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Es folgt ein Gastbeitrag der Psychotherapeutin Julia Felbinger.

 

Beim ersten morgendlichen Blick in den Spiegel erwartet mich nichts Gutes: Ich schaue mir aus einem knallrot-geschwollenem Gesicht entgegen. Als ich dann noch die roten Pünktchen auf meinem Oberkörper entdecke, ist klar: Mein Weg geht heute zum Arzt und nicht in die Arbeit.

Aber weder Hausarzt noch die vom Dermatologen durchgeführten Allergietests können erklären, warum meine Haut in dieser Nacht auf Rot geschaltet hat und es in den folgenden zwei Monaten immer mal wieder tun wird.

Rückblickend traf allerdings einer doch unwissentlich den Nagel auf den Kopf: Mein damaliger Freund. Er küsste mich eines Morgens auf eine rote Stelle an der Schulter und scherzte: „Vielleicht bist Du auf mich allergisch!?“ Damals haben wir beide gelacht.

Heute bin ich mir sicher: „Er hatte Recht.“ Mit fast zehn Jahren Abstand muss ich mir selber eingestehen, dass ich mit ihm oft nicht glücklich war, mich zu sehr verstellt und in Richtung seiner Bedürfnisse verbogen habe. Ich habe das damals nicht erkannt. Meine autonome Psyche offenbar schon.

Der Freund ging, der Ausschlag auch. Andere mehr oder minder unerklärliche körperliche Beschwerden schauten über die Jahre immer mal wieder vorbei: Von Rückenschmerzen über Entzündungen hin zu meiner neusten Errungenschaft: Ein Tennisarm.

Körper und Psyche – ein nicht zu trennendes Duo

Und auch wenn diese körperlichen Beschwerden sicher nicht komplett und vollständig meiner Psyche angelastet werden können, hat sie sicherlich doch ihren Teil zur Entstehung oder Aufrechterhaltung beigetragen. So ist das nämlich mit unserer autonomen Psyche: Sie verrät sich über den Körper.

Angefangen bei ganz alltäglichen Dingen, wie dem Leuchten in den Augen, wenn wir verliebt sind, den hängenden Mundwinkeln, wenn uns etwas traurig stimmt oder dem nervösen Magen vor einer Prüfung. Und letzten Endes dann eben auch die sogenannten somatoformen Störungen. Was nichts Anderes meint als körperliche Beschwerden, für die die Medizin keine ausreichende Erklärung findet.

Und da hat das Gespann aus Körper und Psyche so einiges zu bieten: Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Schwindel, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Was passiert denn da in unserem Körper?

Lass uns das Pferd von hinten aufzäumen und einen kleinen Ausflug in die Stressforschung machen. Wenn wir weit in unsere Entwicklung zurückgehen, dann gab es nur einen Umstand, der uns in Stress versetzte: Gefahr für Leib und Leben. Sei es durch einen wild gewordenen Büffel oder den verfeindeten Nachbarsklan. Die einzige Chance, heil davon zu kommen, bestand in einer schnellen Flucht oder einem kraftvollen Angriff.

Und dazu muss der Körper Höchstleistungen vollbringen: Das Blut muss durch eine schnellere Atmung mit Sauerstoff angereichert werden, das dann durch einen erhöhten Herzschlag verteilt wird. Durch Schwitzen müssen wir den Körper kühlen und außerdem werden wir so etwas glitschiger, um dem Angreifer aus der Hand zu gleiten. Diese und etliche andere körperliche Aktivierungen führen zu mehr Leistungsfähigkeit und Energiemobilisierung. Verantwortlich für diese Meisterleistung ist ein komplexes Zusammenspiel aus Nerven- und Hormonsystem.

Auf der anderen Seite kommt es angesichts solch einer Bedrohung zu einer fast vollständigen Drosselung aller körperlichen Mechanismen, die der Erholung und Regeneration dienen. Die Verdauung wird beispielsweise vernachlässigt und es wird weniger Speichel produziert, daher der flaue Magen sowie der trockene Mund.

Insgesamt bringt sich der Körper in eine optimale Ausgangslage, um gegen die Gefahr gewappnet zu sein.

