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Es folgt ein Gastbeitrag von Andreas Gauger.

Kann ein allmächtiger Gott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn nicht heben kann?

Willkommen in der Welt der Paradoxien!

Zur Ausgangsfrage:

Wenn ein allmächtiger Gott keinen Stein erschaffen kann, der so schwer ist, dass er ihn nicht heben kann, ist er nicht allmächtig, weil er ihn nicht erschaffen kann.

Wenn ein allmächtiger Gott einen Stein erschaffen kann, der so schwer ist, dass er ihn nicht heben kann, ist er nicht allmächtig, weil er ihn nicht heben kann.

Tja, und nun?

C. G. Jung1 sagt dazu:

‚Die Paradoxie gehört sonderbarerweise zum höchsten geistigen Gut; die Eindeutigkeit aber ist ein Zeichen der Schwäche. […] , denn nur das Paradoxe vermag die Fülle des Lebens annähernd zu fassen, die Eindeutigkeit und das Widerspruchslose aber sind einseitig und daher ungeeignet, das Unerfassliche auszudrücken.‘

Und was genau ist eine Paradoxie?

Eine Paradoxie ist eine Aussage, die einen scheinbaren oder tatsächlichen Widerspruch enthält, der unauflösbar scheint.

Unsere Vorstellungen sind zu klein, um das Leben abzubilden

Der große Shakespeare2 drückt es in seinen Hamlet so aus:

‚Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt (,Horatio).‘

Doch das macht uns zuweilen Angst. Es macht uns unsicher. Und ich spreche hier nicht mal von den wirklich gruseligen Dingen à la „Paranormal Activity“. Ich spreche von den ganz normalen Unwägbarkeiten des Lebens.

Wir leben in einer Welt, von der wir nicht wissen, wie sie ist. Und dennoch müssen wir uns tagtäglich darin zurecht finden. Wenn wir aber nicht wissen, wie die Welt wirklich ist, wissen wir auch nicht, wie sie sich verhalten wird. Wir müssen also Hypothesen bilden. Hypothesen darüber, wie die Welt wirklich ist und wie sie sich verhalten wird.

Diese Hypothesen nennen wir dann Glaubenssätze. Sie sind Bestandteil der Landkarte von der Welt, mit der wir uns darin zu orientieren versuchen.

Wir reagieren immer nur auf unsere Landkarte von der Welt, nie auf die Welt, wie sie wirklich ist. Das ist unmöglich, denn wir können nicht wissen, wie die Welt wirklich ist. Das Problem ist, dass unsere Landkarten nicht immer optimal sind.

Sie weichen teilweise erheblich von der Welt ab, wie sie wirklich ist – und verursachen uns dadurch eine Menge Probleme. Denn wie es Alfred Korzybski in seiner „Allgemeinen Semantik“ so treffend ausdrückt:

‚Die Landkarte ist nicht das Gebiet.‘

Ein geflügeltes Wort auch in der Welt des NLP. Denn NLP arbeitet stark damit, die Landkarten, mit denen jemand durch die Gegend läuft, zu verbessern, um so mehr Wahlmöglichkeiten in Bezug auf das eigene Verhalten zu bekommen, um den Anforderungen des Lebens flexibler begegnen zu können.

Natürlich mit dem Ziel, uns in der Welt, wie sie wirklich ist, besser zurecht zu finden und bessere Ergebnisse zu erzielen.

Ähnlich wie Paradoxien und doch anders: Der Double Bind

Es gibt eine rhetorische Figur, ein hypnotisches Sprachmuster, die auf den ersten Blick einige Ähnlichkeiten mit Paradoxien aufweist. Es ist der so genannte Double Bind.

Dieses Muster wurde vom größten Hypnotherapeuten aller Zeiten, Milton H. Erickson, häufig verwendet und von den beiden NLP Begründer Richard Bandler und John Grinder in ihrer Untersuchung der Arbeitsweise Ericksons in mehreren Büchern3,4,5 genau beschrieben.

Beim Double Bind steht ein gewünschtes Ergebnis fest. Man lässt dem Gegenüber lediglich die Wahl von (meist zwei bis drei) Alternativen, dorthin zu gelangen. Der Double Bind stellt damit Scheinalternativen zu Wahl. Gerne auch in der Kindererziehung eingesetzt:

„Möchtest du lieber erst dein Zimmer aufräumen und dann mit deinem neuen Auto spielen oder lieber erst eine halbe Stunde spielen und dann dein Zimmer aufräumen?“

Mein Lieblingsbeispiel ist dieses:

Eine Frau schenkt ihrem Mann zu Weihnachten zwei Krawatten. Die gefallen ihm beide so gut, dass er eine davon gleich am nächsten Morgen anzieht.

