Teile diesen Beitrag "Du kennst Deine „große Leidenschaft“ nicht? 5 Gedanken, die den Druck nehmen."
Es folgt ein Gastbeitrag von Fabian Ries.
Mozart hat schon mit sechs Jahren komponiert. Michael Jordan stand um 5 Uhr auf, um vor dem Klassenbeginn noch Körbe in der Turnhalle zu werfen. Scott F. Fitzgerald hat sich mit „The Side of Paradise“mit 23 Jahren unsterblich geschrieben. Michael Jackson wurde wortwörtlich in die Musik geboren.
Doch viele von uns haben keine Passion, keine „große Leidenschaft“ oder Vision von sich und ihrem Leben. Sie streunern vielleicht eher herum wie die Kater in der Nacht, während bei den Passionierten die Schreibtischlampen durchbrennen, weil sie stundenlang „an ihren Vermächtnissen arbeiten“.
Früher wollte ich gern jedem Menschen helfen, seine Leidenschaft zu finden.
Doch ist das wirklich richtig?
Es gibt Tausende Kurse, Blogartikel und Bücher, die von der großen Leidenschaft schreiben. Eine ganze Community, die möchte, dass ihre Leser ihre Leidenschaft finden. Sie sagen, dass nur Mut zum Glück fehlt: Die eine Kündigung. Der Wechsel des Studiums oder sogar der Austritt aus der Uni.
Ziemlich stressig.
Hier fünf Gedanken über das Suchen und Ausleben der Leidenschaft, die etwas von dem Druck nehmen können.
1. Arbeit bleibt Arbeit, und Leidenschaft ist viel Arbeit
Der Philosoph Alain de Botton hat gesagt: „Es gibt keine Work-Life-Balance. Alles, was zum Kämpfen es wert ist, bringt dein Leben aus dem Gleichgewicht.“
Das durfte ich am eigenen Leib erfahren. Als ich mich dem Schreiben verschrieb, wurde mir irgendwann alles zu viel. Ich hörte Salsa auf. Verkürzte die Zeit im Fitnessstudio. Spielte weniger Fußball.
In dieser Phase riss mich der Wecker um 5:30 Uhr aus der süßen Vorstellung, mit einer Partnerin die Welt zu erobern.
Ich machte mir sehr viel Druck, meinen Roman schnell zu beenden. Ich hatte das Gefühl, dass ich die Jahre davor vertrödelt hatte.
Als Ausgleich gab es viel Mandelmus. Schön zugenommen. Unwohl gefühlt. Libido sinkt. Stimmung auch.
Ich habe gelernt, dass man es mit der Leidenschaft übertreiben kann. Nie mehr würde ich mein Leben so aus dem Gleichgewicht bringen.
Irgendwie wird dieser Hinweis in Self Help Büchern gerne rausgestrichen. Dort steht viel mehr: „Leidenschaft verdrängt den Schmerz aus der Arbeit“ („Passion put the Pain out of the work“). Oder: „Du hast deine Leidenschaft gefunden, wenn du Arbeit nicht mehr als Arbeit wahrnimmst.“
Das kann ich nicht bestätigen. 5:30 bleibt eine undankbare Zeit.
2. Das Problem ist nicht, keine Leidenschaft zu haben, sondern angestrengt nach dieser zu suchen
Meiner Einschätzung nach suchen viele ihre Passion und finden sie einfach nicht. Sie meinen, sie hätten sie gefunden, wollen sie einfangen und dann huscht sie wieder davon.
Dann kommen die Gurus und predigen: Das ist eben nicht deine wahre Leidenschaft. Sie wartet auf dich. Kauf mein Buch, Seminar oder Videokurs und du wirst sie finden.
Die Wahrheit ist: Nicht jeder von uns hört einen „Ruf“. Jedoch machen sich viele den Druck solchen zu finden. Das Resultat: Sie springen von Job zu Job und haben immer das Gefühl, nicht ganz angekommen zu sein.
Die These, dass es irgendwo da draußen einen Beruf gibt, der dich vollkommen erfüllt, ist genauso waghalsig, wie die Vorstellung, dass es dort draußen den perfekten Partner gibt.
Anstatt aktiv seine Leidenschaft zu kreieren (oder eine harmonische Beziehung mit dem nicht 100 % kompatiblen Partner), konzentrieren sich jene Leute auf die Suche. Auf das fehlende Puzzlestück zu ihrem vollkommenen Glück.
Was soll man nun machen? Wie entwickelt man Leidenschaft für sei nerviges Studium oder den langweiligen Bürojob?
