Wer lebt, leidet. Nicht immer, hoffentlich, aber immer wieder. Ein Grund dafür ist die Vergänglichkeit. Alles vergeht. Jeder schöne Abend, jedes gute Gefühl, jede Jugend, jede Gesundheit, jeder Besitz, jeder Moment und jeder Mensch.
Und wenn das mal wieder so ist und unser Schmerz mit den Händen in den Taschen und gesenktem Kopf eine Einbahnstraße hinunterläuft, dann brauchen wir eines mehr als alles andere. Das Gegenteil von Flucht in die Vergangenheit oder Zukunft, in Ablenkungen, Arbeit, Drogen, Sex:
Da sein. Hier sein. In der Gegenwart. Bei den Gefühlen, bei uns selbst. Für uns selbst oder für den anderen, den geliebten anderen, der gerade leidet. Nicht später, nicht woanders. Sondern jetzt.
Auch die guten Zeiten können wir besser auskosten, solange sie da sind, wenn wir ganz da sind, unsere Gedanken nicht allzu weit weg von unseren Füßen.
Wirklich konzentriert und in der Gegenwart zu sein ist außerdem das größte Geschenk, das wir einem anderen machen können. Das, was sich Kinder wirklich wünschen anstelle der teuren Spielzeuge von Mama und Papa, die so viel arbeiten müssen. Das, was sich unser Partner und unsere Freunde wünschen.
Um ins Hier und Jetzt zu finden und das Leiden zu lindern, helfen die vier folgenden Mantras, bewusst zu sprechende Sätze des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh.
1. „Ich bin für Dich da.“
Mehr braucht es nicht. Keine klugen Sprüche, keine Zuckertorten-Worte. Nur ein ehrliches, offenes Dasein. Echte Präsenz ist heilsam und kann Wunder wirken. Gerade in einer Welt, in der alle ständig so in Eile und auf dem Sprung sind, dass das Leben zum Jump and Run geworden ist.
Diesen Satz können wir natürlich auch an uns selbst richten.
2. „Ich weiß, dass Du da bist und ich bin sehr glücklich.“
Thich Nhat Hanh berichtet, dass er diesen Satz sagt oder denkt, wenn er morgens an Magnolienbäumen entlangläuft oder abends zum Mond schaut oder mit jemandem zusammen ist, den er mag. Er tief atmet ein und aus und dann: „Ich weiß, dass Du da bist und ich bin sehr glücklich.“ Wenn wir wirklich präsent sind, sehen wir die Wunder hinter dem, was zu selbstverständlich geworden ist. Wir öffnen unsere Augen, unseren Geist, vielleicht ja auch unser Herz.
3. „Ich sehe, dass Du leidest.“
Sind wir achtsam, dann bemerken wir auch, wenn es unserem Partner, Kind oder Freund schlecht geht. Bemerken wir es nicht, kann das allein das Leid des anderen vergrößern. Dann zieht er sich womöglich zurück, schreit noch stummer, wir bemerken es noch weniger und er wird noch einsamer. Das geht uns allen so, nicht nur Emo-Teenies, die sich eine Träne auf die Wange tätowieren. Wir wollen gesehen werden in dem, was wir durchmachen.
„Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt“
4. „Ich leide, bitte hilf mir.“
Das schwierigste dieser vier Mantras, für die meisten von uns. Falscher Stolz hält uns ab und die Angst, diese Worte auszusprechen und dann trotzdem allein da zu stehen, weil sie niemand hören will. In Zeiten größter Verletzbarkeit liefern wir uns damit ein Stück weit aus … doch ich kenne keine bessere Alternative.
Der Mann, der vom Krieg zurückkehrte
Da gibt es eine Geschichte von einem Mann, der in den Krieg ziehen und seine schwangere Frau zurücklassen muss. Nach drei Jahren kommt er zurück und wird empfangen, voller Freude und Tränen. Endlich zurück. Den furchtbaren Krieg überlebt. Am Abend legt er die Schulter um seinen Sohn und sagt, „nenn mich doch Papa“. Der Sohn: „Sir, Sie sind nicht mein Papa. Mein Papa kam jeden Abend , sprach und weinte mit Mama, setzte sich hin, wenn sie sich hinsetzte und legte sich ins Bett, wenn sie sich hinlegte.“ Das Herz des Vaters versteinerte. Wie konnte sie ihm das bloß antun?
Als seine Frau nachhause kam, konnte er ihr nicht in die Augen schauen. Nach drei Tagen hielt er es nicht mehr aus und ging von da an jeden Abend fort, um sich bis zum Morgen zu betrinken. Die Frau war so verletzt von seinem Verhalten, drei Jahre Warten und dann so etwas, dass sie in den Fluss sprang und ertrank. Am Abend nach der Beerdigung machte der Vater zuhause die Lampe an. Das Licht warf seinen Schatten an die Wand. Da zeigte der Sohn auf den Schatten und rief: „Da ist mein Papa!“ Die Mutter hatte in ihrer Verzweiflung und Einsamkeit mit ihrem Schatten geredet, als wäre er ihr so sehnlich vermisster Mann. Als ihr Sohn sie eines Tages fragte, wo denn sein Vater sei, zeigte sie auf den Schatten.
Hätten sie nur miteinander gesprochen, hätte der Mann etwas gesagt, oder seine Frau … „ich leide, bitte hilf mir“. Wie viel ein paar Worte doch ausmachen können.
