Teile diesen Beitrag "Wie man seine geheimsten Ängste, Fantasien und Muster aufdeckt (ohne Therapie)"
Manchmal sind wir uns selbst das größte Rätsel. Kopf und Herz eine einzige mysteriöse Area 51, voller Widersprüche. Wir nehmen uns etwas vor, ganz fest, und tun schließlich doch das Gegenteil. Wir lieben und hassen, sparen und prassen mit unseren Gefühlen, schwindelig schnell im Wechsel. Oder wir sind einfach nur verwirrt, wie‘s weitergehen soll schimmert nicht mal blass durch.
Wie kommen wir da raus – wie kommen wir da näher rein in uns und unsere wahren Motive, an unsere tiefsten Befürchtungen und geheimsten Fantasien?
Das bringt uns zur Technik mit den Sätzen. Die eigentlich nur halbe Sätze sind. Dafür aber doppelt wirksam, mindestens.
Die Technik
Vom amerikanischen Psychologen Nathaniel Branden habe ich die folgende Übung gelernt, die mir schon manches mal gute Dienste erwiesen hat.
Mit ihr reisen wir nach innen und kommen verändert zurück, manchmal ein kleines bisschen, manchmal mit einem ganzen Sack voll neuer Klarheit über uns selbst.
Es ist die Technik der Satz-Vervollständigung. Und sie geht so:
- Schreib einen unvollständigen Satz auf, etwa „Meine Beziehung bedeutet für mich, …“,
- beende den Satz schriftlich
- schnell und hintereinander weg mit verschiedenen 6-10 Enden; keine Pause zwischendurch; denke dabei so wenig wie möglich nach, lass es einfach fließen (jede Antwort ist gut, auch wenn sie zunächst nicht viel Sinn zu machen scheint)
- und reflektiere anschließend über das, was Du aufgeschrieben hast.
Als wäre der vorgegebene Satzteil ein Magnet, der die Erkenntnisse aus tiefster Seele anzieht.
30 Sätze
Hier 30 Sätze als Beispiel. Nimm Dir am besten erst mal nur einen einzigen vor. Einen, der Dich anspringt. Oder einen, bei dem Du besonders viel Widerstand oder Angst in Dir spürst – dort ist das Gold vergraben:
Wenn ich mehr Verantwortung für mein Leben übernehmen würde, …
Wenn ich mehr Energie hätte, …
In meinem Leben vermisse ich …
Wenn ich mich weiter so stresse, dann …
Ich mache mir so viel Stress, weil …
Wahrer Erfolg bedeutet für mich, …
Wenn mir Geld nicht so wichtig wäre, …
Wenn ich beruflich tun könnte, was ich will, dann würde ich …
Wenn ich mehr auf mich achten würde, müsste ich mir eingestehen, dass …
Selbstbewusstsein bedeutet für mich, …
Ich könnte mir eigentlich viel mehr vertrauen, denn …
Ich bin wichtig, weil …
Ich fühle mich geliebt, wenn …
Ich habe nie verziehen, dass …
Ich habe mir selbst nie verziehen, dass …
Ich schäme mich dafür, dass …
Wenn ich mich weniger verstecken würde, …
Wenn ich als Kind mehr geliebt worden wäre, …
Wenn das Kind in mir sprechen könnte, es würde sagen, …
Wenn ich jemandem von meinen wahren Wünschen erzählen würde, …
Wenn ich mich mehr akzeptieren würde, …
Wenn ich meine Ängste mehr annehmen würde, …
Wenn ich meinen Körper mehr akzeptieren würde, …
Wenn ich meine Sexualität mehr annehmen würde, …
Wenn ich meine Lebendigkeit mehr annehmen würde, …
Einen Menschen zu lieben bedeutet für mich, …
Wäre ich meinen Kindern (oder Eltern, oder Freunden, oder meinem Partner) gegenüber fünf Prozent achtsamer, …
Würde ich mir mehr Mühe geben, zuzuhören, …
Würde ich mehr auf Menschen zugehen, …
Mein Leben auszukosten bedeutet für mich, …
In fünf Jahren werde ich …
Du kannst natürlich auch einen eigenen Satz nehmen … was auch immer gerade für Dich ein Thema ist.
Zum Abschluss
Nachdem Du einen Satz vervollständigt hast, kannst Du Deine Antworten auf Dich wirken lassen, darüber nachdenken, und dann, wenn Du magst, die Übung mit einem weiteren halben Satz zum Ergänzen abschließen, nämlich mit:
Wenn etwas von dem, was ich geschrieben habe, wahr ist, dann könnte es mir helfen, …
Ahoi und eine gute Reise nach innen, Seelenmatrose.