3. Leidenschaft kann entstehen, wo wir etwas meistern
Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, richtig zu arbeiten, anstatt die richtige Arbeit zu suchen.
Das „Was“ ist nicht so entscheidend, wie das „Wie“.
Die Leidenschaft eines Freundes von mir sind Steuern. Wie bitte? Leidenschaft für Steuern? Wie soll das gehen? Er sagt: Es wurde seine Passion, weil er wirklich gut darin ist. Deswegen möchte er Steuerberater werden.
Das liegt aber nicht daran, dass er das Steuer-Gen in sich trägt, sondern weil er sich täglich weiterbildet, in seinem Studium hellwach ist, Tutorien gibt und der Beste in seinem Fach werden möchte.
Wenn Steve Jobs sein Rat der Leidenschaft gefolgt wäre, dann hätte er ein Zentempel und nicht Apple gegründet. Doch der Erfolg (bzw. sein Potential) von Apple I (der erste Apple Computer) speiste seine Leidenschaft.
Die passioniertesten Arbeiter sind demnach jene, die so lange ihren Beruf machen, bis sie richtig gut darin werden. Mir fallen dutzende Leute ein, die früher was ganz anders machen wollten, aber in ihrem jetzigen Job richtig aufgehen.
Wenn du also überlegst, deinen Job oder Studium hinzuschmeißen, dann versuche nur einen Monat mal so richtig Gas zu geben.
Werde Arbeiter des Monats. Lass dich nicht von deinem Chef stoppen oder von deinen Kollegen. Arbeite so fokussiert und gewissenhaft wie noch nie. Erwarte keine Belohnung oder Aufmerksamkeit. Mach es nur für dich.
Genauso im Studium. Lerne, sei wach in den Vorlesungen und hör auf zu Tindern. Transformiere zum 1-Monat-Streber.
Plötzlich wirst du dich in einem konzentrierten Modus wiederfinden, den man als Flow bezeichnen kann. Dann wirst du in der Tätigkeit aufgehen.
4. Es gibt ein Leben neben der Arbeit
Für all jene die ihre Leidenschaft kennen und aus sinnvollen Gründen (Sicherheit, Existenzangst, Angst vorm Scheitern) diese gewünschte Tätigkeit nicht machen, habe ich einen weiteren Tipp.
Ich arbeite gerade 40 Stunden in der Woche für ein Unternehmen, obwohl ich weiß, dass ich mit meinem Roman durchstarten möchte.
Doch deswegen verfluche ich nicht meine Arbeit. Ganz im Gegenteil. Ich liebe es, was sie mir ermöglicht (ich sitze gerade in einem schönen Café in Chiang Mai) und versuche zu lernen und besser zu werden.
Meine Herausforderung war es, die Arbeit nicht als Hürde oder Blockade zwischen mir und meinen Roman zu sehen. Viel mehr habe ich mir aufgeschrieben, warum sie mir hilft, meine persönlichen Ziele zu erreichen. Zugegeben war diese Übung für mich einfach, weil ich mir diesen Job wegen dem Lernpotential ausgesucht habe.
Ich habe verstanden, dass auch ein Tropfen nach dem nächsten einen Stein aushöhlen kann. Jeden Tag nur eine Stunde für den Roman bzw. meine Selbständigkeit reicht aus. Wenn dies nicht klappt, dann eben nur einen Satz am Tag.
Das reicht schon für ein Gefühl von „Ich mach mein Ding“. Probiere also nebenbei nur eine Stunde frei zu schaufeln, um deiner Leidenschaft nachzugehen. Es ist möglich.
Meiner Meinung nach würden viel mehr Menschen ihren Neigungen folgen, wenn sie nicht glauben würden, dass sie dafür ihr gesamtes Leben umkrempeln müssen.
Es würde schon helfen, wenn sie nur eine Stunde am Tag etwas machen, was sie lieben.
5. Entspannt bleiben
Wir wissen nie, aus welchen Hintergründen heraus extrem leidenschaftliche Menschen handeln. Vielleicht blieb Steve deswegen immer hungrig – „stay hungry“ riet er oft – weil er mit seinem Kommunikationsunternehmen die Welt miteinander vernetzen konnte, das zwischen sich und seinen leiblichen Eltern jedoch nicht schaffte.
Wer weiß, aus welchem Mangel sich so manche Leidenschaften speisen. Deswegen: „Stay satisfied“ und mache dir keinen Druck.
Egal, was du gerade machst und von was du träumst. Mach es in deinem Tempo. Mit viel Neugierde und einem guten Gefühl im Bauch.
