Teile diesen Beitrag "Frei leben auf 14 Quadratmetern. Diese Familie zeigt, wie’s geht."
Es folgt ein Gastbeitrag von Claudia Reufenheuser von 14qm.de.
Wir sind raus!
Innerhalb von zwei Jahren haben wir – das sind ich, Claudia, und mein Mann Andreas – unseren kompletten Hausstand von über 110 qm auf unter 14 qm eingestampft und unser Leben komplett verändert. Wie wir darauf kamen?
Unsere Kinder wollten nach dem Abi zum Studieren ausziehen und uns stellte sich die Frage: Was nun?
- Sollen wir die 6-Zimmer-Wohnung behalten oder in eine kleinere Wohnung ziehen?
- Abwarten, ob die Kids am Wochenende heim kommen und wir deren Wäsche waschen dürfen?
- Oder deren Zimmer untervermieten?
Dies war uns alles nicht aufregend genug. Wir wollten nach 20 Jahren „Erziehungsarbeit“ einfach noch mal „die Sau rauslassen“. Seriöser ausgedrückt: Wir wollten was völlig anderes. Wir wollten verhindern, dass uns die nächsten 20 bis 30 Jahre einfach so durch die Finger rinnen.
Schon länger haben wir ein Faible für verrückte Pläne. 2006 sind wir für fast fünf Jahre nach Frankreich gezogen, weil wir einfach mal Lust hatten im Ausland zu leben und die Lebensart in Frankreich lieben. Für die Umsetzung der Idee haben wir keine drei Monate gebraucht.
So begannen wir im Internet nach alternativen Lebensformen und Ideen zu suchen. Recht schnell fanden wir Blogs über Menschen, die im Wohnmobil leben. Wir erfuhren von einem „Selbstausbauer-Treffen“ für Wohnmobile und schauten uns dort um. Die Autos waren genauso unterschiedlich wie die Menschen und alle hatten eines gemeinsam – Spaß am Leben. Uns war sofort klar: Das wollen wir auch! Wo steht, daß Eltern „zurück bleiben“ müssen?
Unsere Erkenntnis: Wir werden etwas anderes mit unserem Leben anfangen. Wir wollen das Leben leben! Weg mit dem ganzen Ballast, nicht nochmal mit zwei 7,5t LKWs umziehen!
Die Entscheidung: Wir sprengen die Norm. Wir ziehen in ein Wohnmobil.
Spontan starteten wir unsere Planungsphase. Was ist zu tun? Wie soll unser künftiges Wohnmobil aussehen? Wie groß muss es sein? Wollen wir selber bauen? Zu allem machten wir uns Listen und diese Listen wurden immer länger. Wir haben uns jede Menge Fahrzeuge angesehen, Innenausstattungen betrachtet, weitere Ideen aufgeschrieben.
Am Ende haben wir uns dann für unseren MB 608D (Düdo) mit einer Kabine der Firma Mabu entschieden, welche bereits von einem Schreiner ausgebaut worden war. Wir kamen, sahen, nahmen ihn. So könnte man den Kauf beschreiben. Wir waren einfach sofort begeistert, dieses typische Gefühl: „DAS ist es!“
Organisation war gefragt. Neben der Restauration, die wir täglich auf unserem Blog veröffentlicht haben, mussten auch unsere Arbeit , die Auflösung unseres Inventars, die Kinder und der Haushalt versorgt werden. Auf einmal ging es Schlag auf Schlag. Die Kids hatten ihr Abi in der Tasche. Drei Umzüge inklusive Renovierung in knapp zwei Wochen. Wir verließen als letzte unsere 6-Zimmer-Wohnung und fuhren mit einem fast leeren PKW zum neuen Projekt: 14 qm – Leben und arbeiten im Wohnmobil.
Wie ist das Leben im Wohnmobil? Wie finanzieren wir das?
Wie früher auch, würde ich am liebsten Antworten. Dies bezieht sich aber nur auf das „häusliche Wohnen“.
Es ist eben anders, in vielem besser:
- Wir gehen sparsamer mit allem um. Wasser, Gas und Strom sind nicht mehr unbegrenzt verfügbar, müssen vorher besorgt werden.
