Teile diesen Beitrag "Er wollte doch nur zum Fluss und Wasser holen – Eine kurze Zen-Geschichte"
Eine kurze Zen-Geschichte.
Geh‘ zum Fluss und hole mir eine Tasse Wasser, sagte der Zen-Meister zu seinem Schüler.
Als der Schüler am Fluss die Tasse mit Wasser füllte, sah er flussaufwärts eine wunderschöne Frau in seinem Alter. Die Frau nahm ihn ebenfalls in Augenschein, und mit einem Mal verliebten sie sich unsterblich ineinander. Er zog zu ihr auf das Gut ihrer Familie in einem ruhigen Dorf, und sie bauten ein Haus. Über die Jahre wurden ihnen Kinder geboren. Sie waren glücklich miteinander und ernährten sich von der Landwirtschaft, die sie betrieben.
Eines Tages kam eine Flut. Das Dorf wurde überschwemmt, und er musste sich mit seiner Familie auf das Dach des Hauses retten. Da zog ein großer Sturm auf. Seine Kinder wurden eins nach dem anderen vom reißenden Wasser fortgerissen und schließlich ertranken sie darin. Auch seine Frau wurde fortgespült und kam in den Fluten um. Als der Sturm sich legte, saß er einsam und verzweifelt zusammengekauert auf dem Dach seines Hauses. Er starrte in die Luft. Ein Alptraum – nach all den glücklichen und schönen Jahren!
Da legte sich von hinten eine Hand auf seine Schulter. Es war die Hand seines Meisters, der ihn fragte: Wo bleibst du so lange? Wolltest du nicht bloß eine Tasse Wasser holen?
Verstricken.
Wunderschön und schmerzhaft.
Ich würd’s trotzdem tun.
Hätte er denn mehr vom Leben verstanden, hätte er nur Wasser geholt?
Was meinst Du?
Gefunden bei: spiritualwiki, Photo: Vince Alongi
Nun, er hat sichermehr vom Leben gehabt, obwohl ihm am Ende alles entrissen wurde, auf brutalste Art.
Andereseits, hätte er nur die Tasse Wasser geholt, wäre ihm das tragische Ende erspart geblieben.
Jetzt stellt sich die Frage: was wäre besser gewesen? Und noch eine: hätte er nur das Wasser geholt, wie wäre sein weiteres Leben abgelaufen? Hätte er vielleicht ein zweite Vhance bekommen?
Wer weiß? Ich denke mir, daß er richtig entschieden. Vonwegen besser etwas in der Hand als die Taube auf dem Dach (Taube schmeckt übrigens gar nicht, viel zu trocken! Aber das wäre ein Scheinargument 😉 ).
Man kann die Zukunft nicht bestimmen, aber sehr wohl den Weg. Der positive Weg, ist das Ziel.
Just my MHO…
Jap, ich erhöhe auf „our holy opinion“ 🙂 … seh‘ ich auch so. Im Kleinen findet sich bestimmt ein Mittelweg, aber den möglichen Schrecken großer Verluste muss man wohl in Kauf nehmen, wenn man auch groß leben will, schätze ich.
Kann es nicht vielmehr bedeuten, dass er nach dem großen Verlust nicht schlechter dasteht als vorher? Er ist ja wieder am Ausgangspunkt angelangt – nun liegt es doch an ihm wie er die Zwischenzeit bewertet. Als Gewinn weil er etwas besonderes erleben durfte – oder als Verlust…
Ich denke es ist immer ein Gewinn geliebt zu haben, wenn es einem gelingt dann loszulassen wenn es nicht mehr anders geht.
Liebe Grüße
Birgit
Hi Birgit, find ich gut, Deine Interpretation. Ich schätze nur, dass er an dem Punkt, wo der Meister kommt, deutlich unglücklicher ist als am Ausgangspunkt, und dass das vermutlich auch noch eine Weile so bleiben wird. LG Tim
Birgits Interpretation trifft den Geist des Zen am treffendsten. Es geht nicht um glücklich oder unglücklich. Es geht auch nicht um Leben oder Tod. Es geht immer nur um eine Tasse Wasser, um einen Atemzug
Die ganze Geschichte des Schülers ist für den Meister irrelevant, weil sie eben nur eine Geschichte ist. Auf die Frage nach seiner lebensgeschichte erwiderte ein alter Zenmeister: „ich habe geschlafen und Reis gegessen.“
Das ist der Kern des Zen. Und nicht nur des Zen. Auch Jesus soll zu einem Mann gesagt haben, der erst seinen Vater beerdigen wollte „Lass die Toten ihre Toten begraben, Du aber folge mir.“
Ein buddhistischer Kerngrundsatz ist der, dass Leiden durch Anhaften verursacht wird. Anhaften an materiellen Dingen, an die Vergangenheit oder an die Zukunft.
Die Tasse Wasser wischt diese ganze Vergangenheit beiseite und öffnet den Weg in das Hier und Jetzt und zum Ende allen Leidens.
„Ja“, wie die Reaktion des Meisters zeigt: Es gibt vielleicht einen längeren oder einen kürzeren Weg, aber keinen richtigen oder falschen.
Ich glaube dass ist genau die Herausforderung heutzutage… Jeder von uns hat aufgaben die erledigt werden sollten, dabei aber immer wieder auf das unerwartete einzugehen. Die Tasse Wasser hätte er ja auch dem Meister bringen können in einer Pause beim Hausbau 😉 Ob aber dann in seinem dunkelsten Stunde der Meister auch erschienen wäre?
Hallo Ja,
was du über Zen und den Grundsatz des Leidens durch Anhaften schreibt ist mir geläufig – aber wie passt das Zitat von Jesus dazu?
LG Birgit
Es geht darum, immer mit dem Leben zu gehen. Das ist auch das, was Jesus ausdrückt. Es bringt nichts, sich gegen den Fluss des Lebens zu stellen. Wir können ihn weder aufhalten, noch umkehren. Wer dagegen widerstand leistet, der verliert nicht nur kraft, er verliert sein leben. Er wird ein „Toter“. Die urschriftliche Gemeinschaft sah sich selbst als wirklich „lebend“ und die nichtgläubigen als „tot“. Vor dem Hintergrund ist auch das Prinzip der „Auferstehung“ zu verstehen. Wer von den Toten aufersteht, der wird Teil der christlichen Gemeinschaft im Leben. Er bejaht das Leben.
Es ist amüsant zu sehen, was die Institution Kirche aus dieser universalen Wahrheit, die es so im Zen, im Islam und in zig anderen spirituellen Traditionen gibt, gemacht hat: Einen Kult der Jenseitsbejahung. Wie absurd!
Man sollte nicht mit dem iPhone schreiben… Ersetze urschriftlich durch urchristlich.
Hallo Jan,
…hatt ich auch ohne Korrektur verstanden 😉
vielen Dank für deine Antwort. Ich bin nicht so bewandert im Christentum und beginne gerade erst mich für Jesus zu interessieren…ich finde deine Antwort aber wirklich spannend.
Die Frau kam in das Leben des Schülers und sie war ab sofort sein Leben. Auch der Zen Meister nahm dies einfach hin, ohne es zu werten. Es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen der Katastrophe und dem Verlassen des Meisters. Die Geste des Zen Meisters sagt nur „machen wir dort weiter, wo wir uns trennten“. Nur aufgrund unserer Erziehung neigen wir dazu, eine Pflicht und vielleicht eine Schuld hineinzudenken. Es gibt keine Schuld und auch keinen Anspruch, mein Leben auf etwas auszurichten, das nicht von innen kommt.
LG Richard