Die Frau sieht das, setzt einen skeptischen Blick auf und sagt zu ihrem Mann:

‚Die andere Krawatte hat dir wohl nicht gefallen?‘

Welche Chance hat der arme Kerl gehabt?

Bevor man mir hier Parteilichkeit unterstellt; das Beispiel funktioniert selbstredend auch andersherum.

Wie sehr uns sowas zu schaffen machen kann, siehst Du daran, dass man viele Jahre davon ausgegangen ist, dass eine Kommunikationskultur innerhalb der Familie, die sehr viele Double Bind – Botschaften enthält, zur Entstehung von Schizophrenie beitragen kann.

Bei Untersuchungen von Familien, in denen Schizophrenie vorkam, wurde nämlich überdurchschnittlich häufig eine solche Kommunikationskultur entdeckt.6 Dies ließ sich jedoch nicht halten und heute hat man andere Theorien dazu.

Festgefahrene Glaubenssätze mit Paradoxien auflösen

Man kann Paradoxien auch für den guten Zweck einsetzen. Zum Beispiel in menschlichen Veränderungsprozessen. Besonders effektiv geht das mit einschränkenden Glaubenssätzen. Diese lassen sich nämlich durch Paradoxien aufweichen.

Das alleine verändert einen Glaubenssatz noch nicht in jedem Fall nachhaltig. Aber es weicht ihn etwas auf und versetzt ihn in einen Zustand, in dem er sich leichter weiter bearbeiten lässt. Wie Eisen, das man im Feuer erhitzt, damit es weich wird und sich besser formen lässt.

Jeder Glaubenssatz hat nämlich einen Nabel, einen Mittelpunkt. An diesem Nabel hebelt er sich selbst aus. Mit anderen Worten: Jeder Glaubenssatz muss mit sich selbst eine Ausnahme bilden.

Beispiel aus der Praxis:

Klient kommt zum Therapeuten und sagt: ‚Mein Problem ist, dass ich zu schwach bin.‘

Therapeut ist auf Zack und antwortet: ‚Aha, ich verstehe. Ihr Problem ist, dass Sie zu schwach sind. Aber ich frage mich, sind Sie auch schwach genug, um hin und wieder Stärke zuzulassen?‘

Ergebnis: „Armer“ Klient! (Im positiven Sinne)

Entweder er kommt zu dem Ergebnis, dass er schwach genug ist, um hin und wieder Stärke zuzulassen. Dann gilt jedoch im Umkehrschluss, dass er einsehen muss, dass er ab und zu Stärke zulässt. Bingo! Ausnahme vom Glaubenssatz gefunden.

Oder er kommt zu dem Ergebnis, dass er nicht schwach genug ist, um hin und wieder Stärke zuzulassen. Dann gilt im Umkehrschluss, dass er gar nicht so schwach sein kann, wie er dachte. Schließlich gibt er zu, hin und wieder Stärke zuzulassen. Bingo: Ursprünglichen Glaubenssatz relativiert.

Dabei geht es nicht darum, ob das Sinn macht oder logisch ist oder vom Klienten direkt angenommen wird. Aber diese Paradoxien bzw. der enthaltene Double Bind veranlasst dazu, die uneingeschränkte Gültigkeit des ursprünglichen Glaubenssatzes in Frage zu stellen.

Von „entweder oder“ zu „sowohl als auch“

Wir haben diesen unwiderstehlichen Drang, dass die Dinge entweder so oder so sein müssen. Wir lieben Eindeutigkeit. Alles andere können wir schwer fassen. Da rebelliert unser Verstand, weil uns die Orientierung flöten geht.

Wir leben in einem polaren Universum der Gegensätze. Unsere übliche Art ist es, uns zwischen zwei Alternativen für die eine zu entscheiden und die andere abzulehnen. Das liebt der Verstand. Wir definieren uns über das, was wir glauben zu sein und über das, was wir nicht sein möchten.

Doch so einfach funktioniert das Leben nicht. Wer das nicht glaubt, befasse sich einfach mal mit dem Schattenprinzip. Das, was wir verdrängen, ist deshalb nicht automatisch weg. Es ist nur aus dem Bewusstsein verdrängt.