- Wir kaufen bewusster ein und versuchen so gut es geht, Müll und im besonderen Plastik zu vermeiden.
- Wir müssen uns nicht mehr über Nachbarn ärgern, fahren einfach mit unserem Hausstand weiter. Was gibt es Schöneres, als auf dem Wochenmarkt für 3-4 Tage einzukaufen und dann ein ruhiges Plätzchen in der Natur zu suchen? Genauso genießen wir es, spontan 4-5 Tage an einem Festival teilzunehmen, wir haben ja alles dabei.
Wo stehen wir mit unserem Zuhause?
Wir stehen z.B. gerne an Ufern von Flüssen und Seen, auf großen Waldparkplätzen, auf Stellplätzen und wenn es sich nicht vermeiden lässt, wie z.B. in den Niederlande auf Campingplätzen. Manchmal bei Freunden „im Vorgarten“ oder zur Not auch mal auf einem Supermarktparkplatz.
Je nach dem wo wir hinfahren, studiert Andreas vorher die Umgebung per Google Maps oder Stellplatzbeschreibungen und findet meist die tollsten Plätze für uns.
Unser größter Vorteil ist die erhöhte Hecksitzgruppe im Wohnmobil. Hier sitzen wir wie auf einer Terrasse. Tisch und Stühle für draußen brauchen wir nicht wirklich, sind dadurch keine Camper. Parken ist fast überall erlaubt, Camping nicht!
Was kostet unser Leben?
Hier einige unserer Erfahrungen und Gedanken zu den Kosten.
Unterhaltskosten:
Der große Batzen „Miete“ und die dazu gehörenden Nebenkosten entfallen.
Haushaltsbuch führen:
Auch wenn es nervig klingt, ist es doch interessant zu beobachten, für was man sein Geld ausgibt.
Bestes Beispiel bei uns: Wir sind vom Rauchen zum Dampfen, also zur E-Zigarette, umgestiegen. Allein diese Maßnahme bedeuten bei uns ca. €150,– pro Monat weniger Ausgaben. Gut, man könnte es auch ganz lassen, aber dies ist ein anderes Thema …
Unser Kühlschrank wird nicht mehr wahllos gefüllt. Bewusster einkaufen bedeutet auch bei uns, dass nur noch das gekauft wird, was tatsächlich verzehrt wird. Kein Einkauf mehr für die Tonne! Seit über einem Jahr mussten wir keine Lebensmittel und damit kein Geld mehr weg schmeissen.
400,– Euro sind den Stress nicht wert:
Nach einem Jahr im Wohnmobil kamen wir zu der Erkenntnis, dass ich meine Stelle als stellvertretende Marktleitung eines Discounters kündigen sollte. Zog man von meinem Gehalt die Unkosten ab, die durch meine Arbeitsstelle entstanden (Fahrtkosten, Kosten für das 2. Auto mit Versicherung, Steuer, Reparaturen, etc., Hotelübernachtungskosten von Andreas wegen unseres festen Wohnsitzes), blieben am Ende noch ca. EUR 400,– übrig.
Diese 400 € waren den ganzen Stress mit Schichtdienst, Termindruck und eingeschränkter Freiheit einfach nicht wert. (Und ob wir wirklich auf 400 € verzichten, wird die nächste Steuererklärung zeigen). Statt nur noch am Wochenende, können wir jetzt flexibler unterwegs sein. Einzige Voraussetzung: Internet muss für Andreas verfügbar sein, damit er unterwegs arbeiten kann.
Den gemieteten Stellplatz, der uns monatlich 200 € kostete, konnten wir jetzt ebenfalls kündigen.
Zusätzliche Einsparungen:
- Weniger fahren bedeutet weniger Benzinkosten
- Frei (autark) stehen, statt Stell- oder Campingplätze zu bezahlen
- Selber reparieren, statt Werkstattbesuch
Hat sich unser Leben in den letzten zwei Jahren verändert?
