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Der Weg zu allem Großen geht durch die Stille.

– Friedrich Wilhelm Nietzsche

Malte Loos unterrichtet Karate, Meditation und Qi Gong in Berlin und leitet Seminare zum Thema „innere Stille“. Warum er nach seinem VWL-Studium nicht einfach in der Wissenschaft oder einem Unternehmen als Wirtschaftler gearbeitet hat, und welche Rolle ein alter Karate- und Zenmeister und die innere Stille dabei spielt, verrät Malte im Interview.

Das Interview ist etwas länger als gewohnt, wenn ihr direkt zu einem Teil springen wollt, klickt einfach hier:

Teil 1: Am falschen Platz?

Teil 2: Von Karatemeistern und inneren Kampfkünsten

Teil 3: Warum Stille so wichtig für uns ist

Teil 4: Eine Übung für innere Stille

 

Hallo Herr Loos, herzlichen Dank, dass für sich für das myMONK-Interview bereiterklärt haben. Wenn Sie in diesem Moment in sich hineinhören, was hören Sie da?

Auf verschiedenen Ebenen passiert da Verschiedenes. Im Laufe der Jahre hat sich zu meiner Freude eine stille Einheit im Innern gebildet, in der viele Barrieren gefallen sind und die sich über das gesamte Sein erstreckt. Innerhalb dieses weiten Raumes kann das Bewusstsein sich frei entfalten. Das betrifft sowohl Körperliches, also die Wahrnehmung der eigenen Organe und ihrer Aktivität, als auch Geistiges, wenn aus der Tiefe die Intuition hochsteigt und die Leere erfüllt. Man guckt da wirklich ein bisschen durch sich durch bin in den Erdboden. Die Tiefe der Verwurzelung ist schon sehr schön anzusehen, genau wie die Wärme, die sie im Innern verbreitet und die Leichtigkeit, die sich einstellt,wenn man sein Sein machen lassen kann. Insgesamt fühlt es sich sehr still und tief an.

Am falschen Platz?

Obwohl Sie sehr gut im Studium waren und sich lange Zeit als zukünftiger VWL-Professor gesehen haben, hatten Ihre Mitmenschen offensichtlich immer den Eindruck, Sie seien am falschen Ort. So fragten sie Sie zum Beispiel immer wieder „Was machst Du hier eigentlich?“. Wann waren Sie bereit, diese Frage nicht weiter zu verdrängen?

Das war ein langer Prozess. Das Bewusstsein spielt einem da ganz schön Streiche. Natürlich war mir immer klar, dass ich „anders“ war als meine Kollegen, mehr an poetischer Tiefe und Sinn interessiert und weniger harter Rechner. Nur war ich völlig darauf fixiert, den von mir gesuchten Sinn unbedingt in der Bedeutung volkswirtschaftlicher Forschung für die Menschheit zu finden, oder zumindest in der Schönheit der Mathematik. Einen anderen Weg gab es für mich einfach nicht.

Das blieb auch noch lange so, als jedermann klar sein musste, dass ich mich schlicht geirrt hatte, dass das Leben als theoretischer Forscher eben nicht mein natürliches Umfeld war und dass das Projekt so nicht funktionieren würde. Weder produzierte ich wahrlich menschheitsbewahrende Forschung noch zog ich irgendwelche Befriedigung aus meinen Anstrengungen. Trotzdem klammerte ich mich noch jahrelang mit Macht an diese fixe Vorstellung, bis ich einfach keine Kraft mehr hatte und sie meinen Händen regelrecht entwunden wurde.

Solche Einengungen der eigenen Vorstellungskraft zu lösen und Raum zur freien Selbstbestimmung zu schaffen ist seither zentrales Thema meiner Arbeit geworden.

Was war das für ein Gefühl, sich einzugestehen, dass Sie womöglich wirklich für lange Zeit am falschen Platz in dieser Welt waren?

