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Franz Grieser begleitet als Coach Menschen bei persönlichen Veränderungsprozessen. Daneben ist er als Schreib-Coach, NLP-Trainer und Autor tätig. Im Interview spricht er mit mir über das Schreiben und den eigenen Stil, über Glaubwürdigkeit, Blockaden und mehr.
Hallo, Herr Grieser, vielen Dank für Ihre Zeit. Welche persönlichen Veränderungen sind für Sie die bisher wichtigsten in der ersten Hälfte 2013 gewesen?

Grob gesagt: drei. Wobei die erste Veränderung keine klar benennbare, punktuelle „Gestern so, seit heute anders“-Veränderung ist, sondern ein langfristiger Prozess, dessen Früchten jetzt reif werden. Es geht da für mich letztlich um das, was die bayrische Band Sparifankal in einem Song mal „i mechad so wean wiare bin“ („Ich würde gern so werden, wie ich bin“) genannt hat. Nur dass es bei mir inzwischen kein „ich würde gern“ mehr ist.

Der zweite Punkt: Ich habe für mich Massagen entdeckt, genauer gesagt, die hawaiianische Lomi Lomi Nui. Im Moment gönne ich mir regelmäßig Lomi-Behandlungen, irgendwann werde ich auch noch lernen, selbst welche zu geben. Für mich sind die Massagen nicht so sehr Wellness-Behandlungen, auch wenn es körperlich sehr angenehm ist. Für mich steht mehr die therapeutische Körperarbeit im Vordergrund: Für mich geht es darum, den Körper- oder Muskelpanzer (im Sinne von Wilhelm Reich und Alexander Lowen) zu lockern – und so Blockaden, die sich im Körper in Form von Verspannungen manifestieren, zu lösen.

Streng genommen ist Nummer 3 keine persönliche Veränderung, gehört aber für mich zu den wichtigsten Ereignissen in der ersten Jahreshälfte: Ein Novellenprojekt, mit dem ich vor einigen Jahren gekämpft habe und das ich damals aufgegeben hatte, hat sich durch die Hintertür wieder ins Haus geschlichen. Die Bedenken, die mich damals blockiert hatten, haben heute nicht mehr die Bedeutung von damals für mich. Gleichzeitig ist das Thema der Novell in den letzten Monaten immer wichtiger für mich geworden. Und plötzlich läuft es.

Sie arbeiten – unter anderem – als Schreib-Coach. Was ist „die eigene Stimme“ beim Schreiben, der eigene Stil – und wie kann man ihn finden?

Finden kann man die eigene Stimme nicht, indem man auf die Suche danach geht. Sondern indem man schreibt und schreibt und schreibt – und dann irgendwann feststellt, dass die eigene Stimme jetzt ist.

Anfangs ist dieses Schreiben bei den allermeisten ein mehr oder weniger bewusstes Kopieren von Vorbildern. Was auch erst einmal einige Zeit dauert – es braucht schon seine Zeit, bis man auch nur annähernd so schreiben kann wie jemand, der das schon viele Jahre macht. Und im Lauf der Zeit lösen sich die Schriftsteller, die eine eigene Stimme herausbilden, von ihren Vorbildern und klingen dann „eigen“. Diese eigene Stimme ist natürlich auch nichts Statisches, sondern entwickelt sich weiter.

Und: Schriftsteller, die in mehreren Genres zu Hause sind, haben oft für die verschiedenen Genres auch unterschiedliche „Stimmen“.

Was sind die wichtigsten Dinge, die man beim Schreiben beachten muss, um den Leser wirklich zu erreichen und zu berühren?

Ich tue mir schwer damit, dafür „Regeln“ zu formulieren.

Ich kann Ihnen aber sagen, was eine Geschichte ausmacht, die mich als Leser berührt – und ich glaube, auch andere Leser: Mich berühren Geschichten über Personen aus Fleisch und Blut.

Aus Fleisch und Blut sind für mich Figuren in der Literatur oder im Film, die wie normale Menschen auch Ecken und Kanten haben, die logisch und unlogisch agieren, moralisch und auch mal unmoralisch. Die innere Widersprüche haben. Und die sich irgendwo noch Geheimnisse bewahrt haben. Langweilig finde ich Figuren, die Abziehbilder sind, deren Handeln immer nachvollziehbar ist, die mich nicht überraschen können.

