Teile diesen Beitrag "„Durch Qigong konnte ich die stressenden Gedanken loslassen und Kontakt zu meiner inneren Ruhe finden“ – Interview mit Markus Ruppert"
Kann Qigong Ängste lindern, wie die vor der Dunkelheit? Wie können wir die Lebensenergie Qi spüren? Gehen Risiken mit Qigong einher – und wenn ja, wie können wir ihnen vorbeugen? Heilpraktiker und Qigong-Lehrer Markus Ruppert erklärt dies und mehr im Interview.
In welcher Situation befanden Sie sich, als Sie auf Qigong gestoßen sind?
Als ich Qigong kennen gelernt habe, war ich beruflich sehr angespannt. Hoher beruflicher Leistungsdruck und private Spannungen haben mich stark beeinflusst. Durch Qigong konnte ich plötzlich tiefe Entspannung erfahren, was mich sehr faszinierte. Heute weiß ich, dass nicht die äußeren Faktoren meinen Stress verursacht haben, sondern meine Gedanken. Durch Qigong konnte ich diese loslassen und Kontakt zu meiner inneren Ruhe finden.
Können Sie eine einfache Übung empfehlen, die uns unser Qi spüren lässt?
Das Qi zu erspüren ist sehr einfach und jedem Menschen geläufig. Jedoch ist „Qi“ ein chinesisches Konzept und wir Europäer sind nicht in dieser Kultur aufgewachsen. „Lebensenergie“ klingt deshalb für viele sehr befremdlich oder esoterisch. Um Ihnen Übungen zu erklären, wie Sie Qi spüren können, müssen wir erstmal wissen, was mit diesem Begriff gemeint ist, denn sonst suchen wir die Nadel im Steckhaufen und wissen dabei gar nicht wie eine Nadel aussieht.
Sie kennen vielleicht diesen Moment: Sie haben soeben einen Berggipfel erklommen, völlig erledigt kommen Sie nach mehreren Stunden Mühen dort oben an. Sie haben sich gefragt „wieso tu ich mir das eigentlich an?“. Und dann eröffnet Ihnen der Gipfel einen Blick über das gesamte Bergpanorama, der Gipfelwind streicht über Ihre verschwitzte Haut, Sie spüren trotz der Anstrengung endlose Freude und sind innerlich still. Sie sind überwältigt von der unendlichen Schöpfung und der Kraft der Natur. Spüren Sie die Lebensenergie? Wäre die Wanderung eine Qigong Übung würde ich sagen, Sie haben jede Menge Berg-Qi in sich aufgenommen.
Qi hat viele Ausdrucksformen, eine davon ist Magnetismus. Dieser lässt sich unter Umständen in einem kleinen Experiment erfahren:
Kennen Sie noch die Metallspiralen, mit denen wir als Kinder gespielt haben? Man konnte sie die Treppen hinablaufen lassen oder von Hand zu Hand. Machen Sie die Bewegung ganz langsam, so als ob Sie die Metallspirale von einer Hand zur anderen laufen lassen. Stellen Sie sich vor, wie das Gewicht abwechselnd in jeder Hand leichter und schwerer wird. Üben Sie so ca. 1 bis 2 Minuten. Und nun kommt ein ganz entscheidender Punkt in der Übung: Vergessen Sie alle Ihre Vorstellungen, alle Übungsanweisungen und spüren Sie, was SIE fühlen. Konzentrieren Sie sich auf IHRE Hände und auf IHRE Empfindungen. Lassen Sie Bewegung zu, unterbinden Sie nichts, Sie müssen aber die Bewegung nicht weiter ausführen. IHRE Empfindungen sind der Ausdruck der Energie, der sich bei jedem anders zeigen kann. Beispiele, die häufig genannt werden sind: Wärme oder Kälte, Kribbeln, Druck, leichtes Aufschwellen der Hände, Empfindung von Bewegung, Empfindung von Gewicht, so wie es in der Vorstellung beschrieben war.
Qi ist die Kraft, die die körperlichen und geistigen Funktionen herstellt. Diese Kraft lässt sich kultivieren, wie ein Gärtner den Salat pflegt.
Qigong bringt uns in Berührung mit der Stille. Kann es auch helfen, die „optische Stille“, die Dunkelheit tapferer zu ertragen, die wohl vielen von uns Angst macht, wenn wir nicht gerade zuhause sind, sondern etwa in einem nächtlichen Wald?
