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Eine taoistische Geschichte erzählt von einem Baum, der alt und krumm war, mit Ästen wie knorrigen Tentakeln. Eines Tages lief ein Jünger bei einem Botengang an ihm vorüber. Er betrachtete das unnütze Ungestüm, und berichtete seinem Meister Laotse nach der Rückkehr, was er gesehen hatte.

Laotse lachte. Er sagte:

„Sei wie dieser Baum. Bist Du nützlich, wirst Du zersägt und zu Möbelstücken im Haus eines anderen gemacht. Bist Du schön, wird man Dich zur Ware machen und auf dem Marktplatz verkaufen. Sei wie dieser Baum … völlig unbrauchbar. Dann wirst Du in Ruhe wachsen können und alt werden und Tausende werden Schatten unter Dir finden.“

„Jedermann weiß“, fügte Laotse hinzu, „wie nützlich es ist, nützlich zu sein. Niemand scheint zu wissen, wie nützlich es ist, unnütz zu sein.“

Man konnte den Baum nicht zu Geld machen, doch hatte er viel Zeit in seinem Leben und stiftete über eine Menge Wert, indem er seine Natur erfüllte.

Angepasst und nützlich, aber (fast) tot.

Heute wollen Wirtschaft und Politik uns Menschen zu Geld machen. Wir sollen 10, 12 Stunden am Tag fleißig strampeln, um Dinge zu produzieren, für die wir später unseren Lohn wieder ausgeben. Wirklich besser stehen am Ende nur die Unternehmen da. Wir hingegen „verstehen überhaupt nicht zu leben, wir nutzen uns nur ab“, wie Charles Bukowski schrieb.

Damit wir als brauchbare Arbeitnehmer und Käufer verarbeitet werden können, sollen wir gerade wachsen, einer wie der nächste geformt. Und so schneiden uns die Eltern und Verwandten, die Lehrer in der Schule, die Ausbilder und Professoren alle Äste ab, die überstehen. Am Ende passen wir wunderbar in die Standardform. Doch werden mit den schiefen und krummen Ästen, die unvernüftig in den Himmel ragten, als wollten sie ihn berühren, auch unsere Träume, unsere Einzigartigkeit, unsere Natur zurechtgestutzt. Teile von uns sterben ab, weil sie nicht mit Liebe gegossen, sondern mit scharfen Worten, schlechten Noten, Einträgen ins Muttiheft, Stubenarrest und anderen Strafen malträtiert wurden. Meist erfolgen die Strafen nicht einmal aus Bosheit, sondern weil es die Bestrafer selbst vor Jahrzehnten von den Mühlen des Systems zermalmt wurden und Angst vor dem Leben jenseits der Formfleisch-Maße haben.

Eine ausweglose Situation?

Nein.

Wie ein Baum neue Äste treiben kann, solange er lebt, können auch wir unsere Träume und unsere einzigartige Lebendigkeit neu wachsen lassen.

Unangepasst und unnütz, aber lebendig.

Wer unnütz wie ein hässlicher, alter Baum werden will (und wer will das nicht?), der muss vor allem seine eigenen Zügel lockern.

Mit aller Gewalt versuchen wir, immer nützlicher zu werden. Uns so zu formen, dass uns die größten Unternehmen in den bestbezahlten Jobs und als bestzahlende Käufer verarbeiten wollen. Noch einen Abschluss, noch ein Zeugnis mit Top-Noten, zu dem wir uns prügeln, noch eine Karrierestufe, die wir mit zusammengebissenen Zähnen erreichen wollen …

… statt die eigene Natur ihren Lauf nehmen zu lassen und zu schauen, wohin uns das führt, welche Äste, Blätter und Blüten ans Licht kommen und sich entfalten wollen.

Nichts Bestimmtes erreichen, nichts Bestimmtes werden wollen.

Nur sein und werden, was man wirklich ist.

Unangepasst und für die Unternehmen dieser Welt vielleicht nutzlos, aber lebendig.

Wer weiß, wem wir dann Schatten, Kraft und frische Luft spenden?

Siehe auch Ein bedeutsames Leben braucht keine Karriere.

Photo: A Guy Taking Pictures