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Es folgt ein Text von Ulrike Hensel, Autorin des myMONK-Buchs Hochsensibel das Leben meistern.

Über kurz oder lang taucht bei hochsensiblen Personen (kurz: HSP) die Frage auf „Soll ich den Menschen in meinem Umfeld sagen, dass ich hochsensibel bin?“. Eine allgemeingültige Antwort gibt es nicht. Es kommt darauf an wann, warum, wem und wie. Das will ich näher ausführen.

Wann

Auf den Begriff Hochsensibilität gestoßen zu sein und darin eine erleichternde Erklärung für so viel bis dahin Unerklärliches gefunden zu haben, ist für viele HSP so weltbewegend, dass sie am liebsten sofort der ganzen Welt davon erzählen möchten. Oftmals ist es jedoch besser, die neu gewonnene Erkenntnis zunächst in Ruhe in sich zu bewegen, bevor man damit nach außen geht. Sonst kann es einem passieren, dass man in eine ungewollte Diskussion über die Gültigkeit des Konzepts und (einmal mehr) in eine unbehagliche Position der Rechtfertigung gerät. Die Empfehlung lautet, sich davor zu schützen und das Verständnis für die eigene Wesensart erst einmal zu festigen.

Ob HSP Verständnis und Unterstützung von anderen bekommen, so wie sie es sich erhoffen, wenn sie über ihre Hochsensibilität sprechen, hängt unter anderem vom Timing ab. Hat der Betreffende, dem sie sich mitteilen wollen, gerade Zeit und Muße, ihnen Gehör zu schenken? Ist zum gegebenen Zeitpunkt das notwendige Interesse vorhanden? Herrscht gerade eine entspannte Gesprächsatmosphäre? Sind sie sich selbst eigentlich schon im Klaren darüber, was genau sie erreichen wollen?

Warum

Noch wichtiger als die Frage, ob man über seine Hochsensibilität spricht, erscheint mir die Frage, warum man darüber sprechen möchte. Meine Aufforderung lautet, sich zunächst selbst darüber klar zu werden, welche Absicht man mit der Mitteilung verbindet und was genau die Bitte an den anderen ist. Es ist es sehr hilfreich für die Kommunikation, wenn man den konkreten (erfüllbaren!) Wunsch ebenfalls mitteilt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, gehört und erhört zu werden.

Sobald andere merken (oder vermuten), dass HSP mit dem Argument „Ich bin so sensibel“ erhebliche Zugeständnisse erreichen wollen, reagieren sie mit Abwehr und womöglich Abwertung. Würde jemand die Aussage „Ich bin hochsensibel“ wie ein Pfand in der Hand für die rigorose Durchsetzung lang gehegter Wünsche oder als platte Ausrede für eigene unsensible Verhaltensweisen nutzen („So bin ich nun mal“), darf er sich nicht wundern, wenn er auf Unmut und Ablehnung stößt. Die sinnvolle Erkenntnis geht in die Richtung, dass Beziehungen nur auf der Basis von Machtbalance funktionieren und dass nur fair ausgehandelte Lösungen langfristig tragfähig sind.

Wem

Bei der Entscheidung, ob man sich offenbart, macht es einen großen Unterschied, welche Rolle die Menschen im eigenen Leben spielen. Ich halte es für zweckmäßig, Partner, nahe Familienmitglieder und gute Freunde relativ zeitnah an der neuen Erkenntnis teilhaben zu lassen. Das Nicht-Mitteilen von etwas, das einen sehr beschäftigt und einem viel bedeutet, würde unweigerlich eine gewisse Distanz schaffen. Das Sich-Öffnen und Sich-Mitteilen hingegen ermöglicht eine wohltuende Verbindung und im besten Fall auch einen fruchtbaren Gedankenaustausch.