Und dieses uralte Angst-Kampf-Fluchtprogramm wohnt noch heute in uns und wird in Stresssituationen aktiviert. Obwohl es heutzutage kaum mehr Sinn macht, sich mit dem Chef zu prügeln oder vor dem Partner davonzulaufen. Zumindest meistens nicht.

Normalerweise ist das kein Problem. Wenn der Stress nach einer Weile abebbt oder wir gute Wege finden, ihn und die überschüssige Energie abzubauen, kehrt das Nerven- und Hormonsystem zu einer ausgewogenen Arbeitsweise zurück, die Erholungsphase setzt ein.

Nicht so bei langanhaltenden Dauerstressoren für die unser Körper ursprünglich nicht gemacht ist. Denn dann fehlt die Zeit zur Regeneration. Wie in einer unglücklichen Beziehung oder bei Dauerfrust am Arbeitsplatz. Und häufig genug kennen oder bemerken wir den verantwortlichen Dauerstressor zunächst nicht. Dann wird die eigentlich hilfreiche, körperliche Aktivierung durch weitere neuronale und hormonelle Prozesse irgendwann zum Eigentor für den Körper: Es kommt zu Erschöpfungszuständen und eventuellen negativen Folgen für die Gesundheit inklusive möglicher somatoformer Beschwerden.

Erklärungsansätze

Natürlich reagieren wir nicht alle auf die gleiche Art und Weise. Jeder hat da so seine Sollbruchstelle. Bei dem einen ist das der Magen, bei dem anderen das Herz, der Dritte merkt körperlich fast nichts und wird stattdessen depressiv. Warum gibt es diese Unterschiede? Das versucht das bio-psycho-soziale Modell zu erklären.

Wie und ob überwiegend der Körper auf Stress reagiert, hat auch mit der individuellen Veranlagung zu tun. Wer mit einer empfindlichen Haut geboren wurde, reagiert eher mal mit einem Ausschlag. Wer eine genetische Veranlagung dazu hat, dass das Herz schnell reagiert, wird rascher einen höheren Puls bemerken.

Außerdem scheint es so, dass je nach Auslöser die verschiedenen Hormonsysteme unterschiedlich stark beteiligt sind. Verärgert uns etwas, reagieren wir eher mit einer Herz- und Blutdrucksteigerung. Macht uns etwas traurig, nimmt die Herzfrequenz eher ab. Auch frühkindliche Erfahrungen beeinflussen, wie das innere Stresssystem aufgestellt ist. Eine verlässliche und verfügbare Mutter führt zu einem stabilen Schutzschild gegen Stress auch auf körperlicher Ebene. Das ist die biologische Seite.

Und auch wenn es von der psychologischen Warte aus noch wenig belastbare, einheitliche Befunde gibt, so finden sich einige, spannende Hinweise auf lebensgeschichtlich erworbene, individuelle Einflussgrößen. Was die Persönlichkeit angeht, so scheinen Menschen, die nach der Big-Five-Persönlichkeitstheorie von Eysenck hohe Werte beim Neurotizismus zeigen, also relativ rasch bedrückte, traurige oder missmutige Stimmungen erleben, eher mit somatoformen Beschwerden zu reagieren. Auch das Konzept der Alexithymie könnte eine Rolle spielen. Das zentrale Merkmal hierbei besteht in der reduzierten Fähigkeit, eigene Emotionen wahrzunehmen und von körperlichen Symptomen zu unterscheiden.

Ebenso hat die Art, wie wir denken, scheinbar einen Einfluss. Wenn wir eine Situation als kontrollierbar erleben, reagieren wir gelassener. Bei Situationen, die für uns außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, kommt es wahrscheinlicher zu körperlichen Dauerstressreaktionen. Und jeder von uns bewertet andere Ereignisse als machbarje nach lebensgeschichtlicher Erfahrung mit unserer Umwelt und unseren Mitmenschen. Ein zu Katastrophisierungen neigender Denkstil (wie zum Beispiel: „Meine Magenschmerzen sind bestimmt ein Anzeichen für Krebs!“) scheint ebenfalls häufig mit somatoformen Symptomen verbunden zu sein.

