Teile diesen Beitrag "Wie man aufhören kann, sich ständig fertig zu machen"
Lange Zeit machte ich mich fertig für alles, das ich tat und nicht tat, für jede noch so kleine Sache, bei der ich „versagte“. Zu wenig gelernt für die Uni, zu viel gekaut an meinen Fingernägeln, meine Ziele nicht oft genug visualisiert, nicht die richtigen Worte gefunden, wieder keinen Sport gemacht, wieder den Müll nicht rausgebracht, wieder mein Leben nicht im Griff gehabt.
Jeder Tag endete vor meinem persönlichen Jüngsten Gericht. Und das Urteil war immer hart und immer dasselbe: schuldig, schuldig, schuldig!
Ich saß da wie ein Hundehäufchen Elend, fühlte mich ungenügend, mangelhaft, ein einziger Witz ohne Pointe. Ich dachte, ich hätte das verdient und es sei nötig, damit ich mich morgen bessern würde. Mit den Riemen der Peitsche vom Vorabend noch auf dem Rücken sichtbar wollte ich am nächsten Tag noch mehr anstrengen, um endlich nicht mehr so zu „versagen“.
Nur ging diese Rechnung nie auf. Denn erstens brauchen wir Ermutigung, um etwas zu ändern, zweitens wird der innere Kritiker immer etwas zu nörgeln haben, und drittens – und am wichtigsten – müssen wir nicht erst etwas werden, um wertvoll zu sein. Wir sind es schon.
Abstand zum inneren Kritiker
Heute schaff ich’s oft, besser mit mir umzugehen. Dieser Kritiker ist immer noch da. Doch ich glaube ihm nicht mehr alles, was er sagt. Ich nehme ihn wahr: „Ah, da spricht er wieder!“ und gewinne damit Abstand zu ihm und seinen Worten, lass mich nicht einfangen, und besinne mich auf die Realität.
Ich bin kein Schwerverbrecher, kein Versager, kein bisschen wertlos. Ich bin ein Mensch und keine Maschine, und Menschen machen nicht alles perfekt und müssen das auch gar nicht.
Für Dich gilt das natürlich genauso.
Was, wenn wir uns also all die kleinen und nicht ganz so kleinen „Fehler“ verzeihen, wenn wir die unnötige Scham loslassen und uns von Tag zu Tag ein bisschen liebevoller zu uns sind, uns mehr annehmen?
Übertriebene Ansprüche loslassen
Wenn wir an einer Stelle versagen, dann ist das schließlich nicht beim Ausführen, sondern beim Planen. Wir nehmen uns Unmenschliches vor, dem wir selbst dann nicht ensprechen können, wenn wir unser Menschenmögliches tun.
Statt sinnlos hohe Ansprüche an uns zu stellen und ständig die Peitsche zu schwingen, können wir uns liebevoll sagen:
„Ich bin okay wie ich bin – und ich kann noch trotzdem noch wachsen.“
Und wenn wir das nächste Mal zu hart zu uns sind, hilft vielleicht dieser Gedanke:
Eine Pflanze braucht die Wärme der Sonnenstrahlen, damit sie wächst – und niemanden, der jeden Tag auf ihr herumtrampelt. Bei uns Menschen ist das genauso.
Wie Du Dich liebevoll annehmen und noch mehr vom inneren Kritiker befreien kannst, erfährst Du im myMONK-Buch: Selbstwertgefühl – Wie es entsteht und wie Du es stärken kannst.
Photo: Julien Jeanneau
ohja, meine Kritikerin ist auch schamlos hart mit mir! Ich habe inzwischen auch angefangen so zu denken (oh da ist sie schon wieder)…Ich weiß manchmal selbst nicht was ich will, aber wenn ich mit etwas nicht zufrieden bin, dann versuch ich’s zu ändern. Die innere Kritikerin hat dann Sendepause, weil der Versuch zumindest etwas zu unternehmen ja schon so gut ist, dass sie gar nix dagegen wettern kann.
Hallo Tim,
genau das ist mein Problem: Immer das Gefühl nicht GENUG zu sein. Nicht gelassen GENUG, dünn GENUG, schnell GENUG… – also einfach (oder gar nicht einfach) perfekt GENUG.
Das Bild mit der Pflanze gefällt mir richtig gut. Ich werde es in Gedanken mitnehmen und aus meinem Gedächtnis hervorholen, wenn ich in meinen Augen mal wieder nicht GENUG bin.
Lieben Gruß Petra
Mir hat am meisten geholfen zu erkennen, dass wir nicht unsere Gedanken und unsere Gefühle sind. Nur weil ich etwas denke heißt das noch lange nicht, dass es wahr ist. Gedanken sind nur Gedanken und eben keine Tatsachen. Genauso verhält es sich mit allen Urteilen (Gut und böse, richtig-falsche, schön-hässlich). All diese Dinge gibt es gar nicht, genauso wie übrigens auch Schuld und Scham, die beide nichts anderes als Hirngespinste sind – aber das ist ein anderes Thema.
Ein schöne Beitrag – weiter so!
Hallo Tim,
ja, das ist nicht okay, sich immer selbst fertig zu machen und unerfüllbare Ansprüche an sich selbst (und, noch schlimmer, auch an andere zu stellen); Burnout und Depressionen lassen grüßen!
