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Wahre Ruhe ist nicht Mangel an Bewegung. Sie ist Gleichgewicht der Bewegung.
– Ernst Freiherr von Feuchtersleben

Im Gleichgewicht leben, in Balance – danach streben sehr viele von uns, mich eingeschlossen. Leicht ist das nicht. Vor allem dann, wenn wir eine falsche Vorstellung davon haben, was das Leben im Gleichgewicht eigentlich bedeuten soll.

Die Balance der Steinmenschen

Lange Zeit kam mir ein Stein in den Sinn, wenn ich mir diese Balance vorstellte. Der Fels in der Brandung, an dem alles abprallt, während er an einer Stelle ruht. Muss er ja auch, schließlich sind Steine nicht gerade die agilsten Zeitgenossen. Da fällt mir eine Folge vom RTL „Familienduell“ aus den 90ern ein, als eine Frau gefragt wurde: „Nennen Sie eine Sache, die man mit Steinen machen kann.“ Ihre Antwort war, was auch sonst, „Einen Steinmenschen bauen!“. Als ich früher an Balance dachte und mir mein Leben in Balance ausmalte, war ich ein solcher Steinmensch. Wind und Wetter und Wellen würden kommen können, und ich, ich würde nicht mal mit dem Steinfußzeh wackeln.

Erreicht habe ich dieses Stadium, in dem Gedanken und Gefühle eins und alle Spannungen aufgehoben sind und die Witterung egal wurde, nie. Oder vielleicht doch, aber nur mal für ein paar Momente. Warum? Erstens ist das fast unmöglich. Zweitens versprach ich mir davon zwar Sicherheit, einen dicken geraden Strich auf dem chaotischen Bild, das das Leben zeichnet. Wenn ich aber länger hinschaute, kam mir der Strich doch wie eine verdammte Nulllinie auf dem Herzmonitor im Emergency Room vor, im Innenleben und im Außenleben.

Das ist die eine Weise, Leben im Gleichgewicht zu betrachten. Die, die ich für ein Missverständnis halte.

Die Balance der Seiltänzer

Drei Uhr morgens, die letzte Eckkneipe schenkt kein Bier mehr aus, von hartem Zeug ganz zu schweigen, also zieht Detlef seinen Mantel an. Dauert zwar ein bisschen, weil er sich in seinem Zustand mit den Ärmeln verheddert. Dann stolpert er raus aus der Tür, hält sich noch mal kurz fest und es ist scheißekalt, aber davon merkt er gar nicht viel, und dann setzt er einen Fuß vor den anderen, schwankt, und wird bald übermütig. Ein kleiner Windstoß reicht, um ihn völlig aus dem Lot zu bringen. Er geht zu schnell. Wenn er einen Rechtsdrall hat, landet er im rechten Straßengraben, dann drallt’s von links und Detlef im Straßengraben, dieses mal im linken.

Ganz anders als die bewegungslosen Steinmenschen und der Trunkenbold Detlef: die Seiltänzer. Sie bewegen sich, und kommen gerade deshalb immer wieder ins Gleichgewicht. Die Welt mag ihnen Wind von rechts oder links an die Backe pfeifen, Regentropfen mögen das Seil hier und da rutschig machen – die Akrobaten schaffen es dennoch, nicht in den Abgrund zu stürzen.

Kein einziger ihrer Schritte muss dazu in sich perfekt ausgewogen sein. Besonnen passt er seine Schritte immer neu an, steuert Ungleichgewichten entgegen und hält sich so in Balance.

Aufs Leben übertragen: mal hat der eine Lebensbereich Übergewicht, mal der andere. Mal sind wir zornig, dann besinnen wir uns wieder. Mal packt uns die Angst an den Eiern, doch lassen wir uns nicht von ihr in den Tod reißen, nein, wir erkennen die Situation, akzeptieren sie und steuern mutig dagegen. Auf diese Weise sind unser Herz und unser Hirn regelmäßig friedlich und klar.

Wie das Leben im Gleichgewicht gelingen kann

Seiltänzer können umso größere Herausforderungen bewältigen, je länger der Stab ist, mit dem sie das Gleichgewicht herstellen können. Knapp überm Boden reichen die Arme noch zum Rudern. Doch über einer Kluft bedienen sie sich dieser meterlangen flexiblen Stäbe, die wir alle aus dem Zirkus oder Fernsehen kennen.

