Woran denkst Du, wenn ich Dich nach Meilensteinen, nach großen Erfolgen frage?
Denkst Du an daran, wie Du einen Wettkampf gewinnst und eine Medaille in den Händen hältst, daran, wie Du ein Diplom erhältst oder befördert oder in der Zeitung erwähnt wirst, daran, wie Du einen großen Fisch an Land gezogen hast, wie Du 15 Kilo abgenommen hast und damit endlich wieder so viel wiegst wie das letzte Mal als Teenager?
Das sind wohl die ersten Sachen, die vielen von uns einfallen, auf die Frage nach einem großen Erfolg, einem erreichten Meilenstein. Anerkennung, Applaus, alles schöne Dinge. Und alles Dinge im Außen, außerhalb von uns selbst. Und dazu noch alles ziemlich aufwändig und verhältnismäßig selten.
Lirum Larum Löffelstiel
Was ist denn mit unseren „kleineren“ Fortschritten und vor allem: mit all den inneren? Wenn’s Dir so geht wie mir, dann bemerkst Du sie sehr oft entweder gar nicht oder nur ganz kurz … um Dich schnell wieder auf die WIRKLICH wichtigen To-dos und Erfolge zu konzentrieren wie Deinen Job und Kontostand, Dein Gewicht oder das nächste Turnier im LKW-Ziehen.
Und dann kommt man, am Ende, zu selben Ergebnis wie der Mann aus Fontanes Gedicht:
Eine kleine Stellung, ein kleiner Orden
(Fast wär’ ich auch mal Hofrat geworden),
Ein bisschen Namen, ein bisschen Ehre,
Eine Tochter „geprüft“, ein Sohn im Heere,Mit siebzig ’ne Jubiläumsfeier,
Artikel im Brockhaus und im Meyer …
Altpreußischer Durchschnitt. Summa Summarum,
Es drehte sich immer um Lirum Larum,
Um Lirum Larum Löffelstiel.Alles in allem – es war nicht viel.
Gibt’s nicht eigentlich viel mehr und viel Wichtigeres zu feiern, und sei es nur für uns im Stillen? Zum Beispiel, wie wir heute schon viel gelassener mit Situationen umgehen, die uns vor ein paar Jahren noch vor lauter Aufregung und Wut die Adern in den Augen platzen ließen?
Sind nicht das die echten Meilensteine – die, die uns zufriedener, friedlicher, glücklicher und reifer gemacht, uns wirklich vorangebracht haben und von Bedeutung auf unserem Weg sind?
Kleckern wie ein Schwein und trotzdem geschmeidig bleiben
Einer meiner Meilensteine aus der letzten Zeit, die in diese Kategorie fallen: ich saß mit einem neuen Geschäftspartner und einem ziemlich etablierten, älteren Unternehmer (und Millionär) zum Mittagessen an einem Tisch beim Italiener, ich etwa 15 und 35 Jahre jünger und weniger berufserfahren als die beiden anderen. Ich bestellte mir Tagliatelle mit Lachs … und roter Sauce. War lecker und hat übel gespritzt, die rote Sauce, mein zuvor weißes Hemd war schon nach den ersten Gabeln damit überzogen, als hätte ich gerade irgendwo ein Blutrache verübt.
Vor ein paar Jahren wäre mir das unermesslich peinlich gewesen, als einziger gekleckert wie ein Schwein in so einer Runde, im Boden wäre ich versunken und dann noch weiter nach unten, wenn ich mich zuvor überhaupt zu dem Termin getraut hätte. Richtig klar geworden ist mir dann erst nach dem Essen, wie weit ich doch für meine Verhältnisse gekommen sein muss, wenn ich dieses Mal trotz des Malheurs geschmeidig geblieben bin und zu mir stand.
Echte Fortschritte
Von diesen inneren Fortschritten gibt es viel mehr, als mir und vielleicht auch Dir oft bewusst ist:
Gehen wir liebevoller um mit uns und anderen?
Erlauben wir uns und den Mitmenschen mehr, so zu sein, wie wir und sie sind?
Verzeihen wir leichter und überwinden unseren Groll viel schneller?
Lachen wir öfter aus ganzem Herzen?
Lassen wir heute Tränen zu, die wir unseren Augen früher verboten haben?
…
Was bedeutet ERFOLG für Dich?
Und: lebst Du danach?
