seele weiß alles. Sie lässt sich nichts eintrichtern. Wenn ich das gesendete Gefühl nicht haben will und dagegen Kraft aufwende, dann kann ich das nur momentan mit Verstand-Geschrei übertönen. Abschaben, damit es eine Weile weg ist. Was der Verstand auch alles veranstaltet, weil er sich wichtig nimmt. Der Seele ist das fremd. Kopflösungen bedeuten Entfremdung. Sie sind auch nicht so oft stimmig.
Selbstbewusstsein in dem Sinn, dass ich glaube, etwas bestimmtes schaffen zu können, hat etwas mit Mut zu tun, neben meinen Glaubenssätzen. Damit bin ich in der Lage, meine Energie zu bündeln für den nächsten Sprung in einen Versuch. Auch bei einer Verteidigung gegen Abwertung oder Demoralisierung durch andere.
Mut ist freilich nicht endlos. Er ist eine Energie, die in das Geschehen geworfen wird, wenn es darauf ankommt, etwas zu tun. So kommt es auch darauf an, diese Energie nicht zu vergeuden. Im Kampf gegen Bilder, wie es nicht kommen darf. Im Kampf gegen Ängste. Im Kampf gegen Gedanken. Und es braucht zuweilen ein Auftanken in Pausen, in denen wieder alles offen ist, damit der innere Strom wirken kann.
So können wir mutig und damit auch selbstbewusst bleiben, wenn wir das alles zulassen, ohne dagegen anzukämpfen. Wenn wir uns nicht abhängig gemacht haben von dem, was wir Erfolg nennen. Wenn wir uns nicht entfremden, indem wir mangels Vertrauen auf zunehmend komplexe Kopflösungen, Techniken und Strategien setzen.
Ganz toller Beitrag! Danke <3