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Es folgt ein Gastbeitrag von Silke Szymura.

Ein geliebter Mensch ist gestorben. Vielleicht ganz plötzlich, vielleicht auch nach langer Krankheit. Egal wie er gestorben ist, es zerreißt uns das Herz, eine große Lücke entsteht in unserem Leben und in uns. Mit dem Tod des geliebten Menschen beginnt für uns der oft lange und schwierige Weg der Trauer.

Doch wo führt dieser Weg eigentlich hin? Durch vier, fünf oder sieben Phasen hin zum Abschließen, Loslassen und schließlich Weiterleben, so wie es uns verschiedene psychologische Modelle vorschreiben? Muss ich den Verstorbenen etwa vergessen, abhaken, hinter mir lassen, um wieder neues Glück im Leben finden zu können? Behindere ich ihn vielleicht sogar auf seinem weiteren Weg durch die Sphären des Jenseits, wenn ich ihn nicht bald endlich ordentlich loslasse?

All diese Fragen habe ich mir selbst gestellt, als 2013 ganz plötzlich und unerwartet mein Freund und Lebenspartner während unseres gemeinsamen Aufenthalts in Nepal umkippte und starb. Gerade einmal 29 Jahre wurde er alt. Nun stand ich da mit meiner Liebe zu ihm und wusste nicht wohin damit. Plötzlich war dort Leere, wo eben noch ein Mensch war. Ich hatte große Angst, ihn zu vergessen. Ich wollte ihn nicht aus meinen Gedanken streichen und so tun als hätte es ihn nie gegeben. Ich wollte ihn auf keinen Fall noch ein weiteres Mal verlieren. Ich spürte intuitiv, dass ich ihn nicht komplett loslassen musste, dass er auf eine Art immer noch da war und dass vor allem meine Liebe zu ihm bleiben und weiter wachsen durfte. Zugleich hatte ich auch Angst, verrückt zu werden und vielleicht falsch zu liegen. Ich wollte so gerne einen Weg für mich finden, um mit diesem schweren Verlust umzugehen, aber alles in mir wehrte sich gegen die üblichen Ratschläge im Sinne von “Du bist noch jung, du musst jetzt nach vorne schauen!” Nach vorne schauen, wie sollte das überhaupt gehen? Und vor allem: Julian sollte mitkommen dürfen.

Die Idee des Loslassens – Ein rein theoretischer Ansatz

Wo kommt sie eigentlich her, diese Idee des Loslassens im Sinne eines Beendens der Beziehung zum Verstorbenen? Wie so vieles in der Psychologie wurde sie zunächst von Freud Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert:

“Die Trauer hat eine ganz bestimmte psychische Aufgabe zu erledigen, sie soll die Erinnerungen und Erwartungen der Überlebenden von den Toten ablösen.” (Freud, „Totem und Tabu“, 1913)

Freud beschreibt in seinen Schriften, dass die Trauer dazu da sei, die emotionale Energie, also die Liebe, vom Verstorbenen abzuziehen. Erst wenn das geschehen sei,

könne sie wieder in neue Beziehungen und ein neues Leben investiert werden. Diese Grundidee, dass am Ende der Trauer ein Abschluss stehen muss, ein Loslassen und schließlich eine Neuorientierung, prägte im Verlauf des letzten Jahrhunderts die Sicht der Psychologie auf die Trauer. Basierend auf den vermeintlich gut fundierten Überlegungen eines einzelnen, berühmten Psychologen.

Das Verrückte daran: Freud selbst machte wenige Jahre nach diesen theoretischen Überlegungen eine ganz praktische Erfahrung mit der Trauer, die auf einmal ganz anders aussah. Neun Jahre nach dem Tod seiner Tochter schrieb er einem Freund:

“Gerade heute wäre meine verstorbene Tochter 36 Jahre alt geworden … Man weiß, dass die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen, die man ja nicht aufgeben will.” (Fichtner, G. (Hrsg.), “Sigmund Freud – Ludwig Binswanger: Briefwechsel 1908 – 1939”, 1992)

So hatte auch Freud bereits erkannt, dass die Liebe bleibt, dass die Beziehung auf eine neue Art fortgesetzt werden kann und dies nicht bedeutet, dass etwas schief gelaufen ist in der Trauer oder man auf irgendeine Art steckenbleibt.

Phasenmodelle der Trauer – Warum ich sie unpassend finde

In der Psychologie fand zunächst lediglich Freuds theoretischer Ansatz Beachtung. So wurden basierend darauf verschiedene Phasenmodelle der Trauer – unter anderem von Verena Kast – entwickelt. Sicherlich haben auch diese ihre Berechtigung und können eine grundlegende Orientierung geben, für mich allerdings schienen sie von Anfang an eher unpassend. Bei einem schweren Verlust verläuft die Trauer nicht nach einem bestimmten Muster. Es ist nicht so, dass man eine Phase durchschreitet und wenn man am Ende angekommen ist, macht man einen dicken fetten Haken dran und begibt sich in die nächste Phase. Ich habe es so erlebt, dass die Trauer in Wellen kommt, weder einem Zeit- noch einem Ablaufplan folgt und gerade anfangs völlig unvorhersehbar ist. Gefühle und Gedanken, von denen ich dachte, dass ich sie längst hinter mir gelassen hätte, brachen völlig unvermittelt in einer scheinbar anderen Phase wieder über mich herein.

Am meisten stört und störte mich jedoch die Idee, am Ende des Trauerweges stünde irgendwie ein Abschluss im Sinne eines kompletten Abschieds vom Verstorbenen.