Wo ich früher Steinmensch werden wollte, will ich heute lernen, in Bewegung zu bleiben … ein ums andere mal besonnen auf den mittleren Pfad zusteuernd. Je größer unser Stab (an inneren und äußeren Ressourcen) zum Balancieren, umso leichter ist es, auch schwere Stürme auszuhalten.

Hier einige Wege, den Stab zum Balancieren zu vergrößern:

  1. Erkennen und zulassen: bevor wir etwas loslassen können – eine ungesunde Beziehung, einen Job, der uns aussaugt, Zorn, der uns krank macht – müssen wir es zulassen. John Bradshaw schreibt in „Das Kind in uns“ davon, was Wissenschaftler bewiesen haben: Tränen transportieren stresserzeugende Substanzen ab, die sich angesammelt haben, während wir emotional erregt waren. So findet das Gehirn auf natürlichem Weg wieder in ein Gleichgewicht zurück – es lässt die traurigen Gefühle abfließen. Das passiert jedoch nur, wenn wir unsere Gefühle und unsere Tränen nicht unterdrücken. So sollten wir zulassen, unser inneres und äußeres Leben so wahrzunehmen, wie es ist – nur dann wissen wir, in welche Richtung wir gegensteuern müssen.
  2. Allem Platz geben: wer jahrelang bis nachts im Büro hockt wird kaum eine erfüllende Beziehung führen können. Wer in seiner Freizeit immer unter Menschen ist und sich nie zurückzieht hat kaum Zeit nachzudenken, sich einem Buch oder der Musik in Ruhe hinzugeben. Klar gibt es Zeiten, in denen der eine Lebensbereich überwiegt, und dann mal der andere. Mal seichte Unterhaltung, mal tiefere. Mal Konzentration, mal Zerstreuung. Mal Input, mal Output. Mal Ziele setzen, und mal einfach nur hinsetzen. So sollten wir keinen Bereich auf Dauer übergehen, wenn der Bereich nicht untergehen soll. Wann hast Du das letzte Mal nackt in einem See gebadet, wann zuletzt mit Freunden zusammengesessen, wann ganz fokussiert an etwas gearbeitet?
  3. Reisen, nach innen und nach außen: auch Reisen gehört dazu, in Bewegung zu bleiben. Ich bin ziemlich reisekrank und auch deswegen nicht gerade geil drauf, ständig global auf Achse zu sein, doch ich reise gern in die Parks in München und an die Isar. Und nach innen sowieso: nichts anderes ist myMONK als ein Bericht über meine mal weiten, mal nicht so weiten Reise zum „inneren Mönch“, den in uns allen wohnt.
  4. Atmen: Dennis Lewis drückte es so aus: „Im bewussten Umgang mit dem Atem sieht der Taoist nicht nur eine wirksame Methode, Energien aus der äußeren Welt in sich aufzunehmen, sondern auch die energetischen Wege unserer inneren Welt zu ordnen und damit Körper, Geist und Seele in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen.“ Ich kenne keine wirkungsvolleren Wege zurück ins Gleichgewicht als die Atemübungen. Ruhig und tief in den Bauch einatmen, ruhig und gründlich ausatmen. Zwei Sekunden Pause. Dann wieder einatmen …
  5. Das Kleine ernst nehmen, das Große auch mit Humor: konzentrieren wir uns auf die kleinen Tätigkeiten, etwa darauf zu essen und dann abzuwaschen, können wir in diesen einfachen Dingen das ganze Leben auskosten. Und anders herum: was sind unsere Entscheidungen und Erfahrungen schon im ganzen Kosmos als ein kleiner Scherz, der schneller vergessen ist als ein Fliegenfurz im Kuhstall? Klar bliebt mir schnell das Lachen im Hals stecken, wenn’s ganz anders läuft als gedacht, doch möchte ich nicht daran ersticken, sondern es nach einiger Zeit auch wieder herauslassen.

Wenn ich gelernt habe, auf diese Weise im Gleichgewicht zu bleiben, erst dann kann ich vielleicht auch das absolute Gleichgewicht mir erlangen, von dem Laotse im Tao te King schreibt:

Der, der das Gleichgewicht hält
jenseits des Wechsels von Liebe und Hass,
jenseits von Gewinn und Verlust,
von Ehre und Schmach,
hält die höchste Stellung in der Welt.

Was bedeutet Leben im Gleichgewicht für Dich – und was tust Du, um es zu finden?

 

Photo: Folgen ╚ DD╔