Wichtig ist mir auch, dass die Hauptpersonen in der Geschichte Entscheidungen treffen – auch wenn sie manchmal dazu gezwungen werden müssen. Und die Entscheidungen sollten schon eine gewisse Fallhöhe haben. Es soll in den Geschichten um etwas gehen.

Wohlgemerkt: Wir reden von Geschichten, die mich erreichen und berühren. Ich lese schon auch andere Geschichten, die nicht die großen Dinge im Leben behandeln: wie Tod, Liebe, Freiheit, Freundschaft, Treue, Verrat. Nur berühren die mich meist nicht.

Wie kann man glaubwürdige Charaktere für seinen Roman erschaffen?

Da gibt es wahrscheinlich so viele unterschiedliche Herangehensweisen, wie es Schriftsteller gibt. Ich habe kürzlich eine Freundin gefragt, wie sie die Figuren für ihre Romane kreiert, das sind nämlich sehr eigene Figuren. Sie meinte, dass die Figuren zu ihr finden, dass sie die Figuren anzieht. Sie erschafft sie nicht: Die Figuren existieren schon und stehen dann irgendwann neben ihr am Schreibtisch wollen von ihr einfach nur beschrieben werden.

Ein Kollege, der für eine Fernsehserie schreibt, greift auf die Persönlichkeitstypen aus dem Enneagramm zurück, um glaubwürdige Figuren zu schaffen.

Ich selbst nutze verschiedene Herangehensweisen. Ich erschaffe mir die Figuren aus Personen, die ich kenne oder denen ich begegne. Ich nehme einen Satz, eine Geste, eine Eigenschaft, das Aussehen von einer Person, füge etwas von einer anderen Person hinzu, bis ich eine mehr oder weniger genaue Vorstellung von der Figur habe. Ausgangspunkt ist oft eine Story-Idee, für die ich Figuren mit bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen brauche.

Im Lauf der Zeit entwickelt sich die Hauptfigur jedoch unabhängig von ihrem „Schöpfer“ weiter. Sie bildet ihren eigenen Willen aus, ihre eigene Logik und ihre eigene Widersprüchlichkeit. Und dann wird’s richtig spannend – wenn mich eine Figur, die ich geschaffen habe, überrascht.

Der Nachteil dieser Methode: So entstehen auch immer mal wieder Sturschädel, die nicht mitspielen wollen. Die nicht so agieren, wie es mein Plot vorsieht. Und die sich auch nicht hinbiegen lassen. Manchmal muss ich mir dann eine komplett neue Geschichte für eine solche Figur ausdenken. Und nicht selten hat die Figur recht und ich ändere den Plot – folge also meiner Figur, statt ihr den Weg vorzugeben.

Welche Ursachen für eine Schreibblockade sind die häufigsten?

Da gibt es zum einen Blockaden, die durch Gewohnheiten oder „Techniken“ verursacht werden, die eher hinderlich sind. Fast schon ein Klassiker ist das Vermischen von zwei unterschiedlichen Phasen im Schreibprozess: dem Schreiben und dem Überarbeiten. Ins Coaching zu mir kommen immer wieder Menschen, die diese beiden Phasen nicht klar trennen. Die ein, zwei Sätze schreiben und dann sofort beginnen, diese Sätze zu überarbeiten. Auf diese Weise kommen sie nur im Tempo einer Kontinentalplatte vorwärts – wenn überhaupt. Denn diese Menschen überarbeiten gern gleich auch noch das, was sie an den vorhergehenden Tagen geschrieben haben. Und irgendwann ist der innere Kritiker so mächtig, dass sie es gar nicht mehr schaffen, überhaupt noch etwas hinzuschreiben, was nicht perfekt ist.

Hier hilft es, die beiden Phasen – ersten Entwurf schreiben und dann überarbeiten – klar zu trennen. Idealerweise sogar, indem man zwei Arbeitsplätze etabliert: Einen für den kreativen Schreibprozess, wo es ausschließlich darum geht, Text auf’s Papier bzw. den Bildschirm zu bringen. Wo es auf Quantität ankommt. Wo es darauf ankommt, möglichst viel Text zu produzieren, ohne Rücksicht auf die Qualität. Und dann braucht es einen Arbeitsplatz, an dem der interne Kritiker sich austoben darf, wo er streichen, umschreiben, neu schreiben, umstellen, etc. darf. Durch die strikte Trennung der beiden Phasen hat der kreative Anteil mehr Zeit und Raum, sich zu entfalten und Material zu liefern, das der Kritiker hinterher verfeinert.