(Konkrete) Angst verdeutlicht in meinen Augen die Funktionsweise von Emotionen sehr deutlich. Sie machen sich Gedanken über den Überfall, einem Tier oder vielleicht haben Sie Angst davor erschreckt zu werden? Nun sehen Sie es ja schon selbst: Es sind ja nur Ihre Gedanken zu einem Ereignis, das gar nicht eingetreten ist! Qigong kann uns lehren achtsam mit unseren Gedanken umzugehen.
Alle Emotionen, auch Ängste, sind „nur“ Qi. Dieses Qi können wir durch die Übungen beeinflussen. Sie sollten sich beim Üben jedoch nicht unbedingt Ängsten aussetzten. Diese negativen Emotionen lassen die Energie eher stagnieren. Tasten Sie sich, in Begleitung eines Qigong Therapeuten, Schritt für Schritt in Ihre Dunkelheit. Finden Sie durch die Qigong Übung die innere Stille. Vermutlich erwischen Sie sich selbst, wie Sie auf einmal die Augen geschlossen haben. Öffnen Sie lächelnd die Augen wieder und realisieren Sie, wie ruhig Sie dabei bleiben konnten. Wenn Sie unter Angststörungen leiden, sollten Sie einen Therapeuten aufsuchen. Qigong kann unter Umständen in der Therapie positive Effekte haben, jedoch auch das Gegenteil bewirken.
Kann Qigong unerwünschte Effekte haben?
Qigong kann natürlich auch unterwüschte Effekte haben. Viele der erwünschten Effekte werden von manchen Teilnehmern nicht sehr willkommen geheißen. Blockaden werden durch Qigong manchmal sehr deutlich. Und Blockaden können körperlich und emotional schmerzen. Deshalb ist es wichtig einen erfahrenen Qigong Lehrer als Begleiter zu haben. Den Weg auf den Gipfel (siehe Beispiel oben) abzubrechen, weil der Aufstieg mühsam ist, bringt uns nicht zum Ziel.
Ihr Qigong Lehrer sollte jedoch erkennen, ob Sie für die Wanderung auf den Berg die passende Kondition aufweisen. Anderenfalls könnte Qigong Ihnen wirklich schaden. Vor allem geistige Beschwerden sollten Anlass dazu geben, Übungen abzuwandeln, die Vorstellungskraft schwächer einzusetzen oder Bewegungen in anderen Geschwindigkeit ausführen zu lassen. Angstzustände haben wir ja bereits diskutiert, aber auch andere Verschlimmerungen Ihres psychischen Zustandes könnten eintreten, wie z.B. Wahrnehmungsstörungen oder psychotische Zustände.
Die Übungen sollten im Rahmen der eigenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten ausgeführt werden. Zu starke Verdrehungen, Beugungen können dem Bewegungsapparat schaden. Zu großer Krafteinsatz kann dem Herz-Kreislauf System schaden. „Obere Fülle“ wird durch tiefe Bewegungen und Beugungen des Kopfes verstärkt und kann sehr unangenehme Auswirkungen haben. Durch zu starke Entspannung kann auch der Kreislauf kollabieren. Diese Effekte können durch eine professionelle Begleitung frühzeitig erkannt, thematisiert und auch behoben werden.
Wie kann uns die Kenntnis von Yin und Yang, dem Prinzip der Polarität, im eigenen Leben helfen?
Wir können uns dem Polaritätsprinzip der Natur nicht entziehen. Unsere heutige Lebensweise „beugt“ die Naturgesetze jedoch. Viele Menschen leben zu sehr im Yang, was bedeutet, dass Leistungserbringung, Leistungsdruck, Rollenerfüllung und vieles mehr einen sehr hohen Stellenwert im Leben einnehmen. Das Yin wird manchmal sogar verurteilt: Faulenzen, Ausschlafen, etc.
Beide Pole sind für unsere geistige und körperliche Gesundheit wichtig. Zu langes Schlafen macht uns energielos, zu hartes Arbeiten müde. Die Kenntnis von Yin und Yang kann uns helfen uns selbst besser einzuschätzen und dementsprechend auszugleichen. Anstrengung mit Ruhe, Sitzen durch Bewegung, Hitze durch Kälte usw. Die meisten Menschen sind sich dieses Naturgesetzes bewusst, befolgen es aber nicht.
Was sind die drei Schätze Qi-Jin-Shen?
Über Qi haben wir bereits gesprochen, es ist die Kraft, die alles bewegt und belebt. Qi ist Substanz und Bewegung zugleich. Alle Funktionen unseres Wesens sind Qi. auch Jin und Shen sind Qi.