Durch die Aufklärung über Hochsensibilität haben die nahen Mitmenschen zudem (endlich!) die Chance, hochsensible Verhaltensweisen und Reaktionen als Teil der veranlagungsbedingten Wesensart besser einzuordnen. Etliche Missverständnisse können so künftig vermieden bzw. schneller geklärt und Lösungen für Alltagsprobleme leichter gefunden werden (wenngleich sie natürlich immer wieder eine Herausforderung darstellen). Kennen Partner, Familienmitglieder und Freunde das Phänomen Hochsensibilität in seinen Facetten und Auswirkungen, können sie der HSP zuliebe manche Verhaltensweise (nicht ihr Wesen!) verändern und mancher HSP-gerechten Regelung oder Umgebungs(um)gestaltung zustimmen.

Hinzufügen möchte ich an der Stelle gleich Folgendes: Darum zu wissen, was die HSP sich wünscht und braucht, kann für Nicht-HSP allerdings nicht bedeuten, eigene Wünsche und Interessen komplett zu vernachlässigen. (Es ist völlig legitim, dass sie für Ihre Interessen eintreten!) Das adäquate (nicht fordernde!) Sich-Mitteilen der HSP ist lediglich eine Vorbedingung dafür, mit ihren Wünschen und Bedürfnissen gesehen und ernst genommen zu werden.

Auch im weiteren Freundeskreis kann es angezeigt sein, sich zu erklären. Wie ausführlich und ob mit oder ohne Verwendung des Begriffs ‚Hochsensibilität‘, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Ich möchte hier zwei HSP zitieren (Namen geändert). Markus: „Es gibt wenige Freunde, die das mit der Hochsensibilität wissen, weil ich immer das Empfinden habe, dass es überfordert oder Unverständnis hervorruft.“ Stefanie: „Den engsten Freundinnen habe ich von der Hochsensibilität erzählt. Im Bekanntenkreis erzähle ich nur davon, wenn ich damit nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen (z.B. schnelles Ermüden auf einer Party) verständlich machen kann. Dabei achte ich sehr darauf, ob es Personen sind, die grundsätzlich offen sind für solche Themen.“

Der Vorteil, wenn Freunde Bescheid wissen, liegt auf der Hand: Sie können erkennen, dass es keine generelle Ungeselligkeit, keine Überheblichkeit, kein Desinteresse ist, wenn eine HSP sich aus einem gemeinschaftlichen Tun ausklinkt und manches gar nicht erst mitmacht; es ist lediglich der rettende Ausstieg aus einer überreizenden Situation bzw. die Vermeidung einer vorhersehbaren nervlichen Überlastung – also ein kluges und selbstfürsorgliches Handeln. Besonders der Aspekt der unterschiedlichen Wohlfühlbereiche kann da eine wichtige Einsicht vermitteln. Jeder wird es okay finden, dass man sich im Zusammensein mit Freunden wohlfühlen und nicht überstrapazieren will. Ein weiterer Effekt: Durch den transparenten Umgang mit der Hochsensibilität kommt sich die HSP wahrscheinlich weniger ausgeschlossen vor, wenn sie eine Runde verlässt, und besser wieder aufgenommen, wenn sie nach einer Auszeit bzw. ein anderes Mal wieder dabei ist.

Im beruflichen Umfeld rate ich HSP, angemessen offen mit der eigenen Hochsensibilität umzugehen. Das kann Verschiedenes bedeuten. Vielfach brauchen sie noch nicht einmal den Terminus ‚Hochsensibilität‘. Sie können einfach konkret ansprechen, was ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, was sie brauchen und worum sie die anderen bitten und dann über Lösungsmöglichkeiten diskutieren. – Nur im Einzelfall kann beurteilt werden, ob im Arbeitsumfeld ein allgemeines ‚Coming-out‘ („Ich bin hochsensibel“ oder – vielleicht besser – „Ich gehöre zur Gruppe der hochsensiblen Menschen“) vorteilhaft ist oder eher nur eine entsprechende Erklärung gegenüber den engsten Kollegen und dem Vorgesetzten, verbunden mit einigen Informationen über das Phänomen Hochsensibilität, auch im Hinblick auf das darin verborgene Potenzial.