Trauer als Ausdruck der Liebe

Glücklicherweise wurde mir bereits zu Beginn meiner Trauer das Buch “Meine Trauer wird dich finden” von Roland Kachler empfohlen. Dieses Buch beschrieb genau das, was ich bereits selbst erlebte, und hat mich von da an durch meine Trauer begleitet.

Kachler schreibt darin von einem neuen Ansatz in der Trauerarbeit und Psychologie, der sich nicht an Phasenmodellen orientiert und auch nicht das Beenden der Beziehung zum Verstorbenen im Fokus hat. Im Gegenteil geht es in seinem Ansatz darum, diese Beziehung zu bewahren. Nach seinem Verständnis ist die Trauer genau dazu da, diese innere Beziehung zu wandeln. Sie ist Ausdruck der Liebe, die wir für den Verstorbenen empfinden.

Ein zentraler Punkt in Kachlers Theorie, die auf der hypnosystemischen Therapie nach Gunther Schmidt sowie dem Ansatz der sogenannten “Continuing bonds” von Dennis Klass und seiner Arbeitsgruppe aus den USA basiert, ist die Suche nach einem sicheren Ort für den Verstorbenen. Wenn wir unseren geliebten Menschen sicher an diesem Ort wissen und uns der Verbindung und Beziehung zu ihm sicher sein können, können wir daraus viel Kraft für unser eigenes Weiterleben schöpfen. Dabei geht es nicht zwingend um einen religiösen Ort. Kachlers Ansatz ist neutral und unabhängig davon, was jeder Einzelne von uns glaubt, wie es nach dem Tod weitergeht.

Interessant ist, dass Kachler selbst Psychotherapeut ist und in seiner Praxis über viele Jahre Menschen nach den herkömmlichen Modellen der Trauer beraten hat. Gegen deren Widerstand hatte er ihnen immer wieder zum Abschließen und Loslassen geraten. Bis er seinen Sohn verlor. Plötzlich machte er – wie zuvor schon Freud – die Erfahrung selbst und stellte fest, dass er die Trauer ganz anders erlebte, als es die gängige Trauerliteratur vorschlug.

Finde deinen eigenen Weg mit der Trauer

Nach all der Theorie möchte ich dich gerne einladen, vor allem auf dich selbst zu hören. Vielleicht ist der Ansatz von Roland Kachler für dich genauso stimmig wie für mich, vielleicht gefallen dir die Phasenmodelle besser oder etwas ganz anderes. Trauer ist immer etwas sehr Individuelles und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle tief in uns drin selbst wissen, was wir brauchen. Die Trauer ist kein böser Feind, sondern vielmehr eine wichtige Fähigkeit unserer Seele, um mit Verlusten umzugehen. Bei kleinen Verlusten bemerken wir sie vielleicht kaum, weil sie so schnell vorüberzieht. Bei großen Verlusten zieht sie uns komplett den Boden unter den Füßen weg und scheint uns das Leben zur Hölle zu machen. Der Schmerz ist unerträglich, wir sind nicht mehr wir selbst und funktionieren nicht mehr so wie vorher. Aber ist all das nicht auch irgendwie angemessen angesichts dieses großen Verlusts?

Für mich war Julian, mein verstorbener Freund, einer der wichtigsten Begleiter auf meinem Weg durch die Trauer. Heute, nach dreieinhalb Jahren hat meine Liebe zu ihm eine ganz neue Qualität bekommen und ich bin dankbar, diese tiefe Verbindung zu ihm zu spüren. Mit dieser Verbindung, mit ihm in meinem Herzen, wage ich mich nun wieder hinaus in die Welt und in das Leben – mein Leben. Ich bin ein anderer Mensch als zuvor und vieles, was ich in den letzten Jahren erleben durfte, hat mich sehr bereichert. Gleichzeitig waren es aber auch die dunkelsten, schwersten und verlustreichsten Jahre meines bisherigen Lebens. Als kaum noch irgendetwas ging, ohne Arbeit,

zurückgeworfen auf mich selbst, bin ich mitten durch die Trauer und den Schmerz hindurch gegangen. Und auch wenn ich es zwischendurch nicht immer geglaubt habe, so bin ich doch am anderen Ende wieder herausgekommen. Heute lebe, fühle und erlebe ich viel intensiver. Ich habe Dankbarkeit gelernt und vielleicht erst jetzt richtig begriffen, was Liebe eigentlich ist. Ich wünsche auch dir von Herzen, dass du deinen ganz eigenen Weg durch die Trauer finden wirst.

Mehr unter Die 4 Phasen der Trauer und unter Wie man mit Trauernden sprechen kann (auch über Unaussprechliches).


Sabrina GundertAutor:

Silke Szymura kündigte nach dem Tod ihres Lebenspartners ihren Job in der IT-Branche, nahm sich eine Auszeit und arbeitet inzwischen als ausgebildete Trauerbegleiterin. Auf ihrem Blog “In lauter Trauer” schreibt sie über Themen rund um Trauer, Tod und Leben. Ihre persönliche Geschichte wird 2017 als Buch im MASOU-Verlag erscheinen.


Photo (oben): Hannah Nicole

Quellen: “Hypnosystemische Trauerbegleitung – Ein Leitfaden für die Praxis” (Roland Kachler, 2012) und “Meine Trauer wird dich finden – Ein neuer Ansatz in der Trauerarbeit” (Roland Kachler, 2012)