Da gab es in der Tat einen konkreten Wendepunkt. Da sass ich eines Sonntags nachmittags in meinem Büro am MIT. Am Morgen hatte ich ein Karateturnier geleitet und irgendetwas, ein Austausch mit einem der Wettbewerber, ein völlig themenfremder, stiller Moment, hatte etwas in mir aufgeweicht und zum Nachgeben gebracht. Und dieses Nachgeben breitete sich in meinem Bauch aus, bis er ganz davon erfasst war und wie eine Springflut das ganze, verfestigte Gebäude des alten Lebens aus mir herausquoll. Das lief einfach und lief und lief verschwand schliesslich in der Ferne eine Anhöhe erklimmend am Horizont.

Das war‘s.

Da hatte sich mein Inneres endlich seinen Weg gebahnt und die alte Vorstellung losgelassen. Eine Woche später hatte ich mich aus dem akademischen Betrieb verabschiedet.

Das Sein sich selbst bestimmen zu lassen und zu akzeptieren, was es einem sagt, ist seither zu einer bestimmenden Leitlinie meines Lebens und meiner Arbeit geworden.

Haben Sie auf Ihrem Weg viele Menschen getroffen, bei denen Sie das Gefühl hatten, sie seien am falschen Platz (oder die selbst etwas derartiges spürten)? Wenn ja, geht es so vielen Menschen so?

Kein Mensch existiert alleine, man ist immer eingebettet in seine Umgebung und nur mit ihr zusammen definiert. Dabei ist es ganz ähnlich wie im Verhältnis zu sich selbst. Man kommt in dem Maße an und verankert sich am richtigen Platz,  in dem man es schafft, sich mit den richtigen Tiefenräumen der umliegenden Welt zu verbinden. Ganz wie im Verhältnis zu sich selbst gelingt dies umso besser, je weniger man danach strebt, je weniger man die Verbindung nach aussen zu steuern sucht und je tiefer die Beruhigung der eigenen Existenz geht, so dass die richtigen Anknüpfungspunkte in der Welt sich spontan offenbaren.

Innerlich ruhig zu bleiben ist angesichts der Interaktion mit der Umwelt, die einem von dieser häufig auferlegt wird, nicht einfach. Viele Teile der Umwelt sind eher hart als weich und wirken auf Abschliessung als auf Öffnung hin. Insbesondere jede Wirtschaftsorganisation muss ja gerade den Willen der Arbeitnehmer auf ein äusseres, ihnen fremd vorgegebenes Ziel lenken, Abläufe automatisieren und Hierarchien schaffen, die es erst möglich machen bei komplexen Aufgaben nicht immer wieder am Nullpunkt zu beginnen. Sich innerlich los und neu entstehen zu lassen, sich aufzudecken und mit der Welt in originärer Schöpfung zu verbinden, wird natürlich nicht einfacher, wenn ein großer Teil der eigenen Existenz in vorgeschriebenen Formen festgehalten und automatisiert ist.

Je tiefer die eigene Stille ist, desto größer aber ist die Chance, nicht von der äusseren Verfasstheit völlig ergriffen zu werden, und, während äußere Teile des Seins festgehalten und bestimmt sind, im Innern sich still erneuern zu können und sich auf tiefer Weise am „richtigen“ Platz zu befinden. Dann mag immer noch nicht tiefen Sinn stiften, was man tut, aber es wiegt nicht so schwer,  man ist immer noch im Kern „richtig“ und verbunden. Wenn der Entfremdungsschmerz aber zu tief geht, und die Unruhe eine innere Verbindung nicht mehr zulässt, kann es sein, dass man nur mit einer äusseren Veränderung die innere Druckstelle lösen kann.

Ein nicht unerheblicher Teil davon ist schlicht Glück.  Um in einer Organisation wirklich anzukommen und erfolgreich zu sein hilft es sehr, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht zu sehr von deren Kanten und Einschränkungen bedrückt werden. Man muss eben nicht nur Begabungen haben, sondern eben auch manche Talente nicht, sonst schaffen deren Bedürfnisse ständige Reibung, die große Bremswirkung entfalten kann. Nach oben schwimmen nicht immer die Begabtesten, sondern die, die am besten passen.