Ich finde, ein gutes Beispiel, wenn es um Leidenschaft geht, ist Forrest Gump. War er nicht ein leidenschaftlicher Tischtennisspieler, Läufer und Shrimp Fischer? Aber bei allen blieb er so entspannt, akzeptierend und haftete nicht an den Ergebnissen. Von ihm kann man sich einiges abschauen.
Ich hoffe ich konnte mit dem Artikel etwas Leiden aus der Leidenschaft nehmen.
Autor: Fabian ist ein Querdenker und Freigeist. Gerade reist er durch Asien und arbeitet an sein Herzensprojekt: Seinen Roman. Dabei bloggt er über seine Abendteuer, wie er mit dem Mammutprojekt vorankommt und über Persönlichkeitsentwicklung auf www.fabianries.de.
Photo (oben): pedro alves
Das Schlimmste war für mich auf der Suche nach meiner Leidenschaft der Druck von außen. Ich habe nicht aus eigenem Antrieb nach meiner Leidenschaft gesucht (denn ich kannte sie schon getraute mich allerdings nicht sie auszuleben und anderen mitzuteilen), sondern andere hatten mich dazu gedrängt endlich herauszufinden, was meine Passion sei. Als ich damit aufgehört hatte, wurde mit der Zeit alles gut.
Hi Oliver,
wer war es denn bei der, der Dich da von außen angetrieben hatte? Freunde, Familie, Blogger?
Liebe Grüße
Tim
Das war einer der besten Artikel, die ich hier jemals gelesen habe.
Danke dafür.
Hi Tom, vielen Dank. Ich kann dir verraten, dass ohne Tim der Artikel nur halb so gut wäre 😉
Danke für diesen tollen Artikel, Fabian!
Er kam genau zur rechten Zeit. Mache mir gerade viele Gedanken darüber, ob dieser Weg der richtige für mich ist. Ob das mit dem Blog wirklich ich bin, oder ob ich doch lieber selber schreibe. Oder mit Tieren arbeite. Es gibt so viele Dinge, an denen das eigene Herzblut hängt, dass man manchmal nicht weiß, wo einen diese „Leidenschaft“ hinträgt.
Vielen Dank Sara 🙂 Ich glaube du kannst dich nicht falsch entscheiden. Vertraue und konzentriere dich auf das „wie“. Nicht nur auf das „was“.
Gerade heute Vormittag habe ich mir das x-te Webinar zum Thema „folge deiner Passion dann wirst du automatisch auch irgendwann reich damit“ angeschaut und bin dabei frustrierter und frustrierter geworden. Ich habe Miete und Krankenkasse zu bezahlen und zwar nicht irgenwann in ein paar Jahren, sondern Ende Monat. Ende jedes Monats.
Das geht auch ohne grosse Leidenschaft – einfache Freude an gut gemachter Arbeit reicht schon sehr weit, wenn einem nicht die ganze Welt weiszumachen versuchte, da müsse noch mehr sein und man müsse dieses „mehr“ unbedingt finden. „glücklicher, zufriedener, leidenschaftlicher“ ist das neue „Höher, weiter schneller“.
Ich bin genau deiner Meinung, Katharina. Danke für dein Kommentar!
Wow, ein super Artikel – vielen Dank dafür!
Vor circa einem Jahr lernte ich einen Freund kennen, der mich immer wieder ungeduldig fragte: Wofür brennst du denn? Was ist deine Leidenschaft?
Tja und so richtig wusste ich darauf keine Antwort und habe mich daraufhin einem irren Druck ausgesetzt, damit ich endlich mal das finde, wofür ich „brenne“. Und erst jetzt, wo ich langsam wieder runterkomme und mir klar mache, dass ich hier niemandem etwas beweisen muss, merke ich, welche Themen mich von selbst richtig interessieren und worin ich Expertin werden möchte. Super geschrieben!
Hi Lisa, yeah! Genauso so. Wir müssen niemanden etwas beweisen. Nicht so lange brennen, bis wir unter Burn Out leiden. Druck rausnehmen und den Weg genießen. 🙂
Danke für diesen super Artikel!
Haben mir gerade sehr viel Gedanken über meinen Job gemacht und dann zufällig den Text gelesen.
Ich werde jetzt mal einen Monat lang meinen Job mit meiner ganzen Leidenschaft machen. Nur für mich.
Hi Kathrin, danke dir! Ja, mach es. Konzentriere dich auf das „wie“. Sehe die kleinen, schönen Dinge in deiner Arbeit. Gehe darin auf. Es liegt in deiner Macht und Verantwortung 🙂
Der Beitrag kommt bei mir genau zur richtigen Zeit!
