Teile diesen Beitrag "Wie man sich vor bösen Überraschungen und schmerzhafter Reue schützen kann"
Von Mark Epstein stammt eine Zen-Geschichte, die ungefähr so geht:
Ich ging nach Thailand, um etwas über Buddhismus zu lernen. Dort suchte ich einen alten Meister auf, der im Wald lebt. Ich fand ihn und nachdem wir uns herzlich begrüßt hatten, lud er mich in seine Hütte und wir setzten uns auf den Boden. Ich fragte ihn: „Kannst Du mir Buddhas Lehre erklären?“ Der alte Meister zeigte auf ein Glas, das neben ihm stand. „Siehst Du dieses Glas?“, fragte er, „Ich liebe es. Dieses Glas ist seit mehr als 10 Jahren in meinem Besitz. Es bewahrt mein Wasser zuverlässig auf, reflektiert das Licht ganz wunderbar und klingt wie das schönste Instrument, wenn man es antippt. Aber ich sehe dieses Glas, als sei es bereits zerbrochen. Der Wind wird es irgendwann vom Tisch wehen und es zerschellt, oder ich werfe es selbst in einer hektischen Bewegung um. Wenn ich jedoch verstehe, dass das Glas bereits zerbrochen ist, ist mir jede Minute mit ihm kostbar.“
Jedes Glas wird irgendwann zerbrechen, auch unser Lieblingsglas. Jedes Handy, jede Kette, jeder Ring.
Jede Glückssträhne und jede Pechsträhne werden irgendwann ein Ende finden.
Jedes gute Gefühl und jedes schlechte.
Jede Pflanze, jedes geliebte Haustier.
Jede Beziehung.
In 100 Jahren sind alle Menschen tot, die heute auf der Erde leben.
Das ist das Einzige, was feststeht: alles geht vorüber.
Nichts bleibt.
Der Meister aus der Geschichte macht sich dies immer wieder bewusst. Er betrachtet das Glas als zerbrochen, die Beziehung, die Pflanze, das Tier, seine liebsten Mitmenschen bereits als tot.
Ist das nicht zu pessimistisch?
Wenn ich daran denke, dass alles vergänglich ist, bin ich oft zunächst traurig. Die meiste Zeit über versuche ich, diese eine Gewissheit, die wir haben können, zu verdrängen. Dann trifft es mich wie aus heiterem, nein, wie aus finsterem Himmel, wenn etwas vorbei ist.
Was, wenn wir es dem Meister gleich tun und immer wieder an das unvermeidbare Ende denken, noch bevor es kommt … das Glas bereits als zerbrochen betrachten, während es noch in bester Verfassung neben uns steht?
Ist das nicht pessimistisch, ziehen wir damit nicht das Unglück an, ist es nicht, als würden wir freiwillig unser ganzes Leben auf dem Friedhof verbringen und deprimierende Musik hören, ungeduldig mit unseren Fingern trommeln und auf unseren Tod warten, anstatt das Leben zu genießen und zu feiern?
Ich glaube inzwischen: der Meister hat recht.
Wissend, dass seine Zeit mit dem Glas, mit den Pflanzen, Tieren und Menschen in seiner Umgebung vergänglich ist, kann er diese Zeit bewusster genießen.
Hinter der Angst, die uns die Gedanken an das Ende aller Dinge machen kann, liegen Bewusstheit, Freude und Dankbarkeit. Mehr Liebe, mehr Intensität, nicht weniger. Näher dran am Leben, nicht weiter entfernt.
Und was bedeutet das nun für mich?
Das alles heißt aus meiner Sicht nicht, dass wir nicht traurig sind oder sein dürfen, wenn das Glas dann wirklich zerbricht.
Es heißt nur, dass uns dies nicht mehr überraschen kann. Und dass wir die gemeinsame Zeit bis dahin mehr auskosten.
Viel Zeit ist es ja ohnehin nicht.
Würden wir nicht auch mehr Gelegenheiten nutzen, wenn wir uns dessen häufiger bewusst wären?
