Teile diesen Beitrag "Yoga als Hilfsmittel (Gastbeitrag von Sascha Tscherni)"
„Please mind the gap !“ (Lautsprecher Ansage in der Londoner U-Bahn)
Yoga ist ein Gefährt. Ein Hilfsmittel für einen größeren Zweck.
Yoga ist ein Hilfsmittel wie andere Hilfsmittel des Schamanismus es auch sind, um den Raum zwischen den alltäglichen Gedanken, zwischen den alltäglichen Eindrücken und wahrgenommenen Formen wieder zu entdecken. Diesen wieder zurück zu erobern. Hervorzustreichen und zu vergolden. „Please mind the gap!“ Yoga ist ein Mittel, um sich ständig diesem Bewusstseinsraum, der über jegliche Polarität hinausgeht, wieder bewusst zu sein, und ganz aus diesem Raum aus zu leben.
Für unser Denken ist dieser Raum dazwischen nicht fassbar, weil er zu einfach und zu vollkommen ist – zu einfach und zu vollkommen für das polare, rationale Denken. Menschen haben, wie gesagt verschiedene Hilfsmittel „gefunden“, um sich diesen Raum, der immer da ist, ja, gar nie weg sein kann, wieder bewusst zu machen.
Und immer wieder haben sich Menschen auch „verrannt“ darin, bei ihren ehrgeizigen Versuchen jene zu imitieren, die bereits bewusst aus diesem Raum aus lebten. Sich diesen bereits vollkommen zurückerobert hatten. Erwachte. Heilige.
Bei allen Fähigkeiten dieser Welt basiert ja das Lernen dieser Fähigkeiten immer auf Imitation, auf Nachahmung. Beim Lernen versucht mensch nachzumachen, abzukupfern und zuzuschauen. Anders ist´s jedoch auf diesem Weg zurück zu deinem wahren ganzen Sein. Am Weg zu deiner Heiligkeit.
Wie könntest du dich also dabei „verrennen“ ?
Indem du versuchst dem leidvollen Teil des Lebens insofern zu entkommen, dass du einen heiligen, also vollständig zurückgekehrten Menschen imitierst. Der oder die Erwachte (der zu vollem Bewusstsein zurückgekommene) mag sich aus „Einfachheit und Einsicht, aus Lust und Laune… und ganz zufällig“ dafür entschieden haben, diese oder jene für ihn gerade passende Lebensform zu wählen. Das „Verennen“ und „Irren“ im Nachahmen entsteht dadurch, dass du glaubst deinen schmerzhaften Erfahrungen zu entkommen und direkt vom „Opfer“ zum Heiligen werden zu können – ohne zuvor den Täter und Verursacher in dir selbst zu sehen („den Keim deiner Welt in dir selbst erkennen, anstatt als Opfer der Außenwelt“) – , indem du die Lebensform des Heiligen einfach kopierst und sie als edler und besonderer als andere Lebensformen ansiehst, sie als erstrebenswert und daher noch weit entfernt von dir ansiehst. In diesem Streben nach einem „entfernten“ Bewusstseinsraum, der immer mit dir ist, der jedoch zu einfach und zu willkommen für die Ratio ist, liegt ist der Ursprung jeglichen Übungs-Weges (Sadhana) und jeder Religion.
So könnte also auch der Yogaweg „nur“ eine Imitation und Ablenkung vom eigentlichen Bewusstseinsraum sein?
Ramana Maharishi (ein Heiliger aus dem 20 Jahrhundert) meinte, dass wir manchmal auch TROTZ eines Weges, trotz einer Imitation und trotz eines Strebens, also dann auch TROTZ des Yogas, zu vollständigem Bewusstsein hin aufwachen können. Also trotz der Ablenkung und der Imitation von Heiligen unseren Schmerz ganz und unser Sein völlig erkennen und willkommen heißen können. Der Yogaweg. Wir befinden uns also dabei zwischen Imitation anderer Formen und einem passablen Hilfsmittel. Im Zusammenhang dem Hilfsmittel erwähnt Ramana auch ein Gleichnis, das beschreibt, dass wir mittels eines Stachels den eigentlichen schmerzhaften Stachel aus dem Fuß ziehen können. Nachdem der schmerzhafte Stachel aber gezogen ist, werfen wir beide Stacheln, also auch den hilfreichen Stachel einfach weg. –
Yoga ist also ein hilfreicher Stachel. Benützt du ihn als solchen?
„Please mind the gap!“
Bemerke den Abstand und Bewusstseinsraum zwischen den rationalen Gedanken und Eindrücken.
Vergolde ihn.
Eine subtile Art und Weise sich diesem Bewusstseinsraum zu erschließen und hinter die Kulissen eines „Ablenkungs-“Weges zu schauen, wäre die Frage Ramanas: „Wer oder welche Instanz in mir nimmt wahr?“
Warum setze ich hier manche Worte unter „Anführungszeichen“?
Weil wenn wir uns auch „verrennen“, wir gar nicht anders können als so zu leben wie wir eben leben. Und weil es letztlich kein Irren oder Verrennen gibt, sondern alles perfekt ist so wie es ist.
Verfasst und mit Erlaubnis veröffentlicht von Sascha Tscherni, Susak (Kroatien), Mai 2012
Photo: garry semetka