1000 Dank fürs Augen öffnen & Alles Gute für die Zukunft!
M
Vielen Dank, Markus. Ich wünsche dir auch nur das Beste 🙂
Ich glaube die Kunst besteht darin, dass Arbeit Leidenschaft und Leidenschaft Arbeit wird. So dass der Dualismus aufgehoben wird und Arbeit ohnehin genau das ist, was man die ganze Zeit über machen möchte – selbst dann, wenn man dafür nie bezahlt würde.
Hi Oliver,
also daran glaube ich nicht mehr so. Das ist ein Versprechen, das oft mit „Mit Leidenschaft wirst Du wahnsinnig erfolgreich werden“ im Doppelpack kommt. Und genau das führt doch recht viele Leute in die Irre, fürchte ich.
Wenn man von etwas Leben können will, wird es irgendwann auch Arbeit sein im Sinne von Arbeit, und ich finde das auch überhaupt nicht schlimm, nur muss der Profi eben auch ran, wenn er gerade nicht leidenschaftlich ist.
LG Tim
Sehr guter Artikel der wahrlich zum denken anregt. Besten Dank dafür.
Danke, Marko!
Moin moin Fabian 🙂
Guter Artikel und (endlich) auch mal eine andere Sicht auf die Dinge. Auf jeden Fall hast du einen sehr angenehmen Schreibstil!
Ich persönlich finde eine Sache bei dem Thema noch wichtig: bei den meisten Büchern geht es ja nicht nur um die Leidenschaft, sondern um den Erfolg.
Die Logik ist ja eigentlich fast immer so:
Du folgst deiner Leidenschaft => Reich, berühmt, sexy … blabbla
Viele Leute suchen aus meiner Sicht dann nicht wirklich ihre Leidenschaft, sondern eben das was ihnen danach versprochen wird. Es herrscht also noch mehr Druck, da noch die Erwartungshaltung dazu kommt (Wenn ich noch nicht reich bin, dann wahrscheinlich weil ich meine Passion noch nicht gefunden habe).
Du fängst den Artikel mit Michael Jordan an. Die Frage ist ja: wollen die Leute so spielen wie Michael Jordan, aber niemand sieht wie gut sie Basketball spielen? Wohl eher nicht.
Aus meiner Sicht sollte das nicht mehr verbunden werden. Für mich ist meine Arbeit als Softwareentwickler ein gutes Beispiel: ich würde auch den ganzen Tag Web Anwendungen entwickeln, wenn mir niemand dafür Geld geben würde (Liebe Kunden: nicht falsch verstehen, daraus wird nichts. Hahaha ).
Das war für mich das Zeichen, dass ich an der richtigen Stelle bin, auch wenn es nie viele Menschen interessieren wird.
LG
Sebastian
Hi Sebastian, vielen Dank für dein Kommentar. Ich stimme dir voll zu und freue mich, dass du eine Tätigkeit nachgehst, die dich wirklich begeistert 🙂
Hallo Fabian,
ein erkenntnisreicher Beitrag über das Finden der Leidenschaft.
Punkt vier finde ich gerade in Deutschland sehr wichtig. Es gibt ein Leben neben der Arbeit. Mal eine Auszeit machen, einen Schlussstrich ziehen und alles umkrempeln. Das hilft die Leidenschaft zu finden oder sie neu zu entfachen.
Entspannt und locker bleiben. Es mit dem eigenen Tempo machen… Sehr wichtig und es verhindert Krankheiten die durch Stress wachsen. Im Alltag seinem Tempo treu zu bleiben ist oft nicht leicht und wird durch künstlichen Stress beeinflusst.
Genial geschrieben und es regt zum Reflektieren an. Mehr davon bitte 🙂
Liebe Grüße aus Laos
Alex
ey, ey, Alex. Schau einfach auf meinem Blog vorbei. Dort gibt es mehr. Arbeite gerade an einen neuen Artikel 🙂
Vielen Dank für dein Kommentar.
Beste Grüße, Fabian
Lieber Fabian, ich stimme vollkommen mit deinen Gedanken überein. Ich fand auch schon während meiner diversen Coaching-Ausbildungen, dass Menschen viel zu viel Druck mit dem Thema Leidenschaften gemacht wird. Nicht jeder kann diese sofort entwickeln bzw. muss sein Leben umkrempeln, um „echt“ zu sein. Der Weg – genau wie du es beschreiben hast – ist eben ein Weg. Und der ist sehr unterschiedlich – je nach Individuum. Toll ist aber, sich mit Leidenschaften überhaupt zu beschäftigen. Das trägt doch eindeutig zur Spannung und dem Lebenswert bei. Good work – keep going!:) Herzliche Grüße, Dagmar