Jin ist die Essenz, die substanzielle Kraft, die unseren Körper durchströmt, die uns von unseren Eltern vererbt wurde. Das männliche Ejakulat wird deshalb Jin zugeordnet. Diese sehr konzentrierte Kraft dient als „Reservekanister“, wenn die tägliche Energiebilanz negativ ausfällt. Pflegen wir jedoch unseren Energieverbrauch und die Energiegewinnung, so pflegen wir die Essenz-Jin. Die körperlichen und geistigen Kräfte nehmen zu und können so ins hohe Alter erhalten werden.
Der Geist-Shen hat verschieden Qualitäten. In unserem Kulturkreis ist auch der Begriff „Seele“ unter Shen zu verstehen. Die denkenden und fühlenden Aspekte des Geistes sind auch unter Shen zusammengefasst.
Wer die drei Schätze pflegt, der genießt auf Dauer geistige und körperliche Gesundheit.
Wie können wir Qigong in unseren Alltag integrieren?
Qigong lässt sich sehr einfach im Alltag integrieren. Verabschieden Sie sich von dem Bild eines tempelhaften Übungsraumes mit Räucherkerzen und einem seidenen Qigong Anzug. In China wird Qigong auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn geübt. Die Gelenke können dort gelockert werden, das Gleichgewicht lässt sich in einem wackligen Zug hervorragend trainieren. Nutzen Sie diese Fahrt für eine kurze Meditation. Gehen Sie nach innen, lauschen Sie Ihrer Atmung. Aber selbstverständlich ist die frische Luft und die Natur der beste Ort, um Qigong zu praktizieren. Sprechen Sie Ihren Qigong Lehrer gezielt darauf an, was Sie im Alltag integrieren können, hier einige Vorschläge:
- Das Gesicht waschen, die Öffner reinigen – Eine Selbstmassage am Morgen
- Gelenke öffnen in der S-Bahn
- Meridian Dehnungen am Abend vor dem Fernsehen
- Der breite Reiterstand zur Kräftigung der Beinmuskulatur beim Bügeln
Angenommen, ich wäre ein Büroangestellter, dem das Arbeitsleben zwischen Papierkram und Exceltabellen zunehmend langweilt, frustriert und sinnlos erscheint. Weil ich so gestresst bin, nehme ich an einem Qigong-Kurs teil, der mir unheimlich gut tut. Ich spüre, dass ich gern alles darüber lernen – und am besten auch lehren will. Wie kann ich es schaffen, eine Qigong-Lehrerausbildung neben meinem Job zu absolvieren und anschließend meine Lehrertätigkeit so erfolgreich aufzubauen, dass ich damit meine Rechnungen zahlen und dem Chef im Büro Lebewohl sagen kann?
Wenn Sie Ihr Alltag frustriert, dann kann Ihnen Qigong helfen einen Ruhepol in Ihrem Leben zu schaffen. So können Sie Ihren Alltag ausgleichen und neue Kraft tanken. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie möchten Qigong auch an andere weitergeben, dann empfehle ich Ihnen eine Qigong Kursleiter Ausbildung zu machen. Adressen kompetenter Ausbilder finden Sie z.B. beim Deutschen Dachverband für Taijiquan und Qiong (www.ddqt.de).
Überstürzen Sie jedoch nichts. Der Weg zum Qigong Lehrer ist manchmal langwierig. Wenn Sie Qigong mit Erfolgsdruck erlernen wollen, dann werden Sie schnell an Grenzen geraten. Ist der Leistungsdruck denn nicht der Anlass, sich aus Ihrem Alltag herauszulösen? Treten Sie nicht gerade schon wieder in die gleiche Falle, nun unter dem Deckmantel der Entspannungslehre?
Wie können Interessierte Sie am besten kontaktieren?
Am einfachsten nutzen Sie den klassischen Weg und kontaktieren Sie mich per Telefon. Wenn Ihnen der Weg des Internets erstmal lieber ist, dann schreiben Sie mir eine Mail oder kontaktieren Sie mich auf einer der sozialen Plattformen (Xing oder Facebook).
Die Adresse meiner Webseite lautet www.naturheilpraxis-ruppert.de.
Herzlichen Dank!
Danke für das schöne Interview! Einer meiner Lieblingssätze darin ist: „In China wird Qigong auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn geübt.“ Für mich ist das eine der besonderen Eigenschaften dieser wunderbaren Kunst: Jeder, jede kann Qigong (fast) jederzeit und überall ausüben. Man braucht dafür nichts außer ein wenig Zeit und Raum und es tut so gut, entspannt, beruhigt, belebt, kräftigt und schenkt jede Menge Energie! Wunderschön ist es auch noch!