Da denke ich an eine andere kleine Geschichte, von Wolfdietrich Schnurre:
Ein Falter hatte einer Eintagsfliege einen Heiratsantrag gemacht. „Ich will es mir überlegen“, sagte die nach einem Zögern; „gewähren Sie mir bitte drei Tage Bedenkzeit.“
Hätte die Fliege ihren baldigen Tod bedacht, hätte sie vermutlich weniger gezögert und mehr geliebt und gelebt.
Also:
Welches Kostbare in Deinem Leben könntest Du als bereits als zerbrochen betrachten, um es mehr wertzuschätzen?
Wozu könntest Du heute „Ja“ sagen, wo Du bisher gezögert hast?
Wenn Du loslassen lernen willst, wird Dir das myMONK-Buch helfen: Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt.
Photo: Leland Francisco
Hallo Tim,
wieder einmal ein toller Beitrag.
Bereits im alten Rom, wenn der siegreiche Feldherr im Triumphzug durch die Strassen zog, oblag es dem Sklaven, der ihm den Lorbeerkranz hielt, seinem Herrn immer wieder darauf hinzuweisen „Memento Mori – Bedenke, dass du sterblich bist“
Die Vergänglichkeit der Dinge und der Zeit kann einen traurig stimmen, aber nur dann, wenn man in der Zukunft verhaftet bleibt und nicht im Hier und Jetzt, in der Gegenwärtigkeit steht. Denn hier findet das Leben statt – nicht in der Zukunft und nicht in der Vergangenheit.
„Es geht alles vorüber“ heißt es. In einem sogenannten schlechten Moment kann es ein Trost sein. Nach dem Regen wird die Sonne wieder scheinen. Aber auch dieser Moment will im Hier und Jetzt gelebt sein, da er sonst nie endet.
In einem schönen Moment soll es uns dazu anhalten, den Augenblick wahrzunehmen und bewusst zu erleben.
Ich hole z.B. immer öfter das „Gute Geschirr“ aus dem Schrank, benutze es im „Alltag“ und habe Freude daran, anstatt es im Schrank verstauben zu lassen. Wie viele Menschen leben nicht ihr Leben, aus Angst, dass sie sterben könnten, benutzen nicht das Glas, aus Angst, es könne zerbrechen? Und im Moment des Todes stellen sie verbittert fest, dass das Glas kaputt ist, und sie nie daraus getrunken haben…
Alles Gute
Dirk
Hi Dirk,
Dankeschön für Deine Zeilen!
Besonders berührt hat mich:
„Nach dem Regen wird die Sonne wieder scheinen. Aber auch dieser Moment will im Hier und Jetzt gelebt sein, da er sonst nie endet.“
Echt schön und gut und wahr.
LG
Tim
Hallo Tim,
ich kann mich dem Kommentar von Dirk nur anschließen. Wieder ein sehr gelungener Beitrag. Ein „gutes“ Geschirr gibt es bei uns nicht wirklich, da ich bei meinen Eltern genau die Erfahrung gemacht habe. Das „gute“ und wirklich schöne Geschirr wurde nie benutzt und steht nach wie vor vollzählig im Schrank.
Seit einigen Jahren versuche ich mir die Sterblichkeit meiner Eltern immer wieder bewusst zu machen und mir deshalb auch Zeit für die beiden zu nehmen. Viel Zeit ist es nach wie vor leider nicht, aber dafür versuche ich wenn ich mit ihnen zusammen bin auch wirklich für sie „da“ zu sein. Nicht immer einfach…
Ich wünsche dir einen guten Start in die Woche.
LG Birgit
Hallo Birgit,
das ist sicher eine unbezahlbar wichtige Entscheidung, die Du da für Dich (und Deine Eltern) getroffen hast. Am Ende ist es eben doch das Eine, das am meisten zählt: die Zeit mit unseren Lieben.
Einen schönen Abend Dir!
Tim
Pessimismus und Optimismus, das sind die Illusionen mit Blick auf die Zukunft und die (eingeschränkten) Sichtweisen, um die es dem Meister nach meiner Meinung geht.
