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Wie wäre das: aufstehen, wenn man von selbst wach wird – nicht, wenn der Wecker klingelt. Frisches Obst und Gemüse essen, das man eigens angebaut hat – statt Konserviertes aus der Plastikwelt. Statt in Feindschaft in Gemeinschaft leben. Sich selbst versorgen, an der frischen Luft – statt jede Minute des Tages in Wohnungsboxen, Autoboxen, U-Bahn-Boxen und Bürobochsen zu verbringen. Ein Interview mit Lisa und Michael, die mit ihrem „Experiment Selbstversorgung“ ausprobieren (und zeigen), wie man selbstbestimmt und verantwortungsvoll im Einklang mit der Natur leben kann.

Hi und vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für das Interview nehmt. Eure Lebensweise ist sicher für viele myMONK-Leser sehr interessant. Wie geht’s euch gerade … und wo seid ihr, während ihr die Fragen beantwortet? Was seht und hört ihr um euch herum?

Hallo Tim. Wir sind gerade daheim im schönen Südburgenland. Im Moment ist es spät, also sitzen wir im Haus und hören nur das Ticken der Pendeluhr. Tagsüber hören wir zahlreiche Vögel die hauptsächlich am Waldrand an der Grenze unseres Grundstückes unterwegs sind.

Wie sah euer Leben vor dem „Experiment Selbstversorgung“ aus? Was hat für euch daran nicht mehr gepasst? Und was bedeutet „Freiheit“ für euch?

Wir beide sind schon lange Zeit politisch aktiv und lebten auch schon vor unserem bäuerlichen Leben sicher alternativer. So war es für uns normal, für die eigenen Überzeugungen einzustehen und politisch aktiv zu sein. Wir gingen containern, so lange wir gemeinsam in Wien wohnten. Lisa ging ihrem Studium nach und ich war als Selbständiger auch meine 40 bis 50 Wochenstunden eingespannt.

Im Prinzip gab es nicht die eine, klar zu benennende Sache, die daran nicht gepasst hätte. Wir bemerkten eben, dass es nicht einfach ist, die Verantwortung für die Folgen unserer Handlungen zu übernehmen, wenn meine Handlungsoptionen beim Gemüsekauf zwischen „bio in Plastik“ oder „konventionell ohne Verpackungsmüll“ besteht. Oder andere bestimmen, was ich wie und wann arbeite.

Kann ich so zufrieden werden? Eher nicht, dachten wir uns. Und setzten Schritt für Schritt in die Richtung, in die wir immer noch unterwegs sind. Unser Ziel: Freiheit und Zufriedenheit. Und so war und ist es ein Prozess des Wandels – kein schlagartiger Umbruch.

Freiheit bedeutet für uns, selbstbestimmt zu leben und nicht bevormundet zu werden. Freiheit erfordert aber auch Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein. Sonst hilft einem Freiheit nicht zur Zufriedenheit. Oder sie wird zur Schein-Freiheit.

Welche Vision hattet und habt ihr für das Experiment?  Was wollt ihr, und was wollt ihr nicht?

Unser Experiment Selbstversorgung ist ein Teil unseres Lebens. Die Vision hierbei war, möglichst viel selbst zu erzeugen. Natürlich ökologische Lebensmittel. Aber auch in allen anderen Bereichen wollen wir nach und nach vieles selbst machen.

Wir wollen dabei ständig lernen – gerade von älteren Menschen in den Gemeinden um uns herum – und uns stets weiterentwickeln. Wir möchten die Idee der Selbstversorgung und der Selbstorganisation dabei nicht sektiererisch als etwas auf uns beschränktes wie heldenenhafte Einzelkämper*innen erreichen und auf Zwang 100 % Autarkie erreichen. Das ist auch bei ehrlicher Betrachtung nicht wirklich möglich.

Unser Bestreben ist viel mehr, dass wir mit anderen gemeinsam ein regionales Netzwerk aus Menschen und Höfen aufbauen, die sich gegenseitig unterstützen, austauschen und so zusammen einen hohen Autarkie-Grad erreichen. Aber immer nur so weit, wie es zufrieden macht und nicht zum verkrampften, dogmatischen Wettlauf wird.

Mehr zu unserer Vision kannst Du unter http://experimentselbstversorgung.net/unsere-vision/ nachlesen.

Wann habt ihr angefangen, eure Vision in die Tat umzusetzen? Was haben eure Mitmenschen über euer Vorhaben gesagt?

Das war eher fließend – wir haben ja in Wien schon in der Kleingartenanlage begonnen, ein wenig Gemüse anzubauen. Die Selbstorganisation war auch dort schon ein großer Punkt. Aber das, was wir als „Experiment Selbstversorgung“ bezeichnet haben, lässt sich schon datieren. Wir sind Ende 2009 gemeinsam auf einen Hof gezogen und haben dort begonnen, in größerem Umfang für uns anzubauen.