Der Mond hört nicht auf zu existieren, wenn wir wegsehen. Auch wenn manche Quantenphysiker da anderer Meinung sind. Nichts in diesem Universum geht verloren. Es wechselt maximal seine Form. Und so ist auch das, was wir ablehnen, nicht automatisch weg.

Es sammelt sich im Hintergrund und formiert sich zu einer Gegenkraft. Das Pendel wird, früher oder später, wieder ins Gegenteil ausschlagen und das Kräftegleichgewicht wieder herstellen.

Dass wir diese Zusammenhänge in unserem Leben nicht immer wahrnehmen liegt daran, dass zwischen der einen Bewegung des Pendels und seiner Gegenbewegung Zeit vergeht. Manchmal sehr viel Zeit. Diejenigen, die an Karma glauben, gehen sogar davon aus, dass zwischen Ursache und Wirkung manchmal ganze Leben vergehen können.

Das ist der Grund, warum viele Anhänger echter spiritueller Traditionen darum bemüht sind, den „Weg der Mitte“ zu gehen.

Dieser Weg der Mitte ist der Weg der Vereinigung der Gegensätze. Es ist der Weg von einem trennenden „Entweder oder“ zu einem vereinenden „Sowohl als auch“.

Auf diesem Weg erweitern wir unsere Wahrnehmung, indem wir aufhören, auszuschließen und stattdessen immer mehr hineinnehmen in unser Bewusstsein. Im wahrsten Sinne des Wortes „unser Bewusstsein erweitern“. Wir erkennen, dass beides existiert und eines nicht ohne das andere sein kann. Und wir suchen unseren Punkt auf dem Spektrum zwischen den Polen.

Dieser Punkt ist nicht immer statisch. Je nach Situation kann es erforderlich sein, mehr zur einen oder mehr zur andren Seite zu tendieren, um den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Auf das Einatmen muss das Ausatmen folgen und umgekehrt.

Nur beides zusammen und im richtigen Maß führt zum gewünschten Ergebnis. Zumindest, wenn Du Dir einen funktionierenden Körper wünschst.

Am Beispiel des Atmens erkennen wir auch, dass die „Zeit dazwischen“ notwendig ist, weil beides nicht gleichzeitig stattfinden kann. Mit dem „Hilfsmittel“ Zeit gleicht das Universum dies aus und verhilft beiden Polen gleichermaßen zu ihrem „Recht“.

Und wir sehen auch: Das Einatmen ist nicht besser als das Ausatmen. Beide bedingen einander. Einatmen ist nur möglich, weil es das Ausatmen gibt und umgekehrt.

Viele Probleme unseres Lebens lösen sich auf, wenn wir aufhören, darauf zu beharren, dass die Dinge entweder so oder so sein müssen. So ist es nicht im Leben. Das menschliche Leben ist so voller Wunder, dass es sogar groß genug für Widersprüche ist.

P.S.: Hier findet ihr einen weiteren Gastbeitrag von Andreas: Wie Deine „inneren Eltern“ Dich gefangen halten – und wie Du Dich endlich befreien kannst.

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Quellen:
*1Carl Gustav Jung, „Gesammelte Werke“,  Band 12, §18

*2 William Shakespeare, „Hamlet“, 1. Akt, 5. Szene
*3 Richard Bandler, John Grinder, „Metasprache und Psychotherapie – Die Struktur der Magie I“, Junfermann Verlag, Paderborn, 5. Auflage 1988
*4 Richard Bandler, John Grinder, „Kommunikation und Veränderung – Die Struktur der Magie II“, Junfermann Verlag, Paderborn, 1982
*5 Richard Bandler, John Grinder, „Patterns – Muster der hypnotischen Techniken Milton H. Ericksons“, Junfermann Verlag, 5. Auflage 2015
*6 Watzlawick, Beavin, Jackson, „Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien“, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern, 11. Auflage 2007

Text von und herzlichen Dank an:
Andreas Gauger
Andreas Gauger arbeitet als Heilpraktiker für Psychotherapie, NLP Master-Coach und ROMPC®- Coach & Therapeut in eigener Praxis. Er hilft Menschen, einschränkende Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster zu überwinden und Frieden mit der eigenen Kindheit und den inneren Eltern zu schließen.
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Photo (oben): Giuseppe Milo