Von Karatemeistern und inneren Kampfkünsten

Sie begannen, sich in Kampfkünsten zu üben, später wurden die „inneren Kampfkünste“ wie Qi Gong  und Meditation immer wichtiger für Sie. Was kann man in Kampfkünsten über sich und die Welt lernen – und was mit Qi Gong?

Natürlich kann man auf unterschiedlichen Ebenen ganz verschiedene Dinge aus Kampfkunst, Qi Gong oder meditativer Arbeit lernen. Das aus meiner Sicht Wichtigste aber ist, dass sie einen Weg in die innere Wahrheit darstellen. Das scheint im Falle der Kampfkunst auf ersten Blick vielleicht etwas überraschend. Aber je weniger innere Hindernisse man in sich trägt,  desto leichter wird der Körper auch physisch und je weniger man sich selbst die Welt zustellt, desto einfacher kann man auch den Weg zu einem Ziel oder zu einem Gegner finden. Darum ist sich von inneren Hindernissen zu befreien auch für Kampfkünstler enorm wichtig.

Sowohl Kampfkünste als auch Qi Gong eröffnen einem einen Weg, den man aber immer noch selber beschreiten muss. Ganz gleich welche Werkzeuge man einsetzt und Hilfen in Anspruch nimmt, ist, sich nach innen zu wenden und sich Raum zu geben, sich selbst wahrlich zu sehen, knochenharte Arbeit. Dabei können Kampfkunst, Meditation und Qi Gong helfen, indem sie den Übenden entspannen und auf tiefen Ebenen anregen und öffnen.

Man kann aber noch so viel üben und sich trotzdem an den wichtigen Fragen vorbeimogeln. Das gilt sowohl für Kampfkunst als auch Qi Gong oder sogar Meditation. In allen macht man etwas und kann sich damit ablenken, das Getane zu perfektionieren. Davon abzulassen und wirklich nichts mehr zu tun, nicht mehr zu denken und nicht mehr zu wollen, ist eine ziemliche Herausforderung. Aber erst wenn man sich diesen Freiraum geschaffen hat, kann man sich nach innen wenden und ein wahres Dasein erlangen. Es scheint zunächst paradox, aber erst im völligen Loslassen entfalten die Übungen ihre Wirkung und erst wenn man nicht mehr nach einer Wirkung strebt, lernt man, sie für sich einzusetzen.

Welche fünf Dinge gehören zu den wichtigsten, die Sie von Ihrem Lehrer, dem Karatemeister Kazumi Tabata gelernt haben?

Wirklich wichtig war nur eines – mich von ihm zu lösen und auf mich selbst zu verlassen. Der Weg, den ich im Karate gehe ist in vieler Hinsicht vielleicht unscheinbarer als der seine. Es wird immer vieles geben, das er kann und das ich nie können werde. In manchem gilt das umgekehrt aber vielleicht auch und das hätte sich nie entwickelt, wenn ich immer in seinem Fahrwasser geblieben wäre.

Meister Tabata ist einer der großartigsten Kampfkunstmeister unserer Zeit, mit tiefer Präsenz, Wissen und unfasslicher Begabung. Nicht viele Karatemeister haben auch fünf tiefgründige Theoriebücher geschrieben. Der Druck und die alles umfassende Beanspruchung, so eng mit ihm zu arbeiten, war sehr vergleichbar dem an der großartigsten Forschergemeinde unserer Welt, dem MIT.

Mehr noch als in nach aussen gerichteter, analytischer Forschung muss man es aber bei innerer Forschung darauf ankommen lassen, sie selber zu gestalten. Es geht ja gerade darum, innere Wahrheit, also das eigene Sein, hervor zu bringen.  Das kann einem niemand anders abnehmen und wenn es weniger strahlend und großartig aussieht, als ein geliehenes Sein, ist es doch durch seine Wahrheit echter und tiefer. Ich halte darum heute meine Teilnehmer sehr konsequent dazu an, im Üben einen eigenständigen Dialog mit sich selbst zu führen.