Die zweite Art von Schreibblockade ist – wie auch Verzögerungstaktiken und Aufschieben in anderen Bereichen – letztlich ein unbewusster Versuch, tiefer liegende Probleme zu lösen. Typischerweise steckt dahinter ein gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl, die Angst, nicht zu genügen. Letztlich die Angst, nicht dazu zu gehören, nicht angenommen zu sein, nicht geliebt zu werden.

Nur haben Aufschieben oder Selbstblockaden alles andere als die gewünschte Wirkung. Es gibt vielleicht eine kurzzeitige Entlastung, der Druck ist vorübergehend weg. Aber auf längere Sicht löst man damit die dahinterliegenden Probleme nicht, sondern verstärkt sie sogar noch.

Die Ängste, um die es dabei geht, verstecken sich üblicherweise hinter Glaubenssätzen wie „Ich darf nicht scheitern“, „Ich muss perfekt sein“, „Ich muss … tun, damit mich die anderen mögen.“ Und diese Glaubenssätze sind beim Schreiben ganz schön hinderlich, und nicht nur beim Schreiben.

Im Coaching arbeite ich dann mit den Klienten an diesen Glaubenssätzen. Denn diese Glaubenssätze lassen sich verändern. Schließlich kommen wir ja nicht schon mit solchen Überzeugungen auf die Welt. Wir eignen sie uns an im Lauf des Lebens, entweder durch Erfahrungen oder – häufiger – indem wir sie von anderen Menschen übernehmen. Und genauso wie wir einschränkende Glaubenssätze „lernen“, können wir uns auch neue, bestärkende Überzeugungen aneignen.

Wenn man schreiben will und es gerade überhaupt nicht läuft, was empfehlen Sie dann: mit Routine an den Schreibtisch setzen und sitzen bleiben oder das Schreiben vertagen und auf Inspiration warten?

Wenn Sie am Schreibtisch sitzen und es gerade nicht vorwärts geht, dann empfehle ich: Stehen Sie auf, kommen Sie in Bewegung. Gehen Sie raus, nehmen Sie etwas mit, damit Sie unterwegs Notizen machen können (Notizblock, Diktiergerät, Smartphone). Und dann gehen Sie raus in die Natur, holen Sie sich frische Luft, neue Eindrücke. Vor allem aber: Bewegen Sie sich. Das bringt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist in Bewegung. Es bringt nichts, in einer Blockade sitzen zu bleiben. Die löst sich normalerweise nicht von alleine auf. Das Sitzenbleiben und Brüten zieht einen nur immer tiefer in diesen blockierten Zustand hinein.

Aus einer solchen Blockade führt nur Bewegung wieder hinaus. Bewegung und Abstand zu dem, was die Blockade ausgelöst hat.

Das soll allerdings nicht heißen, dass man gleich beim ersten „Unwohlsein“, beim ersten unangenehmen Gefühl vom Schreibtisch aufstehen und rausgehen sollte. Wer immer gleich flüchtet, wenn es unangenehm wird, der tut zwar vielleicht etwas für seine Gesundheit. Aber ein Buch, einen Artikel oder auch einen Blogpost wird er damit eher nicht fertig bekommen. Denn dazu muss man halt auch mal schreiben. Schreiben erfordert, zumindest für eine gewisse Zeit dranzubleiben. Auch wenn das unangenehme Gefühle auslöst: Angst vorm Versagen, Angst seinen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.

Alkohol scheint einige große Autoren beflügelt zu haben. (Wie) gehören Alkohol und Schreiben zusammen?

Für diese Frage bin ich wahrscheinlich der falsche Adressat. Mich beflügelt Alkohol nicht beim Schreiben. Für mich funktioniert die Kombination aus Schreiben und Alkohol nicht. Alkohol legt sich wie Nebel über meinen Geist und meine Wahrnehmung. Und dann habe ich meist ohnehin keine Lust zu schreiben. Und wenn ich doch etwas schreibe, liest sich das am nächsten Tag weit weniger geistreich, weniger genial als unter dem Einfluss von Spirituosen.

Herzlichen Dank!

Mehr über Franz Grieser erfahrt ihr auf seinen Websites: grieser-coaching.de, schreib-coach.de und neuewegewagen.de

 

Photo (oben): Manuela de Pretis