Photo: Daniel Zedda
„Meine Beziehung bedeutet für mich, …“ LIEBE 🙂
Und Liebe bedeutet für Dich?
Hey Tim,
diese Technik ist echt klasse. Und danke für die vielen Beispiele!
Meinst du es bringt auch umgekehrt was?
Wenn ich mir den zweiten Halbsatz nehme und den Anfang ergänze?
Z.B.: „Wenn ………………………., wäre ich glücklich.“
Oder führt uns das eher in die Irre, weil wir uns nur Dinge suchen würden, von denen wir denken würde, dass sie uns das gewünschte Ergebnis bringen (z.B. Mehr Geld etc.)?
Liebe Grüße
Norman
Hi Norman,
vielleicht ist der Satz in einem zweiten Schritt noch besser: nach dem ersten und damit eng zusammenhängenden Schritt „Glück bedeutet für mich …“ – ist es denn ein Gefühl, das wir uns vom Glück versprechen, oder eine Einstellung, bestimmte Erfahrungen oder Dinge, sind es gelebte Werte und wenn ja welche?
LG
Tim
Hallo Tim,
diese Methode klingt vielversprechend. Die werde ich heute Abend ausprobieren.
Den Ansatz von Norman finde ich auch interessant. Da würden mir auch etliche „Lückenfüller“ einfallen. 🙂
Gruß
Sascha
Hey Sascha,
hattest Du schon Gelegenheit, es auszuprobieren?
LG
Tim
Hi Tim,
ja, das hatte ich noch am Abend gemacht und es kamen für mich interessante Dinge dabei heraus.
Eine ähnliche Übung gibt es auch zum Thema Schreiben. Es wird ein Anfang vorgegeben, der Rest muss dann erarbeitet werden.
Eine Methode, wo es mal wieder passt: Genial einfach – einfach genial!
😉
Gruß
Sascha
Hey Sascha,
freut mich sehr, dass Dir die Übung etwas gebracht hast.
Das heißt, Du nutzt sie so ähnlich auch für Stoy-Entwicklung, wenn Du mal feststeckst?
LG
Tim
Hi Tim,
der Schreibprozess ist ja ein einziges „Was wäre wenn …?“
Ja, das ist eine von vielen Übungen die man nutzen kann, wenn man mal nicht weiter kommt. Und die Möglichkeiten sind bei einer Vorgabe unbegrenzt. In einer Schreibgruppe haben wir mit einem vorgegebenen Anfang gearbeitet und die Fortsetzungen waren unterschiedlicher, wie sie nicht hätten sein können. Daran sieht man ja sehr schön, das jeder ein anderes Bild im Kopf hat. 🙂
Gruß
Sascha
Hey Sascha,
dazu fällt mir gerade was ein: wenn Steven Pressfield einen Text / ein Buch fertig hat, beginnt er sofort mit dem nächsten … und wenn es auch nur ein paar Zeilen sind. Dann lässt er das Unterbewusstsein arbeiten. Ist ja ein ganz ähnlicher Ansatz, nur etwas größer angegangen.
LG
Tim
Hallo Sascha,
du hast am 2. Juni etwas über eine Schreibgruppe von dir geschrieben. Es würde mich sehr interessieren was das genau ist und wo man zu so einer Gruppe vielleicht Kontakt bekommt. Wäre schön, wenn du das hier mitteilen könntest. Danke
Viele Grüße Stephan
„Ich bin wichtig, weil…“
Ohje, da wäre ich froh überhaupt auf sechs Vervollständigungen zu kommen, selbst mit Nachdenken. Das deckt dann zumindest die Angst vor Bedeutungslosigkeit auf, gelle? :-/
Hi Marccus,
ja, das tut es. Ich nehme an, dass das ein sehr verbreitetes Ding ist.
Schon in der Grundschule werden ja auch nicht die richtig gemachten Sachen angestrichen / hervorgehoben, sondern die Fehler.
LG
Tim
Hallo Tim,
schöne Idee.
Vielleicht auch besonders genußvoll, wenn man sich wirklich Zeit für die Übung nimmt. Sich ins Café um die Ecke setzt, mit Notizblock und dem Gefühl, endlich Zeit für sich zu haben. Und diese auch zu nutzen.
Dann sprudeln die Sätze wahrscheinlich nur so aus einem raus …
Wohl bekomm´s =)
Sabine
Anders hat die glaub wirklich keinen Sinn, so zwischen Tür und Angel… Obwohl manchmal vielleicht doch in Gedanken, wenn man von einer Situation die in dem Moment passiert angetriggert wird.