Nicht das Schillernde, sondern das Wahre zu wählen, war in Meister Tabatas Training immer ein implizites, wenn auch gut verstecktes Angebot. Er hat seine Schüler ungemein beflügelt und mitgerissen, aber fast nie etwas genau erklärt und auch auf Fragen immer nur ausweichend geantwortet. So schwebte immer eine positive, übermächtige Fülle im Raum, die einem alle Fragen abzunehmen schien und die man scheinbar eh nie würde übertreffen können. Andererseits war man gezwungen, Antworten selbst zu finden. Die gedankliche Leistung, das versteckte Angebot anzunehmen, seine Fülle zu hinterfragen, sich vom Großartigen aufs Eigene zu besinnen und selbständige Fragen zu stellen, war immens. Sie war aber auch die Basis, auf der meine ganze weitere Arbeit ruht und in der inneren Stille ihre originäre Entwicklung findet.

Warum Stille so wichtig für uns ist

Was bedeutet Stille und warum ist sie wichtig?

Der Mensch beruhigt sich in dem Maße, in dem sein Inneres an seinem Leben teilhaben kann. Da gibt es zunächst einmal einen ganz natürlichen Reifeprozeß. Im Laufe des Lebens löst man sich aus der körperlichen und geistigen Fassung,  die einem am Lebensanfang mitgegeben wird und die es zunächst ganz ausfüllt. Je älter man wird, desto tiefer wird die Sehnsucht nach Authentizität und nach einem Sein, das man als das eigene erkennt.

Je mehr man dieses ausbilden kann, je mehr man sich selber zulassen kann und je wahrer man sich erkennt, desto stiller wird man. Je abgeschlossener hingegen das Innere und je mehr Teile des inneren Raums unzugänglich sind, je härter und enger die inneren Mauern,  desto entfremdeter ist man von sich selbst. Das Entfremdungsleid, die Trennung von sich selbst, löst dann eine ständige Unruhe und Rebellion aus.

In Unruhe aber verliert man entscheidende Dimensionen seines Lebens, denn umgekehrt kann sich die Vielschichtigkeit des Seins erst in Stille entdecken und entfalten. Wenn man wirklich still ist und frei, auf jedem noch so kleinen Punkt seiner Existenz Halt zu machen, dann macht man die Entdeckung, dass ein solch unscheinbarer Punkt, auf dem man verweilt, sich wie ein unendlich vielgliedriger Fächer auffaltet und eine vieldimensionale Lebenswelt offenbart, die man sich zuvor gar nicht hatte vorstellen können.

Dabei wird dann wirklich neues, originäres Leben erschaffen und der eigenen Lebenswelt hinzugefügt. Es ist wie eine partielle Geburt. Der neugewonnene  Daseinsraum enthält eine ganz neue und völlig artikulierte Welt, die in jeder ihrer vielen Verästelungen bisher unbekanntes Sehen, Denken und Erfahren trägt. Man gewinnt freien Raum in sich und neue Weisen zu sein. Man vervollständigt seine Existenz und erweitert ihre Basis.

Die Erweiterung des Lebensraumes in Stille ist nicht nur eine schöne Erfahrung. Sie verschafft dem Menschen auch neue Kraft und macht ihn lebensfähiger.  In jeder sich in Stille auffaltenden Lebenswelt schwappt Energie umher, die dem Menschen zufliessen kann, aus jedem neuen Tiefenraum kann eine neue Eingebung erwachsen und in jeder unerforschten Windung wartet eine neue Art, auf die Welt zuzugreifen und mit ihr umzugehen.