Aus einer mehr spirituellen Sichtweise verläuft eben alles in einem total geordneten und zielführendem Sinn. So gibt es das Auf und das Ab, der eine Tag geht zur Neige, der nächste folgt. Das Glas verliert seinen materiellen Zustand irgendwann. Ein neuer Gegenstand, an dem sich der Meister erfreuen kann, wir in sein Leben treten. Wir werden geboren und sterben dann wieder. Doch der Tod ist zugleich auch Neuanfang. Zu allem, was ist, angenehm oder unangenehm, kannst du mit Sicherheit sagen: „auch das geht vorüber“. So freue dich auf das was neu erscheinen wird und mache dich nicht zu sehr abhängig von dem was gerade ist. Erfreue dich mehr an dem was ist, so wirst du die Illusionen besser weglassen können.
Hi Richard,
ich finde „den Gedanken“, dass alles endet und nie alles zuende ist sehr tröstlich. Auch wenn es gerade in schmerzhaften Lebenslagen echt schwierig sein kann, die Illusionen loszulassen – dann, wenn es einfach eine große Sache nicht mehr gibt, an der man sich lange erfreuen durfte.
LG
Tim
Oder ist es umgekehrt? Es ist schmerzhaft weil und solange wir die Illusion nicht loslassen.
Oder beides? Dazu würde ich tendieren.
Hi Tim,
schöner Beitrag 🙂
Ich persönlich sehe es als Dankbarkeit die (Menschen/Dinge) einem im Leben begegnen. Ob dies nun positiv oder negativ ist, da die Perspektive/Sichtweise nie dem Absoluten unterliegt. Mit absolut meine ich den Tot, und selbst dieser muss nicht zwangsläufig absolut sein, da wir nicht wissen, was danach sein wird. Also relativ.
Und wo Dankbarkeit vorhanden ist, ist auch Liebe vorhanden. Kann der Mensch en schöneres Leben leben, wenn diese 2 Faktoren ein Bestand in seinem Leben hat? Ich meine nicht!
Im 16. Jh. wurden die Portraits & Blumenstilleben hoch im Kurs gehalten, damit die Gesellschaft vor der eigenen Vergänglichkeit (Verfall) „verschont“ wurde.
Es wurde die „Schönheit“ festgehalten…. Es wurde am wahren Leben vorbei gelebt….
Heute ist es nicht viel anders…..
Wir nutzen nicht die Zeit für die Schönheit des Lebens, welche dargeboten werden, sondern wir benutzen die Zeit, wir verbrennen die Zeit um uns „Schönheit“ in Form von Besitz (Dinge, Menschen, Tiere, Macht, usw….) anzueignen.
Wer die lebendige Schönheit des Lebens nicht lebt, lebt nicht und hat noch nicht begriffen, dass er jeden Tag dem Verfall näher kommt….
Thx! Der Gedanke, dass die Stillleben in dieser Epoche damals so „in“ waren, um das Vergängliche zu verneinen, kam mir noch gar nicht – ist aber sehr interessant und gut geeignet, um weitergedacht zu werden! LG Tim
Huhu Tim, ich musste ein wenig weinen, als ich die Zeilen oben las, ich weiß auch nicht was ich noch hinzu fügen könnte. Ich gebe alles um dass zu leben was meinem Herzen und meiner Seele gut tut, was ich liebe. Doch, es gibt da einen Menschen, den ich aus tiefstem Herzen liebe. So richtig echt, und lange Zeit gebraucht habe um überhaupt zu wissen was Liebe wirklich ist. Dieser Mensch mich wieder auf die richtige Spur des Lebens gebracht hat, und tiefe Dankbarkeit fühle. Ich hoffe ihn irgendwann mal wieder umarmen zu dürfen. Es gab Entscheidungen die getroffen werden mussten. Ja, wie oben schon genannt, man kann keine zwei Wege gehen, und dementsprechend habe ich auch gelitten. Ich bereue die Entscheidung aber bis heute nicht. Ich habe ihn vor kurzem geschrieben, nach einer Pause dass er immer in meinem Herzen bleiben wird. Er ist einfach der wunderbarste Engel auf Erden. Liebe Grüße Nina
Ich bin ehrlich (wie immer *g*)
Mich frustriert es sehr, wenn ich immer daran denken würde, wie vergänglich alles ist.
