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Kurze Nacht, flacher Schlaf, aber dann früh aufgewacht ohne Wecker und zum ersten Mal seit Ewigkeiten eine Runde laufen gewesen. Performance: mau … und trotzdem: wow, denn ich war draußen. Einen besseren Morgen hätte ich mir kaum aussuchen können. Es war noch angenehm frisch, mit viel Sonnenschein und wenigen Menschen, die entweder selbst joggten oder mit winzigen weißen Hunden Gassi gingen. Zum Schluss noch meinen gar nicht winzigen und vollkommen schwarzen Lieblingskaffee beim Bäcker geholt. Und jetzt auf der Tastatur klimpern. Dann kommt mal her zu mir, Wörter. Ich bin bereit.

Krumme Nägel, zuviel Fett, zuwenig Muskeln (und das ist erst der Anfang)

Worum es heute geht:

Der japanische Bestsellerautor Haruki Murakami schreibt in einem seiner Bücher darüber, wie er sich im Alter von 16 Jahren nackt auszog, vor einen Spiegel stellte, und all die Dinge auflistete, die ihm nicht an sich gefielen. Krumme Nägel, hier zu viel Fett und da zu wenig Muskeln und so weiter. Als er bei Punkt 27 seiner Mängelliste ankam, war er so deprimiert, dass er sich schnell wieder anzog. Bei den 27 Punkten waren ja noch nicht einmal seine Charakterschwächen dabei, ebensowenig wie alle anderen inneren, nicht sichtbaren Mängel. Ist halt ein schwieriges Alter, die Pubertät. Könnte man denken. Aber tun wir nicht genau dasselbe noch heute oft, wo wir erwachsen sind, nicht mehr die ganze Welt verfluchen und sich der Körper nur noch insofern ändert, dass wir dicker und schlaffer und faltiger werden und ab und zu mal einzelne Haare dort zu wachsen beginnen, wo sie es doch nicht tun sollten (am Rücken, aus den Ohren)? Betrachten und beurteilen wir uns nicht oft auch heute noch wie der 16-jährige spätere Autor und wie so viele Teenies, die von sich selbst genauso wie von allem anderen angewidert sind?

Runter mit den Klamotten

Dabei hatte Murakami mit einer Sache völlig recht: damit, sich auszuziehen und seinen Körper von oben bis unten anzuschauen. So, wie er ist. Genau so, wie er ist. Ich glaube, dass die Sache mit der Selbstliebe nur dann klappen kann, wenn wir uns so sehen, wie wir sind. Äußerlich und innerlich. Wir glauben manchmal, es sei die bessere Wahl, uns nicht oder nur verzerrt zu betrachten, wie in einem dieser Spiegelkabinette in heruntergekommenen Kirmes-Attraktionen. „Ich sehe mich lieber etwas anders als ich wirklich bin, um mich zu schützen“, denken wir dann vielleicht, „… um selbstbewusst zu sein, trotz meiner Fehler“.

Das ist eine Sackgasse (darf man „Sack“ eigentlich schreiben, wenn es um einen nackten Typen vorm Spiegel geht? – soviel zur Restpubertät in mir).

Selbstliebe muss auf einem Feld der Wahrheit wachsen. Sonst bleibt sie oberflächlich und anfällig, legt sich nur wie eine hauchdünne, leicht reißende Schicht über das Gefühl, wir seien nicht gut genug. Kaum haucht die Realität diese Schicht an, löst sie sich auf wie alle Romantik bei Zwiebelatem.

Unseren Körper akzeptieren (oder eine Vorstufe davon)

Was aber dann tun, vorm Spiegel? Sich „einfach akzeptieren wie man ist“, so wie es die schlauen Ratgeberbücher oft verlangen? Ich weiß ja nicht, wie’s Dir geht, aber solche Tipps erinnern mich an einen lausigen Rettungsschwimmer, der einen Mann ertrinken sieht und ihm zuruft: „schwimm doch einfach zurück an den Strand“. Nein, was wir an dieser Stelle brauchen ist eine Pamela Anderson, die sich wie bei Baywatch im roten Bikini (oder ein David Hasselhoff, bitte nicht im roten Bikini) in die Wellen stürzt und uns rauszieht und uns anschließend beibringt, wie wir das nächste Mal besser schwimmen können.

Mein Vorschlag:

  1. Vor den Spiegel stellen – tatsächlich oder vorm geistigen Auge, unser Äußeres oder Inneres anschauend
  2. Die Augen weit öffnen, sehen, was da ist
  3. Akzeptieren, was wir akzeptieren können („Ich akzeptiere, dass ich 1,70m groß bin und grüne Augen habe.“)
  4. Akzeptieren, dass wir (noch) nicht akzeptieren können, was wir nicht akzeptieren können („Ich akzeptiere, dass ich mich für meinen Bauchumfang hart kritisiere.“) – einschließlich aller Gedanken und Gefühle, die wir manchen unserer Eigenschaften gegenüber haben

Wir dürfen also manches an uns auch bewusst „nicht akzeptieren“. Das ist um Welten besser, als uns zu uns erst wegen bestimmter Eigenschaften zu verurteilen und anschließend dafür zu verurteilen, dass wir uns (noch) nicht zu 100% selbst annehmen. Und um Welten besser, als uns nur in einer verformenden Corsage oder Body-Forming-Unterwäsche vor den Spiegel zu trauen, aus Selbstschutz, aber ohne die Möglichkeit echter Selbstliebe.

Für einen leidenschaftlichen Zungenkuss mit unserem Spiegelbild mag das zunächst nicht ausreichen. Doch nähern wir uns damit uns selbst an, nach all den Jahren, in denen wir nicht gut genug waren und uns auch noch für die eigenen Mängelgefühle verachteten. Wir machen damit große Schritte auf uns selbst zu, auf dem Feld der Wahrheit – dem einzigen, auf dem wir uns heilen können.

 

Photo: Yulia –