Wie

Entscheidend für die Wirkung der Mitteilung über die eigene Hochsensibilität ist, mit welchen Formulierungen man die Wesensart erklärt. Der Punkt ist: So wie man selbst Hochsensibilität begreift, so wird man sie charakterisieren, und das wird dann auch in hohem Maße die Reaktionen der anderen beeinflussen. Zeichnet man ein Bild vom schwachen, leidgeplagten Opfer, das wehrlos der Grobheit und Rücksichtslosigkeit der ‚unsensiblen‘ Menschen ausgesetzt ist, erregt das allenfalls Mitleid – wahrscheinlicher aber Widerstand, weil ein Vorwurf enthalten ist. Ganz anders wird die Reaktion ausfallen, wenn man ein Bild von einer selbstbewussten Person mit einer detailreichen Wahrnehmung, einer durchweg hohen Empfindsamkeit, einem intensiven Gefühlsleben und einer verzweigten Denkweise vermittelt. Das wird viel wahrscheinlicher positiv aufgenommen und beantwortet. Schon aus diesem Grund ist es empfehlenswert, sich zunächst eingehend mit dem Selbstverständnis und der Selbstannahme zu beschäftigen.

HSP sollten darauf achten, höflich und respektvoll zu bleiben, weder ins Beschuldigen zu verfallen, noch das Verstanden-Werden erzwingen zu wollen. (Sich unverstanden und verkannt fühlende HSP können leider sehr scharf und fordernd in ihren Äußerungen werden!) Erfahrungsgemäß ist es für HSP außerdem eine Lernaufgabe, unnötig lange Erklärungen zu vermeiden und nicht auf die Schiene der Rechtfertigung zu rutschen.

Keine zu hohen Erwartungen!

HSP tun gut daran, nicht zu viel vorauseilende Rücksichtnahme und Fürsorge zu erwarten. Sie selbst haben die Aufgabe und die Verantwortung, für sich zu sorgen, auf sich aufzupassen, für das einzutreten, was sie brauchen und das abzuwenden, was ihnen schadet. Und als gesunde Erwachsene sind sie dazu – von Ausnahmesituationen einmal abgesehen – auch in der Lage.

Trotz aller Bemühungen erfüllt sich der dringliche Wunsch von HSP, vollkommen verstanden zu werden, meist nicht. Verständlicherweise, denn die nicht-hochsensiblen Menschen werden beim besten Willen nicht nachempfinden können, was die HSP empfindet, worüber sie sich sorgenvolle Gedanken macht, was sie alles stört und stresst. (Nebenbei bemerkt: Die HSP kann sich ja trotz ihres Einfühlungsvermögens auch nicht wirklich in robuste Menschen hineinversetzen.) Die anderen erleben eben nicht dasselbe, was die HSP erlebt, obwohl die äußere Situation ein und dieselbe ist. Ich lege daher nahe, das Verstanden-Werden nicht überzubewerten. Viel wichtiger finde ich Respekt, Akzeptanz und Wertschätzung (was wir HSP selbstverständlich auch anderen Menschen entgegenzubringen haben).

Folgende Überlegung zum Schluss: Je selbstverständlicher HSP sich selbst in ihrem So-Sein – mit allen Licht- und Schattenseiten – akzeptieren, desto wahrscheinlicher tun dies auch die Menschen in ihrem Umfeld.

Mehr zum Thema Hochsensibilität findest Du im myMONK-Buch Hochsensibel das Leben meistern sowie unter Die 7 Gaben der Hochsensibilität (und ihre Tücken).

 

Ulrike-Profilbild-2000pxText von und herzlichen Dank an:
Ulrike Hensel
Die Autorin Ulrike Hensel studierte Angewandte Sprachwissenschaft und absolvierte später eine Coaching-Ausbildung. Sie arbeitet selbstständig als Textcoach für Trainer, Berater und Coaches sowie als Coach für Hochsensible.
www.coaching-fuer-hochsensible.de

Photo (oben): Discussing / Shutterstock