Photo: David Robert Bliwas
„Der Begriff Erfolg bezeichnet das Erreichen selbst gesetzter Ziele.“ – das sagt Wikipedia, und damit habe ich auch mal einen Blog Post begonnen:
http://zwei.drni.de/archives/1375-Gedankenexperiment-Glueck-als-Erfolg.html
Doch wir haben eben auch eine normierte Definition von Erfolg: Geld und Macht. Beides kann nicht jeder in gleichem Maße haben, damit ist es Teil des Systems, dass beim Streben nach dieser Art von Erfolg viele Leute erfolglos bleiben müssen. Letztendlich führt es zum permanenten Vergleich mit anderen.
Wenn die Ziele wirklich selbst gesetzt sind, vergleicht man sich mit einer früheren Ausgabe von sich selbst. Genau so, wie Du es im Artikel machst. Das ist meiner Ansicht nach die schönere und gesündere Art, sich Erfolge anzurechnen. Ein Stück weit ist diese Strategie aber immer subversiv und gegen den Mainstream, daher braucht sie nicht nur Kraft für ihre Umsetzung, sondern auch gegen die Mehrheit der anderen.
Wenn ich als Musiker auf jemanden treffe, der nicht versteht, was es heißt, jeden Tag zu üben und besser zu werden und das als (Teil des) Erfolg zu empfinden, dann rede ich einfach die Gagen etwas schön. Die Sprache des Geldes als Erfolg verstehen sie alle. Traurig, aber der leichtere Weg durch den Smalltalk.
Heyho,
ich sehe: eine Namensänderung! 🙂
Aus meiner Sicht kann das Glücksstreben einen großen Nachteil haben: es ist irreführend – zumindest dann, wenn wir Glück als „Wohlfühlglück“ verstehen, wie der Philosoph Wilhelm Schmid es genannt hat (im Vergleich zum „Glück der Fülle“, siehe bei Interesse https://mymonk.de/die-3-arten-des-glucks-und-wie-wir-der-falschen-hinterherjagen/ )
Finde sehr interessant, was Du über Deine Gagen-Gespräche schreibst. Im Grunde könnte man solche Gespräche anschließend gleich verlassen, die Wellenlänge scheint dann echt nicht zu passen :).
LG
Tim
Was den Namen angeht, da bin ich auf der Suche, das ist jetzt halt mal ein Platzhalter. Wie eigentlich alle Namen. 😎
„Glück“ ist im Deutschen halt auch ein Wort, das zu viele Bedeutungen hat. Deinen Artikel zu den Glücken hab ich mit Interesse gelesen. Für mich liegt (wie so oft) die Wahrheit irgendwo in der Mitte: Das Glück der Fülle und das Annehmen der Dinge wie sie sind kann auch gerne mit Resignation verwechselt werden.
Was die Gagen-Gespräche angeht: Ist ja klar, dass solche Gegenüber nicht meine besten Freunde werden. Es ist ein Balanceakt zwischen man selbst sein und das auch vertreten und Leute anpissen, die mit ihren unreflektierten Normvorstellungen hausieren gehen. Toleranz ist leider oft eine einseitige Angelegenheit und man muss aufpassen, dass sie einen nicht auffrisst.
Aber nochmal zum Erfolg: Oft ist es ja so, dass man ihn hat, aber nicht spürt. So empfinde ich das zumindest. Eigentlich sind die Meilensteine dann nur die Momente, in denen man merkt, was man bereits gemacht hat. Als Musiker war ich früher da sehr verkrampft, ich hab nur die Meilensteine gesehen – irgendwann habe ich gelernt, mir selbst mehr zu vertrauen. Wenn ich jeden Tag mache, dann kommen die Meilensteine einfach von alleine. Seitdem habe ich in diesem Teil meines Lebens viel mehr Frieden. (Und wenn man Erfolg nicht als Geld und Macht ansieht, auch mehr Erfolg.)
Als Wissenschaftler (der andere Teil meines Lebens) ist es jedoch viel schwieriger. Kaum Rückmeldung, nur selten ein richtig spürbarer Erfolg (auch dieser nicht in Macht oder Geld ausgedrückt). Sehr viel Eigenverantwortung, sehr lange Durststrecken, fast alles Positive muss man sich selbst gedanklich konstruieren. Alles ist abstrakt, kaum etwas ist erfühlbar.
Auf sich selbst als Erfolgsmodell vertrauen kann man doch am Ende auch nur, wenn man regelmäßig das Gefühl von Erfolg hat. Was dafür die Abstände zwischen den Erfolgsgefühlen sein müssen, das ist individuell verschieden.