Ich kann das für mich nicht umsetzen.
Lieber denke ich: Nicht gestern, nicht morgen, JETZT.
Ich meine, es bedeutet, dass wir uns der Vergänglichkeit bewusster sein sollten.
Nehmen wir diese Haltung an, dann können wir gar nicht anders als zu vertrauen.
Denn wenn wir die Illusionen sein lassen und mutig hinschauen, dann können wir
nur Vertrauen wagen. Und mit Vertrauen wagen kommen wir zu Vertrauen.
So ist das, was wir an Dingen für wichtig halten, und auch an Gedanken, doch gleich
etwas weniger wichtig. Und so nimmt es uns weniger ein. Unser Fokus ist weniger
gebündelt. Das Denken lässt nach und und wir sind achtsamer. Wir folgen mehr dem,
was uns im Augenblick Freude macht.
Und wir lassen auch die Traurigkeit etwas mehr sein, wie sie ist, da ja auch diese
vorübergeht, und es auch nicht wirklich Wichtigeres gibt, als die Trauerarbeit,
so sie gerade ansteht. Nur mit dem wichtigen Denken verschwende ich Energie mit
Wegdrücken.
Auch etwas auskosten zu müssen ist nicht wirklich wichtig. Wir kosten es ja sowieso
aus, wenn es sich ergibt. Und es wird sich ergeben, da wir dem nun weniger Wichtigen
weniger Aufmerksamkeit geben. Eintagsfliegen haben es da sogar einfacher. Wenn es ihnen
gerade nicht danach ist, dann tun sie es eben nicht. Sie belasten sich nicht mit der
Zukunft. Denn sie können das gar nicht denken. Und doch ist alles gut.
Hallo Tim,
die Sichtweise, daß nichts wirklich von langer Dauer ist, ist ein wichtiger Punkt im Buddhismus und auch richtig.
Weil ich aber seit langem Zen-Meditation praktiziere und versuche mich an dieser Lehre zu orientieren weiß ich auch……daß diese Sichtweise allein nicht ausreicht und bei vielen Menschen, die die gesamte Lehre des Zen nicht im Blick haben, sogar unõtigen Druck auslösen kann, soviel wie möglich Gegenwärtig ‚mitzunehmen‘ weil man ja nicht viel Zeit hat.
DeshAlb ist es nicht ungefährlich einen einzelnen Punkt einer Lehre ‚herauszupicken‘ ohne die GesamtLehre zu berücksichtigen.
Im Budddhismus gibt es noch andere wichtigere Aspekte, die sehr wichtig sind…..damit der Punkt ‚Vergänglichkeit‘ und sogenannter Tod(der im Buddhismus ja auch eine Form der Illusion ist) erst seine Bedeutung bekommt…..
Ein Zen Meister würde niemals diesen Punkt der Vergänglichkeit alleine erwähnen.
Trotz dieser Kritik möchte ich sagen, daß ich ‚my Monk‘ sehr schätze und gut finde….Bitte mach weiter so.
Ja, so ist es wohl. Anfang Juni ist meine über alles geliebte Hündin relativ plötzlich gestorben. Der Schock sitzt immer noch tief und ich bin sooo traurig. Aber der große Trost ist der, dass ich in den neun Jahren, die sie bei mir war, mich jeden Tag an ihr gefreut habe und dankbar war sie zu haben… Und die Trauer im Moment ist der Preis für die große Liebe die zwischen uns war… Da ich früher schon einmal einen Hund hatte, war mir die Endlichkeit sehr bewußt, und auch wie schmerzhaft es wird, aber jeder Tag mit ihr war es wert…