Ich glaube mit Abstand am besten funktioniert es wirklich schreibend – akut wäre also ein Notizbuch in Reichweite eine gute Sache.
Wow, ich habe gerade echt einen Moment der Erleuchtung, und ich bin solchen Übungen gegenüber normalerweise ein bisschen kritisch eingestellt (à la „Was soll da schon neues bei rauskommen?“). Vielen vielen Dank!
Oh, freut mich, nun wäre ich ehrlich gesagt schon sehr gespannt, was bei Dir rausgekommen ist – also falls Dir das nicht zu intim ist, würde ich mich sehr freuen, wenn Du das mit uns teilst. LG Tim
Lieber Tim!
Eine sehr interessante Technik, danke fürs Vorstellen.
Eignet sich sicherlich gut zur Selbstreflexion und vielleicht auch, um auf unbewusste Glaubenssätze zu stoßen.
Lg, Moni
Danke liebe Moni!
Hi Tim!
Hättest du auch einen guten ratschlag für mich, wie kann man einer anderen Person(in dem falle mein verlobter), klar machen das er, mal wieder er selbst werden soll & sich nicht brüstet & bewaffnet mit negativer einstellung zum leben hin & die mauer die er sich selber um sich herum gebaut hat, einfach zum eimstürzen bringt & sich seinen gefühlen & ängsten stellt? mein sohnemann & ich wir haben selber schon viel mist mit erlebt, bis hin zum körperlichen, psychosomatischen Zusammenbruch & wir waren in kur & da wurden mir die augen geöffnet & ich habe begriffen, für alles gibt es einen weg & skilltraining hat mir auch sehr geholfen hat, um mir meiner emotionen & empfindungen bewusst zu werden! & da ich kein kleines dummerchen bin & meine psychologin mehr als erstaunt war, das ich nach ner halben woche kur & dank ihrer wachrüttelnden direkten worte, endlich aus meiner psychisch kaputten traumwelt wieder raus gekommen bin, & ich hab mir auch von ihr viel mitgenommen, aber egal wie ich es angeh, mein verlobter versteht nur banhof & ich bins leid mich dauernd im kreis zu drehen & ihm alles immer wieder & wieder & wieder auch auf verschiedene arten & weisen, ihn auch mal wieder wach zu rütteln! egal wer sagt oder rät mir nur, trenn dich, hat doch eh keinen sinn, blablabla! & ich teile diese meinung nicht, WEIL für alles gibt es einen weg & deshalb, muss es hier für auch einen weg geben, ohne einfach nur auf zu geben!
Ich danke dir recht herzlich im vorraus schon einmal für deine hilfe!
mit freundlichen grüssen Jenny S.
Hey Jenny,
meine ganz ehrliche Meinung: da kannst Du gar nichts tun. Wenn er sich nicht auf das einlassen will, was Du ihm sagen möchtest, spielt es keine Rolle, was Du ihm sagst oder wie Du’s ihm sagst.
Das haben schon unendlich viele Menschen versucht, und ich kenne keinen, bei dem’s geklappt hat – denke nur an all die Partner von Menschen mit Suchterkrankungen (allerdings gibt es dort und auch in anderen Zusammenhängen Fälle, in denen der Andere zur Besinnung kommt, nachdem ihm ernsthaft klar wurde, dass die Beziehung vorm Ende steht, wenn sich nichts ändert).
LG
Tim
Im Grunde stimme ich zu, du kannst keinen anderen Menschen wirklich ändern, das muss er selbst tun.
Aber du kannst im Umgang mit ihm ehrlich sein und deinen inneren Impulsen folgen.
Ihm sagen, wenn Dir etwas weh tut, wenn du etwas schön findest, wenn du ihn schön findest, wenn du ihn hässlich findest….
Das ist nicht einfach und wird wahrscheinlich Konflikte mit sich bringen, aber potentiell gute Konflikte solange du bei dir bleibst und nicht weiter versuchst ihn zu ändern
sondern deinen Umgang mit ihm änderst, so dass es sich gut anfühlt.
Folge Deinem Herzen
Wir wirken immer auf unsere Umgebung. Bist du meistens in einem Zustand von bedingungsloser Liebe, so überträgt sich dies auch unsichtbar und unmerklich. Keiner weiß, ob und wann sich das außen zeigt. Doch mit Diskutieren und Erwarten kannst du meistens nur Frust ernten. Mach das Beste daraus.
