Teile diesen Beitrag "Die Lüge von grenzenlosem Wachstum und grenzenloser Freiheit"
Jeden einzelnen Tag müssen wir mehrmals aufs Klo, daran lässt sich nicht viel schütteln. Wir müssen essen und trinken und atmen und duschen und schlafen und denken und fühlen und irgendetwas erledigen. In der Regel eine ganze Menge erledigen. Wir sind zu all diesen Dingen verdammt. Unsere Freiheit hat Grenzen. Und unsere Fähigkeiten haben Grenzen. Niemand von uns kann aufhören, aufs Klo zu gehen, niemand kann fehlerlos werden, und niemand von uns kann alles erreichen. Eine Menge, das schon, denke ich. Aber weiß Gott nicht alles.
Doch nicht die Grenzen sind unser Fluch. Der Fluch sucht uns erst dann heim, wenn wir die Grenzen nicht erkennen und anerkennen. Wenn wir so tun, als könnten – oder müssten – wie alles erreichen, uns und jeden Anderen jeden Tag in jedem Gebiet übertreffen. Diese Allmachtsphantasien, das Streben nach Übermenschentum.
Wir wollen glauben, wir seien unbesiegbar, unerreichbar, unaufhaltsam; wollen wachsen, immer weiter, immer schneller, strahlen, wie Krebs … und fressen uns dabei selbst auf.
Die (/meine) Wahrheit ist: nicht das Weiterrennen heilt, sondern das Stehenbleiben, das Ankommen … jetzt … nicht irgendwann … die eigenen Grenzen betrachten, abtasten, akzeptieren, uns mit ihnen versöhnen und sie lieben lernen.
Ja, wir sind nicht fehlerlos und werden es auch niemals sein, und das ist okay. Unsere Grenzen sind okay und wir sind okay mit ihnen.
Weder können wir alles sein, noch tun, noch haben. Die Ohnmacht wird uns immer wieder treffen, manchmal mitten ins Herz. Manches müssen wir einfach aushalten.
Wo liegen Deine Grenzen?
Ganz ehrlich. Wo wäre es richtig für Dich, Deine Ziele und Erwartungen und Anstrengungen zurückzuschrauben?
Und: wo liegen sie nicht? Wo lässt Du Dich von Ängsten einschränken, vor Fehlern und Misserfolg oder Erfolg oder von der Angst vor der Angst selbst? Wo versuchst Du, alle Risiken zu vermeiden und machst Dich kleiner als Du bist? Wo lügst Du Dich an über Deine Möglichkeiten?
Es ist menschlich und gut so, wie es ist: wir haben Ängste, wir haben Zweifel.
Doch, wie Paolo Coelho schrieb: „Mensch sein bedeutet, Zweifel zu haben und dennoch seinen Weg fortzusetzen.“
Nicht unsere Ängste sollten der Maßstab sein, sondern unsere Grenzen. Sie ehrlich zu sehen kann uns befreien aus der Hölle, die zwischen dem liegt, wie wir sind und dem, wie wir glauben, sein zu müssen.
Photo: Asaf antman
Vielen Dank! Ich lese schon seit einigen Tagen eure Artikel, und die sind echt der Hammer.
Wir müssen uns wohl oder übel selber eingestehen, dass es gewisse Grenzen in unserem Leben gibt. Auf der anderen Seite setzen wir uns auch immer mal gerne Grenzen, wo es nicht nötig ist. Die Weisheit besteht wohl darin, beides voneinander zu unterscheiden. 😉
Eure Artikel bringen einen jedenfalls immer wieder zum Nachdenken, danke.
Hi, Ildikó,
dankeschön! 🙂
Manchmal muss man die Grenzen vielleicht auch einfach mal antesten, um zu schauen, ob sie real sind.
LG Tim
Hallo Tim,
jetzt muss man nur noch den Unterschied zwischen den Grenzen die unsere Ängste uns setzen und den „echten“ Grenzen erkennen. Eine von der Angst errichtete Grenze ist doch genauso real wie eine Grenze die z.B. durch das Alter oder Gebrechlichkeit gesetzt wird – oder nicht?
LG Birgit
Hi Birgit,
ja, das stimmt wohl – beide Grenzen mögen sich real anfühlen, aber auf die, die nur aus Angst errichtet sind, sollte man eben vielleicht nicht automatisch hören.
Wenn Du in Dich gehst und Dich fragst: „Ist es meine Angst – oder ist die Grenze real?“ … bekommst Du dann keine klare Antwort?
LG Tim
so recht Du hast, junger Meister 😉 Danke