In unseren Familien und unseren persönlichen Umfeldern haben wir ganz überwiegend Interesse gespürt und Unterstützung erfahren. Ganz wenige haben sich Sorgen gemacht, wie wir unser Leben auf diese Weise so leben wollen, dass wir auch „im Alter“ versorgt sind. Aber da haben wir nicht so große Ängste.

Welche „Meilensteine“ fallen euch zuerst ein, wenn ihr zurückblickt auf alles, was ihr seit dem Start geschafft habt?

Wir können schwer „Meilensteine“ nennen, da wir uns keine messbaren Ziele gesetzt haben. Wir erleben das Ganze als lebendigen Prozess zwischen uns und unserer Umwelt. Wir messen auch nicht. Können also nicht sagen, ob wir nun letzten Sommer 80 Prozent Selbstversorgung gelebt haben oder 90 Prozent oder 70. Weil es uns auch egal ist.

Wer einen ähnlichen Weg geht wie wir, um fixe Ziele zu erreichen und die beste Selbstversorgerin der Welt zu werden oder total unabhängig vom ach so bösen System, macht es recht offensichtlich aus ganz anderen Gründen wie wir.

Wir leben einfach. In Verbindung mit der Natur, produktiv tätig und im Hier und Jetzt. Das macht uns zufrieden. Und schenkt uns Freiheit. Das „Experiment Selbstversorgung“ ist dabei ein Ausschnitt, den wir über das Internet mit allen Interessierten teilen. Aber neben dem Selbstversorgungs-Aspekt, den ich auch aus ganz anderen Motivationen verfolgen kann, besteht unsere Lebensweise ja noch aus weiteren Punkten.

Wie sieht ein typischer Tag auf dem Hof für euch aus? Arbeitet oder studiert ihr noch nebenbei?

Das Schöne an unserem Leben ist ja, dass es keinen „typischen Tag“ gibt. Jeder Tag sieht anders aus. Unsere Tätigkeiten sind so vielfältig und ändern sich in allen Bereichen das gesamte Jahr hindurch. Es ist also schwer, hier einen Tagesablauf zu beschreiben. Was die Tage gleich haben: Wir stehen auf, wenn wir ausgeschlafen sind, was zwischen fünf und acht Uhr ist. Wecker sind eine ganz arge Geschichte für Psyche und Körper. Und wir lassen uns viel von der Natur anleiten. Das Wetter und das Tageslicht haben einen sehr großen Einfluß darauf wann wir etwas tun.

Lisa schließt gerade ihr Studium in Umweltpädagogik ab. Sie baut und verkauft auch Hula Hoop Reifen.

Ich arbeite als Projekt-Koordinator im IT-Bereich, als Campaigner und Moderator.

Unser Ziel ist dabei, dass wir nicht mehr als jeweils 15 bis 20 Stunden die Woche in diesen Tätigkeiten verbringen.

Machen Verzicht und Selbstversorgung glücklicher und gelassener? Wenn ja, warum?

Uns macht unser Weg auf jeden Fall glücklicher und gelassener. Denn wir erleben es als Freiheit und wir lieben dieses eingebunden sein in die Natur.

Andere kann aber der exakt selbe Weg ziemlich unzufrieden machen. Denn wir Menschen sind ja zum Glück individuell. Und so sind auch die Wege individuell, die uns zufrieden machen. Viel wichtiger ist, reflektiert zu leben, Verantwortung für die Folgen der eigenen Handlungen zu übernehmen und sich selbst anzunehmen.

Ob Verzicht zu Glück oder Gelassenheit führen kann, weiß ich nicht, da ich auf nichts verzichte. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das funktionieren soll. Verzicht ist ja, wenn ich etwas nicht mache oder konsumiere, auf das ich Lust habe. Und das fände ich eine komische Herangehensweise.

Ich für meinen Teil hinterfrage halt Wünsche, die ich habe. Woher kommen die? Macht mich deren Erfüllung auch nur kurzfristig wirklich zufriedener? Und ich habe mir abgewöhnt, Wünsche sofort zu erfüllen. Manche trage ich nun schon seit Jahren mit mir herum – und ich weiß, dass mich deren Erfüllung nun gar nicht mehr zufrieden machen kann, weil das Bild von der Erfüllung schon so idealisiert ist, dass die Realität daran scheitern muss.

Die Idee von Verzicht ist also nonsense. Besser ist, eine Lebenseinstellung und Geisteshaltung zu entwickeln, die all diese Wünsche erst gar nicht mehr aufkommen lassen. Erich Fromms „Haben oder Sein“ sei hier allen ans Herz gelegt.

Wie viel Geld kostet es, auszusteigen und sich selbst zu versorgen?

Da wir weder ausgestiegen sind, noch das je vorhaben, weiß ich das nicht genau.