Ganz klar: Ja! Dachte man Anfangs noch wie ein Wohnmobilist (als wäre man im Urlaub), sind wir mittlerweile angekommen. Wir sind gesünder, fitter und ruhiger geworden. Und seit ich nicht mehr arbeiten gehe, sind sogar meine Migräne und Allergien weitgehend verschwunden.
Unser Konsumverhalten haben wir zwischenzeitlich komplett geändert. Das Leben im Wohnmobil hilft unserem Wunsch nach „Weniger“ enorm. Aufgrund des begrenzten Platzes wird man automatisch zum Minimalisten. Etwa alle drei Monate durchforsten wir unser Wohnmobil und schmeißen Unnötiges raus. Kaputte Dinge ersetzen wir nur, wenn es unbedingt notwendig ist.
Wir investieren lieber in langlebige, gebrauchte und hochwertige Qualität. Wir wollen nicht das neueste und teuerste Handy oder Dinge, die man nicht wirklich braucht.
Wir ernähren uns bewusster, kochen und backen sehr viel. Unser Projekt für dieses Jahr: Das Bad soll chemiefrei werden. Nach selbst gemachtem Mundwasser, Zahnpasta und Haarshampoo soll jetzt auch das Chemie-Klo weichen und gegen eine Trenntoilette ersetzt werden.
Und das Wichtigste: Wir planen nicht mehr so viel, sind spontaner und haben wesentlich mehr Spaß am Leben wie vorher. Einen bestimmten Tagesablauf gibt es bei uns nicht mehr. Wenn Andreas zum Kunden muss, nutze ich die Zeit zum Fensterputzen, Wäschewaschen oder für andere Hausarbeiten.
Meist sind wir in Bewegung, wechseln unsere Plätze spätestens nach zwei Tagen. „Sesshaft“ werden wir nur bei Veranstaltungen oder wenn wir in den Niederlande auf den Campingplatz müssen.
Aber das Schönste ist, dass wir allein im letzten Jahr viele neue Freunde im ganzen Land gewonnen haben.
Wie geht es weiter?
Die nächsten ein, zwei Jahre bleiben wir noch in Deutschland, zumindest bis unsere Kinder mit dem Studium fertig sind. Wir hoffen, dass sie dann finanziell selbständig genug sind, um ohne uns aus zu kommen und wir uns endlich unseren Traum erfüllen können: Die große Tour vom Nordkap bis Istanbul, immer an der Küste entlang für mindestens 1-2 Jahre.
Bis dahin wollen wir weiterhin Festivals genießen, weitere Städte und Naturschutzgebiete erkunden und immer in Bewegung bleiben.
Auch dieses Jahr werden wir wieder einige Globetrotter-Treffen besuchen. Reisende von überall berichten von ihren Abenteuern rund um die Welt. Wir besuchen gerne solche Treffen, weil wir dort immer eine Menge von Anderen lernen können. In dieser Zeit sind wir dann auch einmal drei oder vier Tage an einem Ort anzutreffen. Interessenten sind immer gerne gesehen – wer also Lust bekommen hat, schaut einfach vorbei!
Über den Autor
Claudia Reufenheuser, 48 Jahre alt, ist mit ihrem Mann Andreas, 50 Jahre alt, aus einer 110 qm Wohnung in ein knapp 30 Jahre altes Wohnmobil gezogen. Über ihre Erfahrungen bloggen sie auf 14qm.de.
Photos: Claudia Reufenheuser
Ein sehr schöner Bericht, der zeigt, dass man sehr wohl frei leben kann, wenn man sich die Sache ernsthaft vorgenommen hat. Die meisten „Zwänge“ im Leben legen wir uns selbst auf, aber es braucht Mut und Entschlossenheit sich dieser Tatsache zu stellen und dann etwas dagegen zu unternehmen.