LG Richard
Hallo Jenny,
das kenne ich nur zu gut von mir, das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen, damit ein mir nahestehender Mensch „endlich glücklich(er) wird“. Jahrzehnte habe ich mich daran abgearbeitet – im übrigen ohne Erfolg – bis ich irgendwann einmal die Augen öffnen konnte/musste/wollte. Jeder Mensch kann nur für sich allein feststellen, was er gerade braucht, was ihn gerade jetzt weiter bringt und wohin er gerade jetzt gehen will. Das sind platte Sprüche, ja, aber für die Kümmerer unter uns sind es Riesenerkenntnisse, wenn man sie dann plötzlich wirklich fühlen kann!
Mich fragte damals eine Therapeutin, was mich an meinem Partner ärgere und warum. Das konnte ich ihr ganz einfach erklären. Und dann fragte sie: Und wo machen Sie dasselbe mit sich selbst? Upps, da musste ich aber schlucken – und so fand ich heraus, dass mein erster Mann mich betrogen hatte, weil ich mich selbst betrogen hatte! Ich hatte mir vorgemacht, ihn zu lieben, weil er der Traumsohn meines Vaters war! Und, und, und… ich bin noch immer unterwegs, aber das war die bisher wichtigste Erkenntnis meines Lebens, das ich mich fragen muss, was spiegelt der Andere, über den ich mich aufrege, in meinem Umgang mit mir selbst. Ja, und Du hast recht, es gibt immer einen Weg, nur manchmal liegt er dort, wo wir ihn nicht vermuten.
Ich wünsche Dir viel Glück.
Liebe Grüße
Gabriele
Nathaniel Branden hat wirklich eine Menge auf dem Selbsthilfemarkt geleistet. Seine Ansätze zum Selbstwertgefühl sind ja irgendwie die Grundlage für fast alles weitere, was heute gelehrt wird.
Der Blick nach Innen fehlt heute wirklich vielen Menschen. Im äußeren Stress fühlt man sich ja doch irgendwie wohler (bequemer). Oder geht das nur mir so? 😉
lg, Arne
Oh, ich finde Schreibübungen immer total spannend! Das Unterbewusstsein nimmt es einfach viel besser wahr als wenn man sich es nur im Kopf denkt! Danke für diese Übung und die ganzen Beispiele! 🙂
Faszinierend!
Ich habe das gleich mal ausprobiert.
Ich dachte anfangs, ich müsste lange überlegen, aber es fing einfach an zu sprudeln, die Vervollständigungen des Satzes kamen schneller, als ich schreiben kann. XD und mit jedem weiteren Satz kam ein immer stärker werdendes Gefühl in mir hoch. Es hat sich schon irgendwie schmerzhaft angefühlt, aber auch irgendwie richtig! Süßer Schmerz! 😀 Ich muss dazu sagen, dass ich auch einen Satz genommen habe, der mich momentan am meisten bewegt.
Diese Technik ist super, vor allem um Vergangenes zu verarbeiten, Wunden zu heilen. Wenn man nicht genau weiß, wo diese herkommen und verankert sind. Danke dafür!
Liebste Grüße
Nessa
Wirklich eine inspirierende Idee!
Leider klappt es bei mir so gar nicht. Ich kann einfach überhaupt nichts zu Papier bringen, fühle mich total blockiert. Gibt’s eine „Vorübung“ zum locker werden?
Schöne Übungen, um bewusster zu werden. Bleibt noch zu hoffen, dass wir auch dies gelassen angehen und auch die Gefühle und Erkenntnisse erlauben, die zu uns dringen wollen
Hallo lieber Tim,
ich folge Dir auf Facebook und habe diese Übung heute entdeckt. Einige Sätze habe ich gleich beantwortet und war über einige Antworten …. sagen wir mal erstaunt, wenn nicht gar schockiert …. aber mindestens überrascht.
Da kam Einiges hoch!!
Ich habe es heute erstmal abgebrochen und muss darüber schlafen. Aber ich bleibe dran!
Vor allem bin ich gespannt auf die Antworten auf den 2. Satz, was mir helfen könnte. Ob da die Antworten auch so hochsprudeln?
Und ganz allgemein möchte ich einfach mal Danke sagen, für die vielen Anregungen die Du gibst!!
ganz liebe Grüsse
Bea
Hi Tim,
ich finde die Übung auch sehr interessant und frage mich nun, wie man am besten aufkommende Themen „bearbeitet“…soll man sich versuchen in aufkommende Gefühle oder vergangene Situationen hineinzufühlen, um dabei möglichst das herrschende Gefühl wahrzunehmen was da hochkommt oder ists besser gezielt immer wieder die Gedanken um das Thema kreisen zu lassen oder wie begegnest du alten hochkommenden Geschichten am Besten?
Lg Christoph