In irgendeinem längst vergangen Beitrag hast Du zur Einstimmung die Geschichte von dem Wanderer, dem Wind und der Sonne wiedergegeben.
Wir sollten einander – und uns selbst – viel mehr Sonne sein! Es muss nicht immer alles mit Druck belegt sein.
Schönen Abend,
Knoxi
Ich denke, das Thema betrifft ganz viele Menschen und die meisten sind sich dessen gar nicht bewusst. Das war bei mir auch so, bis ich eine Angsstörung bekommen habe und mich zum ersten Mal intensiv mit meiner eigenen Gedankenwelt außerandergesetzt habe. Ich denke, so ganz wird man das nie los, aber was mir sehr hilft, ist mir vorzustellen, was ich zu einer lieben Freundin sagen würde, in der jeweiligen Situation. Da wäre ich sehr viel verständnisvoller und wohlwollender. Es würde mir nicht einfallen jemanden so fertig zu machen wie mich selbst, weil er/sie seinen Haushalt öfter mal nicht im Griff hat und ein Stück Schockolade zu viel gegessen hat 🙂 Ich achte jetzt bewusst darauf und es geht mir immer besser.
Ein Nebeneffekt vom Netter-zu-sich-selbst-sein ist, dass man Dinge, wie aufräumen oder Papierkram erledigen auf einmal viel leichter angeht, weil man die Hürde dieses negativen Gedankensalats gar nicht mehr überwinden muss 🙂
Ein Gespräch, dass ich neulich mit dem Freund meines Sohnes (20 Jahre alt ) hatte- während meine Sohn und noch ein paar Freunden im Wohnzimmer Fußball guckten, saß ich mit ihm auf den Balkon und unterhielt mich . Wir haben uns gut verstanden und ich habe mich wohl gefühlt währenddessen. Später dann meinte ich das ganze zu be- und entwerten zu müssen „wie armselig ist das denn, dass Du davon zehrst, Dich mit einem Freund Deines Kindes zu unterhalten? “ Und damit war das Wohlgefühl futsch und übrig blieb ein mieser fieser Nachgeschmack… Obwohl mit bewusst ist, dass sich solche negativen Gedankengänge meistens fernab meiner Lebensrealität abspielen, drängen sie sich mir hin und wieder auf… ich hasse es…
Diesen Kritiker kenne ich auch sehr gut. Ich habe allerdings das Problem dass ich mir sehr wohl bewusst bin wann „er“ spricht, ich aber dennoch nicht viel dagegen setzten kann. Irgenwie hat „er“ ja doch immer recht.
Ihr Artikel trifft ins Schwarze. Genauso geht’s mir Tag für Tag. Bisher dachte ich immer ich bin allein damit. Bei mir ist es der Gedanke meine Pflichten nicht zu erfüllen.
Carolin
your monk appreciate your work. it is o.k. go on, please. thx and ahoy volker
Dankeschön Volker!
Hallo Tim,
vielen Dank für diesen Artikel!
Die innere Kritikerin ist ebenfalls auch in mir stark ausgeprägt.
Ich möchte oft alles sehr gut machen und tue unheimlich viel dafür. Dabei setze ich mich unter hohen Druck und bin von mir selbst enttäuscht, wenn ich mein Ziel nicht oder nicht gut genug ereicht habe.
Danach folgt das Gefühl versagt zu haben und damit komme ich schlecht zurecht. Ich wünsche mir von mir selbst mehr Geduld und Gelassenheit. Klappt nur noch nicht. 😉
Es ist gut zu wissen, nicht die Einzige zu sein, die mit dieser inneren Kritikerin kämpft.
Hallo Tim,
Ich bin zufällig auf deinen Beitrag gestoßen und er hat mir kurzzeitig viel Kraft gegeben. Ich gehe sehr hart mit mir ins Gericht und schaffe es leider immer wieder, mein Licht total unter den Scheffel zu stellen. Ich habe mein Studium mit einer super Note abgeschlossen, sehe gut aus und mache Sport, schaue dass ich viel mit Freunden unternehme und meine Kontakte ausbaue, etc. Ich denke aber nicht daran, was mir gut tut oder Spaß macht, sondern daran, was mir noch fehlt, was mich weiterbringt, meinen CV verbessert, mein Netzwerk, etc. Dann treffe ich jmd, der etwas ‚besseres‘ studiert, besser aussieht, mehr Kontakte oder Ausdauer im Sport hat, und ich fühle mich direkt minderwertig. Ich muss härter arbeiten, weiter kommen, besser sein. Es gibt keinen Tag an dem diese Gedanken ausbleiben. Wenn ich in meinem Zimmer Unordnung habe, wenn ich an einem Tag nichts geleistet habe, keine Leute getroffen habe oder lange keine neuen kennen gelernt habe, zu wenig aktiv bin, fühle ich mich so als würde ich mein Leben nicht auf die Reihe bekommen. Ich schaffe es nicht mal, deinen Post ohne negative Hintergedanken aufzunehmen. Ich denke mir, obwohl ich weiß dass der Artikel vielen Menschen hilft, direkt: boah, der ist erfolgreicher als ich. Ich hoffe, dass ich es irgendwann schaffe, mich so zu akzeptieren wie ich bin !