Hut ab – ehrlich! Den Mut haben, sein Leben so umzukrempeln finde ich grandios. Vielleichst ist weniger tatsächlich mehr;)
Hallo,
erstmal ein Kompliment: Die Basis des ausgewählten Appartements mit 4 Rädern ist die Beste !! Der Wille zum Aussteigen ist zu begrüssen. Der Verzicht auf eine „feste“ Wohnung ist folgerichtig, aber auch riskant. Der Verzicht auf eine Krankenversicherung wäre ebenso riskant. An jedem Tag und an jedem Ort drohen Gefahren für Leib und Leben. Glaubt man nicht, ist aber so. Auch, wenn man das nicht gerne hört. Ich habe 11 Jahre Auszeit in einem ausgebauten MB 608 D hinter mir. Zwischen 1985 und 1996. Danach habe ich noch 11 Jahre bis 2007 gearbeitet, um eine sehr gute Altersversorgung zu haben. Ich hatte keine Krankenversicherung und viel Glück, dass nix passiert ist. Meine Rechnung ist aufgegangen. Die 11 Jahre „Fehlzeit“ hat meine Pension nur geringfügig gemindert. Die Rückkehr in den Beruf war schwierig, ist mir auch nicht leicht gemacht worden. Von den Kollegen, die im Hamsterrad geblieben waren 🙂 Meistgestellt Frage: Wie hast du die 11 Jahre ohne Arbeit finanziert ? Ihr habt Euch darüber auch viele Gedanken gemacht. Camping-Plätze sind tabu, will man Geld sparen. Gebrauchte Marken-Klamotten habe ich immer schon gekauft, aus Prinzip. Essen, Trinken und der Sprit halten sich finanziell in Grenzen, wenn man vernünftig plant und Einsparpotentiale nützt. In diesem Sinne: Viel Vergnügen bei Eurer Auszeit !! Denkt aber auch daran, dass es ein Leben nach der Auszeit gibt. Nicht alle Alten, denen ich an schönen Plätzen und auf Fähren begegnet bin, waren glücklich. Viele waren verarmt und haben Lebensmittel hinter den Supermarkets gesucht. Denkt also auch an den Fall der Fälle. Dass das Vergnügen ein Ende hat und plant die Rückkehr in die normale Welt schon am Anfang. Das macht es leichter 🙂
Wow, danke für diesen Bericht, das ist genau wonach ich gesucht habe und es gibt mir neue Hoffnung meinen Plan in die Tat umzusetzen. Die Internetseite 14qm.de hat so viele nützliche Infos und befasst sich mit den Problemen, die mir solche Sorgen machten. Danke für die Eröffnung dieser schönen Perspektive!
Hallo!
Vielen Dank für den Artikel. Leben im Camper oder auch in einem „Tiny House“ finde ich sehr reizvoll und interessant. Werde auf jeden Fall mal ausgiebig in eurem Blog stöbern.
Wie habt ihr denn die letzten (nicht allzu kalten) Winter überstanden? Die Überwinterung kenne ich als besondere Herausforderung bei Campern?
Grüße
Jens
Liebe Claudia,
lieber Andreas,
wir hoffen wir treffen Euch bald auf einem der Globetrotter-Treffen.
Seit 2010 leben und reisen wir in einem Allrad-LKW (Bj. 1968) durch Afrika, unsere Wohnkabine hat allerdings nur 6qm. Aber eigentlich sind wir dort nur zum Schlafen. Ansonsten verbringen wir die meisten Zeit außen. Wir sagen immer „Unser Garten ist die Welt.“ Nach 5 Jahren Afrika sind wir gerade in Deutschland, um unser Oldtimer-Wohnmobil auf neue Abenteuer vorzubereiten. In so langer Zeit, die wir auf 6 qm gelebt haben, lernt man dazu was man wirklich braucht und was man nicht braucht…Für das große Abenteuer Afrika haben wir auch nicht lange geplant: Entschluss gefasst, Datum der Abreise festgelegt, Wohnung gekündigt, passenden LKW gekauft und los! Letztendlich haben wir das Interieur in nur 2 Wochen ausgebaut. Und das alles war eine der besten Entscheidungen unseres Lebens. So schön kann Arbeiten und Leben im Allrad-Wohnmobil sein.
Viele Grüße,
Verena & Patrick
Großartig! wirklich – mein vollen Respekt für eure Entscheidung und euren Mut! 🙂
Woraus besteht die Rückwand in der Küche des Wohnmobils? Ich würde unsere auch gerne einen Metalllook geben, finde aber nicht das Richtige.