In jedem Lebenspunkt liegt eine neue Form, die der Mensch annehmen und in die Welt bringen kann.  Dabei ist es ganz gleich, ob ein Kampfkünstler eine Tierform annimmt, um deren Energie zu kanalisieren oder ob ein Jurist kreative Eingebungen hat, um einen Vertrag zur Zufriedenheit aller Parteien zu gestalten. Je stiller der Mensch, desto größer die Basis auf der er mit dem Leben umgehen kann.

Das ist der Mechanismus hinter Schlagworten wie „In der Ruhe liegt die Kraft“.

Eine Übung für innere Stille

Können Sie uns eine Übung der inneren Stille empfehlen?

Stille Üben ist etwas verzwickt, weil es darum geht, sich mithilfe eines Tuns, des Übens,  dahin zu bringen, gar nichts mehr zu tun. In jedem Menschen laufen ständig Prozesse ab, die seine Aufmerksamkeit beanspruchen und ihn von sich ablenken. Man ist, zumeist unbemerkt, gefangen in toter, innerer Aktivität, in Gedankenzwängen und Wollen, in einem inneren Druck, den man nicht genau benennen oder zuordnen kann. All diese ziehen einen Vorhang über das Innere und lassen den Menschen sich unmerklich von sich selbst weg wenden.

Üben, ganz gleich welcher Art, lässt das innere Räderwerk ins Leere laufen und entzieht dem Aktivitätszwang, der einen unbewusst ergreift oder der bewusst aber übermächtig ist, Ansatzpunkte und Kraft.

Die direkteste Übung ist, einfach äußerlich still zu werden und sich die Möglichkeit zu nehmen, den Beschäftigungsimpulsen Folge zu leisten. Das führt häufig zunächst einmal dazu, dass es im Innern anfängt zu rasen. Man wird von beinahe panischer Angst ergriffen, die sich meistens ein bestimmtes, willkürliches Objekt wählt, dass man seine Mails checken muss, unbedingt einen Anruf tätigen oder die Verkehrslage in Erfahrung bringen. Nach einem Weilchen lockert sich der Griff dieser Angst, man beruhigt sich und wird frei, sich nach innen zu wenden.

Üben enthält immer ein körperliches Element.  Der Geist kann sich nur zusammen mit dem Körper ausrichten. Geistige Verhärtungen haben eine Entsprechung im Körper. Wenn dieser  im Üben weich wird, lässt er die in ihm festgeschriebenen Strukturen los. Verhärtungen, auf die sich Drucksäulen aufbauen, die im Kopf Gedanken erzwingen, stürzen in die Tiefe.  Knoten lösen sich und Komplexität vergeht. Geist und Körper werden einfach und klar.

Körper und Geist lassen also alle horizontalen Verstrebungen vergehen und richten sich nach unten aus. Am einfachsten gelingt dies, wenn man ihnen eine äußere, vertikale Ausrichtung  vorgibt, also sich hinstellt. Ein halbe Stunde reicht meistens, um einen Beruhigungseffekt zu erzielen. Wer nicht so lange stehen kann, sitzt am besten gerade auf einem Hocker.

Am besten macht man das früh am Morgen, bevor man sich überhaupt hat verkrampfen können.

Wer das still stehen nicht erträgt, kann sich stattdessen durchschütteln. Einfach im Stehen eine halbe Stunde durchschütteln, irgendwann regnet im Körper alles hinab.

Ganz generell kann man mit aktiveren Übungen das Loslassen des Körpers beschleunigen und ihn weich machen. Dabei läuft man aber schnell Gefahr, dass man wieder etwas zu tun sucht und auch noch trachtet, es  „richtig“ zu machen, und sich so wieder konzentriert und ausrichtet und nicht loslässt und nicht sich schutzlos in sein Inneres fallen lässt. Je aktiver die Übung desto schneller wirft sie einen Befassungsvorhang über das Bewusstsein.