Bei der Selbstversorgung kommt es aber völlig auf den Weg an, den Du einschlägst. An den ersten Höfen, an denen wir waren, hatten wir Wohnräume und Platz für unseren Anbau gegen Mitarbeit – also kostete es kein Geld für Pacht oder Miete. Im Moment pachten wir einen schönen Platz.

Dann kommt es auch darauf an, ob und wie eine Person versichert sein will, ob das Saatgut durch Netzwerke zur Verfügung steht, getauscht wird oder zur Gänze gekauft werden muss. Und so weiter.

Also viel zu komplex für eine simple Antwort. Aus unserer Erfahrung kann ich nur sagen: Es ist sehr günstig möglich.

Was ratet ihr Menschen, die wirklich gern aussteigen und sich selbstversorgen wollen … denen aber der Mut fehlt?

Ehrlicher Ratschlag: Lasst es im Moment einfach bleiben. Geht öfter mal tief in Euch und fragt, ob ihr das wirklich wollt und warum. Denn solche Wünsche können auch einfach das Resultat des Bedürfnisses sein, wegzulaufen. Auszubrechen aus einer Lebenssituation, die einen im Moment unzufrieden macht.

Mut ist nötig, um Ängste zu überwinden. Ängste aber sind oft genau dazu da, uns zu schützen. Nicht die übertriebenen Ängste, die wir uns in der Gesellschaft gegenseitig in den Kopf setzen. Wenn aber eine tiefe Unsicherheit oder Angst wegen eines angedachten Schrittes da ist, dann sollte man vielleicht darüber nachdenken.

Ich glaube fest daran, dass ein Leben wie unseres auch unzufrieden machen kann, nämlich dann, wenn die Motivation eine negative ist. Wenn Menschen sich selbst versorgen, weil sie müssen und keine andere Wahl haben, wie das bei vielen Menschen auf dieser Welt der Fall ist, werden die es schwerer haben als Lisa und ich, daraus Zufriedenheit zu schöpfen. Wenn jemand „aussteigen“ will oder sich selbstversorgen, aus Angst vor einem Zusammenbruch des Systems, dann wird diese Person die wundervollen Tätigkeiten am Hof vielleicht nicht als solche erleben, sondern als not-wendige Arbeiten, um zu überleben.

Menschen, die wieder eine Verbindung zur Natur aufbauen, die das Leben lieben und den Umgang mit dem Lebendigen, Menschen die gewohnt sind, mit den Veränderungen die sie sich wünschen einfach selbst anzufangen und sie freudvoll leben, werden diese Angst vor dem Schritt Richtung Freiheit weniger und weniger spüren – bis es sich einfach nur richtig und gut anfühlt, diesen Schritt zu setzen.

Und bis dahin: einfach ausprobieren! Fang einfach mit ein wenig Selbstversorgung an. Tipps dazu findest Du in Lisas Artikel „Selbstversorgung für Anfänger_innen“. Oder vernetze Dich mit anderen Interessierten im Netzwerk Selbstversorgung. Und besuche Höfe und Projekte, die Dir zusagen und arbeite dort zwei Wochen mit. Dann wirst Du mehr und mehr spüren, ob Du durch diesen Weg zufrieden werden kannst. Andernfalls zahlt sich das Ganze eh nicht aus.

Sucht ihr noch Leute, die mitmachen? Welche Voraussetzungen müsste jemand erfüllen, der sich euch anschließen will?

Klar, wir suchen unendlich viele Menschen, die mitmachen, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen. Die mitmachen bei Selbstversorgung, Selbstbestimmung, Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. Wir suchen unendlich viele Menschen, die mitmachen bei Ernährungssouveränität und kritischem Denken. Wir suchen immer Menschen, die das Leben wieder leben, ihrem eigenen Dasein Sinn verleihen und die Welt zu einem schönen Ort für alle machen wollen.

Bei uns direkt kann niemand einziehen. Das möchten wir auch nicht. Ein Zusammenleben in einem Haushalt oder einer Hofgemeinschaft kann nicht einfach geplant oder vorgeschrieben werden. Das muss sich wenn überhaupt entwickeln.

Für uns viel interessanter ist, dass Menschen und Projekte sich vernetzen. Gerne auch digital. Aber vor allem in der Region, in der sie leben. Und da sind wir natürlich durchaus interessiert, dass immer wieder mal jemand wirklich Gleichgesinntes in unsere Gegend zieht.

Wo können die Leser mehr über euch und euer Projekt erfahren?

Wir schreiben regelmäßig Artikel auf unserem Blog www.experimentselbstversorgung.net die Einblicke geben und hoffentlich zum Träumen und Nachahmen einladen. Mehr Fotos als dort und auch mal den ein oder anderen Link-Tipp gibt es über unsere Facebook-Seite www.facebook.com/selbstversorgung.

Herzlichen Dank!

 

Hier noch zwei Fotos vom Ort des Experiments:

Das Haus und die Holzvorräte

Das Haus und die Teilnehmer des Sommercamps 2012