Zusätzlich scheinen noch eine erhöhte Aufmerksamkeit für körperliche Prozesse, die vielleicht durch elterliche Modelle oder eigene, frühe verunsichernde Erfahrungen mit dem Körper erworben wurden, und ungünstige Verhaltensweisen wie Stressbewältigung durch Alkohol oder auch zu starkes Schonverhalten zur Aufschaukelung beizutragen.

Fehlt noch die soziale Ebene: Konflikte im sozialen Umfeld, kritische Lebensereignisse, Arbeits- und Alltagsbelastungen ergänzen hier das Modell. Allerdings treffen diese Stressfaktoren ja immer auf ein Individuum und ob diese Punkte zu einer Belastung für den Einzelnen werden, hängt wieder von den oben aufgeführten psychologischen Faktoren ab.

Wie wir also individuell ticken, wie und worauf unsere Psyche mit Stress reagiert, entscheidet mit darüber, ob der Körper seinen Dienst zufriedenstellend erledigt oder nicht.

Gut investiert: Achtsamkeit für unser Innenleben

Neu ist diese Erkenntnis beileibe nicht. Schon Goethe schrieb in Faust: „Geh du voran“, sagte die Seele zum Körper, „denn auf mich hört er ja nicht.“ „In Ordnung“, sagte der Körper, „ich werde krank werden, dann hat er Zeit für Dich.“

Und dennoch verwöhnen wir den Körper in unseren Köpfen und unserem Leben immer noch mit deutlich mehr Aufmerksamkeit als unsere Seele. Viele widmen sich ausgiebig ihrer Ernährung und verbringen unendlich viel Zeit in Fitnessstudio und auf dem Sportplatz. Und das ist gut so, denn dass ein gesunder Körper zu einer stabilen Psyche beiträgt, ist wahrlich kein Geheimnis mehr. Aber sich um einen fitten Body zu bemühen, ist eben nur die halbe Miete.

Zugegeben: Sich seinem seelischen Innenleben zuzuwenden, kommt für viele einer Reise ins Unbekannte gleich. Und das macht häufig genug erst einmal Angst. Aber wer sich mutig auf den Weg macht, dem eröffnen sich meist unbekannte Möglichkeiten, ein zufriedenes, gesundes und glückliches Leben zu führen. Und sofern Du halbwegs gesund bist und keine schwerwiegenden körperlichen oder psychischen Beschwerden hast (dann macht nämlich der Gang zum Therapeuten Sinn), kannst Du auch ohne professionelle Unterstützung die Reise beginnen.

So simpel es klingt, so wirksam kann diese kleine Übung sein. Halte tagsüber mehrmals achtsam inne, werde Dir Deiner Empfindungen und körperlichen Befindlichkeit klar und frage Dich: „Tue ich gerade das, was ich wirklich möchte? Sage ich meine Meinung oder halte ich damit lieber hinter dem Berg? Bin ich auf noch auf meinem Weg?“. Oder auf den Punkt gebracht: „Was will ich eigentlich gerade?“.

Über die Zeit und die Regelmäßigkeit dieser Kontaktaufnahme mit Deinen Bedürfnissen wirst Du Dich besser kennenlernen und kannst dann starten, die gewonnenen Erkenntnisse in Dein Leben zu integrieren. Und eventuell lernst Du so auch Deinen persönlichen Wohlfühl-Seismographen kennen. Vielleicht ist es die verspannte Schulter, die immer wieder verstopfte Nebenhöhle oder wie bei mir damals die rote Haut. Wenn Du es schaffst, diese größeren oder kleineren Hinweise Deines Körpers als Verbündete auf dem Weg zu Dir selbst zu sehen, dann bist Du auf der Reise schon fast am Ziel. Deine Psyche und Dein Körper werden es Dir danken.

Übrigens: Mein Tennisarm ist fast verschwunden. Noch nicht ganz, aber ich bleibe dran. Das bin ich mir schuldig.

 


julia-felbingerAutor:

Julia Felbinger arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin, Paartherapeutin und Coach in eigener Privatpraxis in München. Zwei ihrer Steckenpferde sind die Behandlung somatofomer Störungen und achtsamkeitsbasierte Verfahren. Zu ihrer Website.


Photo (oben): x1klima  | Quellen: Kaluza. Stressbewältigung / Wittchen, Hoyer. Klinische Psychologie & Psychotherapie