Stille kann sich nur einstellen, wenn man keine Gegenleistung fürs Üben erwartet. Sonst klammert man sich wieder an seinem Status fest und lässt nicht bedingungslos los. Es ist gerade das Einlassen auf die Ungewissheit, auf das Nichtverstehen, was man da tut, auf die, aus Sicht des Vorstellungsraums, mit dem man ins Üben hineingeht, scheinbare Ziellosigkeit, die Stille von zielgerichteten Gesundheitsübungen, wie man sie aus Yoga oder medizinischem Qi Gong kennt, unterscheidet. Im Loslassen und im Verzicht auf strukturiertes Tun, in der Reduktion auf reines Sein,  im Annehmen des Ungefähren und des absichtslosen Seins, liegen die ganz besondere Anstrengung und Wirkungsmacht stillen Übens.

Wie oft sollte man Stille „praktizieren“ mit Qi Gong oder einer anderen Technik, um innere Ruhe im Alltag zu verspüren?

Stille Üben ist in vieler Hinsicht verwirrend. Zum einen stellen sich viele Wirkungen des Übens  erst nach einiger Zeit ein. Im langfristigen Trend erweitert Üben den inneren, stillen Raum und macht Freiheit und Ruhe zur Normalität. Es verschiebt die Parameter der Existenz insgesamt und belässt einen in einem weiteren, helleren Raum. Dies geschieht aber dadurch, dass Stille Üben innere Wahrheit ans Licht bringt und Verhärtungen auflöst – das fördert bei jedem Menschen nicht immer nur stilles Lächeln zutage. Es kann durchaus sein, dass eine Übungseinheit während und nach dem Üben erstmal eher für Unruhe sorgt.

Die beiden Effekte können für überraschend lange Zeit neben einander her laufen. Man kann also nach einer Übungseinheit zugleich eine große Portion Wut und Aggression spüren und helle Leichtigkeit, in der alles nicht mehr so schlimm ist. Irgendwann fliesst die erstere dann nach innen ab und nur die Stille verbleibt.

Die Übung in sein Leben einzubauen, ist selbst schon Teil der Übung. Im Verzicht auf die anderen Dinge, die man derweil tun könnte, erlebt man schon Autonomie. Auch die Entscheidung, wie lang und intensiv sie sein soll, ist eine Ausübung des freien Willens. Man muss dabei notwendig Kompromisse schliessen. Wenig üben oder nicht ganz tief konzentriert ist besser als gar nicht. Es ist auch kein Schaden, wenn man sich beim Üben nicht gut anfühlt.  Dann ist eben das  Imperfekte wahr. Wenn man sich die ganze Zeit quält, alles „richtig“ zu machen, kann man auch nicht loslassen.

Es ist gut, wenn man regelmässig übt, um die innere Öffnung als Normalzustand festzuschreiben und zu akkumulieren. Wie viel, ist eine Investitionsentscheidung. Auseinandersetzung mit sich selbst kostet nicht nur Zeit sondern auch Kraft und in den neu gefundenen Welten muss man sich erstmal zurecht finden.  Schon mit 25 Minuten am Morgen oder Abend kann man sehr viel  erreichen und ein Korrekturelement zur Beanspruchung durch den Tagesablauf finden. Wenn man wirklich Tieferes angehen will, braucht man entsprechend mehr. Mein eigener Tagesplan sieht immer mindestens zwei oder drei Stunden üben für mich selbst vor, plus Unterricht.

Ganz pragmatisch gesehen macht es sehr viel Sinn, die langfristige Auseinandersetzung durch intensive Übungsperioden anzuschieben. Dazu bieten wir in der Inneren Stille auch unsere intensiven Seminare an. Dann hebt man die Entscheidung, ob und wieviel man übt für ein paar Tage auf und erfährt nur die konzentrierte Wirkung des Übens. An einem solchen Schub kann sich dann der gesamte Dialog des Übens für mehrere Monate ausrichten.

Vielen Dank für das Interview!


Mehr über Malte Loos und seine Arbeit erfahrt ihr unter innere-stille.net.

 

Photo (oben): Leland Francisco