Wenn Du loslassen lernen und mehr im Hier und Jetzt leben willst, wird Dir der 6-Wochen-Kurs von myMONK helfen. Mehr dazu auch unter Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt und unter Von Leid befreien mit einer einfachen Frage.
Photo: Man breathing / Shutterstock
Hi,
huh. Heftige Geschichte am Ende…
Noch mehr als für den Kontakt zu anderen, nehme ich mir diese Mantras für den Kontakt zu mir mit.
„Ich sehe, dass Du leidest.“
Wie oft sehen wir das nicht?
Oder wir spüren, aber ignorieren es. Denn funktionieren ist oberstes Gebot.
Grüße
Erscheint mir doch etwas merkwürdig einseitig von einem Mönch, diese Sicht des Hier und Jetzt. Zunächst geht es immer noch um mich und nicht zuerst um das Du. Mich zu spüren, anzunehmen, zu akzeptieren was ist. Dann nehme ich auch das Du wahr und das Wir. Wenn nicht ist es wie „Zungenreden“. Worte der Worte willen. Für Dich, ohne bei mir zu sein? Ein neues „du sollst“.
Richtig gut geht es mir doch nur, wenn es meinem Gegenüber gut geht. Noch besser geht es mir, wenn ich der Grund dafür war.
Etwas naiv vielleicht von mir, aber in der Situation greift man nach jedem Strohhalm. Leider hilft es mir trotzdem nicht aus meinem Leid.
Der Verstand kapiert ja die guten Ratschläge (auch aus meiner Umgebung), aber ich bin so hyper-feinfühlig und es reißt mir das Herz raus, dass es meinen Eltern jetzt in großen Schritten schlechter geht. (Ich werde 50, sie werden 80.)
Als seien sie im Wettstreit, er im Krankenhaus, sie im Krankenhaus, wieder er… usw.
Ich leide wie ein Tier, weil ich nichts dagegen machen kann und ich will sie nicht verlieren!!!
Gerade gestern hat mich ein Buch von Erich Fromm gefunden. Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen der neuen Gesellschaft. (1976). Ich finde seine Gedanken nach wie vor aktuell und hilfreich. Schon in den ersten Seiten fand ich einiges für mich erstaunliche.
Er sah in Buddhismus und Meister Eckhart im Kern Übereinstimmung, nur unterschiedliche Dialekte. Im westlichen Denken geht es seit der Industrialisierung vorrangig um Dinge im Fokus. Im östlichen Denken eher um den Menschen selbst, wie er fühlt und was er erlebt. Zunehmend um Hauptwörter hier. Um den Prozess und Zeitwörter dort. In vielen Sprachen gibt es das Wort „haben“ gar nicht, um das sich in unserer kopflastigen Gesellschaft fast alles zu drehen scheint.
Schon die Sprache eines Textes scheint es zu signalisieren, ob es um oberflächlichere, kopflastigere Autoren und ihre konsumierenden Leser geht, oder um mehr am Gefühl interessierte Menschen. Denn der Unterschied zwischen „Ich habe dieses Problem, diese Depression …. “ und „ich bin besorgt, traurig, ausgelaugt, spüre diese Angst, ….“ zeigt sich in der Entfremdung des Ersteren, bei dem es um Dinge geht, weniger um das was ich momentan erlebe und fühle. Dinge, die man besser weiter weg hält und mit anderen Dingen ausgleicht oder anderweitig erledigt oder erledigen lässt. Ich meine, daß eine Angabe der Anzahl von den Dingen die Kopflastigkeit noch einmal verstärkt. Denn 4 Dinge kann ich noch besser abgegrenzt ubd entfernt von mir sehen als eine unbestimmte Anzahl davon. Gefühlsorientierte Menschen stören dann auch solche Anzahlsangaben.
Um dies einmal etwas in Gedanken in Verbindung mit dem weiterzuführen, was den Menschen als Wesen ausmacht, ordne ich einmal die genannten „Dinge“ den Menschlichen Energiekörpern zu. (Das Sein und Erleben als das eine Ding und das eher Haben orientierte andere Ding. Ja in dieser mentalen Gedankenwelt sehen wir halt alles als Dinge).
Also erst mal die mentale Sicht, Haben: ich habe dies und ich habe jenes und es gibt einen Zusammenhang und ich suche nach einen Gegending. Da ich mich gern mit Hauptwörtern ausdrücke, halte ich die Dinge eher fern vom Gefühl. Gleichwohl wissen wir, dass gewisse Hauptwörter Signalwirkung auf die Gefühlswelt haben. Passend dazu der Drang, etwas zu haben, das der Gefühlswelt etwas von Lustgefühlen oder anderem Illusionärem aufdrückt. Und wenn es nur etwas Lustiges ist, das etwas von dem Leid einen Moment überdeckt.
Dann die emotionale Sicht, Sein: ich spüre oder leide … , bin gerade traurig oder glücklich ….. Während ich dies formuliere, erlebe ich den Prozess gerade in mir, sehe die Gefühle nicht distanziert. Energie, die die Gefühle ausmacht wird gerade angeregt. Die tieferen, vom Körper hervorgebrachten Belange können eine Energietransformation erfahren. Durch Energie aus dem Kosmos oder durch mitfühlende Menschen, die Energie vermitteln oder ihre eigene Energie abgeben.
Für Erich Fromm führt der zunehmende Haben-Charakter der Gesellschaft unweigerlich in die Katastrophe. Weil das Haben immer nur neues Haben Wollen Bewerten und Vergleichen bringt. Wo einzig das Sein Lassen und das Erleben der tieferen Ursachen auch Lösungen birgt.