Soweit meine alltagsphilosophisch vernudelte Ansicht, gewonnen aus den letzten paar Jahren. 🙂
„Aber nochmal zum Erfolg: Oft ist es ja so, dass man ihn hat, aber nicht spürt.“
-> Nice! Die Frage wäre halt, ob es dann Erfolg sein kann, wenn man ihn nicht merkt, ob Erfolg nicht dieses Bewusstsein beinhalten muss. Oder ob es andersherum schon kein Erfolg mehr sein kann, wenn es einem bewusst ist und man damit aus der reinen Erfahrung in die Bewertung kommt. Naja, vielleicht muss man auch nicht alles so kompliziert machen 🙂
Einen schönen Sonntag wünsch ich Dir jedenfalls!
LG
Tim
Kurt Tepperwein sagt: Erfolg ist einfach das was erfolgt. Die Frage, ob du damit zufrieden bist, ist eine andere.
Hallo Tim,
mal wieder ein schöner Artikel, der zum Nachdenken anregt.
Erfolg hat auch für mich nichts mit Geld, Karriere oder Prestige zu tun.
Ich fühle mich erfolgreich, wenn ich Arbeit und Freizeit mit Tätigkeiten fülle, die aus meinem Herzen kommen und mir Spaß machen. Und ich fühle mich erfolgreich, wenn diese Tätigkeiten einen Beitrag leisten, dass es uns Menschen, den Tieren und der Natur besser geht.
Deswegen beschäftige ich mich mit Minimalismus, Nachhaltigkeit und der veganen Ernährung. Deswegen schreibe ich darüber.
Viele Grüße aus Franken
Christof
Hi Christof,
Deine Definition von Erfolg gefällt mir ganz ausgezeichnet. Und ich sehe ja auch, dass Du sie klar und deutlich lebst. Werde gleich mal wieder bei Dir schmökern! 🙂
LG und einen schönen Abend,
Tim
Gerne darfst Du Schmöckern 😉 Habe seit eben auch Avatare und verschachtelte Kommentare. Magst es mal testen 😉
Schönen Abend
Christof
Ab geht’s – ich kommmeeee!
Finde ich auch, sehr schön beschrieben. Ich hätte diesen Meilenstein auch einen wichtigen Schritt genannt. Ein Schritt in Richtung eines höheren Bewusstseins, was auch Gelassenheit und „Sich selbst annehmen und schätzen“ einschließt.
Hi Richard,
ja, wichtigen Schritt kann man das sicher genauso gut nennen. Auch wenn es bei meinem Beispiel darum ging, eben keinen Schritt zu machen, auch nicht innerlich, sondern einfach dazubleiben.
LG
Tim
Sehr schöne Worte…
für mich zählt nicht der materielle ERfolg…für mich zählt, wenn ich mich endlich mal zur Wehr gesetzt habe, wenn ich ein Glücksgefühl in der ARbeit hatte, auch wenn ich noch so besch…behandelt wurde…und trotzdem lachen kann…Erfolg, wenn ich endlich etwas losgelassen habe, wenn ich mal weniger geraucht habe, wenn ich mich nicht hab kleinkriegen lassen…und wenn sonst kein Lob kommt, ich stolz auf mich bin, weil ich in der Arbeit etwas Gutes geleistet hab…
Hi Melanie,
sehr gut, alles „intrinsische“ Erfolgserlebnisse, von denen Du schreibst.
Ich glaube, das ist eine sehr gute Sache, so zu denken!
LG
Tim
Das ist ein toller Beitrag zu einer Thematik, die in unserer Gesellschaft sehr aktuell ist (ach was, eigentlich war die Thematik immer aktuell).
Ich persönlich habe herausgefunden, dass die eigene Entwicklung, das Lernen und die gemachten Erfahrungen einen großen Beitrag zum Erfolg leisten. Wie in dem Artikel dargestellt, ist doch das persönliche geistige Wachstum der einzig wahre Erfolg. Was für ein herrliches Gefühl ist es doch zu erkennen, dass man in einer Situation deutlich souveräner reagiert als früher, dass einen Dinge plötzlich nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen, dass bestimmte Ängste uns plötzlich fremd erscheinen…
Hi Paul,
oh ja, das sind echt tolle Erfahrungen. Und davon wünsche ich Dir noch sehr viele! 🙂
LG
Tim