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Ich schalte meinen Fernseher an und sehe, dass die Welt immer debiler wird. Ich schalte ihn aus, gehe auf die Straße … und sehe dasselbe. Ich sehe die Menschen (manchmal auch den im Spiegel) hetzen und fressen und saufen, arbeiten und umfallen, Geld zählen und die Angst wählen.

Wir brauchen kein Koks, um besser zu funktionieren, keine Casting-Show, um berühmt zu werden, kein Geld als Gott und kein permanentes Internet in der Hand und vor den Augen.

Was wir brauchen, ich und Du vielleicht auch, das sind Tugenden, die uns in diesem Zeitalter nicht nur über-, sondern wirklich leben lassen.

Zehn davon.

#1 Ehrlichkeit

Zu lange schon lügen wir uns selbst an, lernen und studieren Sachen, die uns nicht interessieren, bewerben uns auf Praktika und Jobs, die wir nicht lieben. Hocken dann fünf Zehnstundentage in der Woche oder mehr in Bürokästen vor Computerkästen und starren uns einen an Monitoren ab für das nächste Lob des Chefs, die nächste Karriere- und Gehaltsstufe. Wenn es das ist, was man will, ist alles bestens. Wenn nicht, ist es Zeit, ehrlicher zu werden. Nach innen und nach außen.

Nach innen: Wie fühlst Du Dich? Was willst Du wirklich?

Nach außen: Was kannst Du tun, um authentisch zu sein, Deine wahren Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse auszuleben, privat und beruflich?

#2 Tiefsicht / Ernsthaftigkeit

Mehr denn je müssen wir durch die glänzenden Oberflächen schauen, um glücklich und erfüllt zu leben. Heute versuchen so viele von uns, die eigenen Lebensläufe, Xing- und Facebookprofile leuchten zu lassen, sich selbst als Überkings und -Queens darzustellen, ganz gleich, wie es unter der Oberfläche aussieht.

Im Radio habe ich mal eine Reportage angehört darüber, wie Kinder Facebook nutzen. Ein Junge sagte, er würde etwa drei bis vier Stunden täglich auf Facebook verbringen. Was er da genau tue, wurde er gefragt. Seine Antwort: machen, dass er cool wirkt. Seine Coolness brachte ihm eine Menge von Facebook-Freunden ein und von der Zeit mit echten Freunden ab. An der Oberfläche war er der Coolste, wer tiefer hinschaut, muss schnell erkennen: der Junge ist eine arme Sau, egal wie sehr er sich selbst auf diese Weise zu vergolden versuchte.

Als Erwachsene geht’s uns oft nicht anders: wir wollen in erster Linie wirken und in zweiter sein.

Statt ernsthaft nach richtigem Charakter und Wert zu streben, versuchen wir, möglichst per Knopfdruck oder Pilleneinwurf alles zu bekommen, schnell und einfach und ohne uns großartig mit irgendetwas auseinanderzusetzen.

Der Weg an der Oberfläche ist jedoch ein Irrweg.

Die echten Schätze liegen in der Tiefe.

#3 Weitsicht / Beharrlichkeit

Hängt zusammen mit der Tiefsicht. Die wenigsten Dinge, die etwas wert sind, kommen so schnell wie die nächste S-Bahn auf der Stammstrecke in München oder die braune Papiertüte über die Theke vom McDonalds.

Die meisten Bauern wissen: erst säen, dann ernten. Die meisten Menschen jedoch denken nur ans Ernten, und das funktioniert nun mal einfach nicht: wer einen unbestellten Boden ernten will, der bekommt nur Dreck zu essen.

Die meisten Casting-Show-Gewinner verschwinden rasch wieder im Nichts, und die meisten Schnellschüsse gehen daneben.

Weitsicht heißt für mich dabei auch: nach vorn schauen.

#4 Eigenverantwortung

Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen man sich darauf verlassen konnte, als Erwachsener versorgt zu werden. Loyale Arbeitgeber scheint es kaum noch zu geben, der Staat lässt uns hängen, die sozialen Netze haben ihre alte Bedeutung verloren und werden heute mit den Facebook-Fans assoziiert (siehe Tugend #2).

Darüber kann man entweder jammern (mach ich auch hin und wieder ganz gern mal, bringt aber nicht so viel) oder die Ärmel hochkrempeln statt den Gürtel bald enger schnallen zu müssen (letzteres macht nur Spaß, wenn man’s freiwillig tut).

Du bist auf Dich gestellt. Heißt nicht, dass Du alles allein schaffen musst. Aber: Du musst Deine Entscheidungen selbst treffen und Dir auch Deine Weggefährten und Unterstützer selbst suchen.

Siehe auch: 13 Gründe, niemals einen Job anzunehmen.

#5 Leidenschaft

In den letzten Jahren hat das unsinnige Thema Work-Life-Balance die Diskussionen von Arbeitspsychologen, Personalern und Angestellten mitdominiert. Allein der Begriff „Work-Life-Balance“ zeugt jedoch von einer Trennung zwischen dem, wie man einen großen Teil des Tages verbringen muss (work) und dem, was man dafür ein paar Stunden lang anschließend bekommt (life).

Ich glaube, eine Balance aus Tun und Erholen ist wichtig. Nicht aber eine Unterteilung des Lebens in ein notwendiges Übel und einen Rest. Und schon gar nicht Work-Life-Balance-Maßnahmen, die mich dazu zwingen, auch noch meine „Freizeit“ mit Leuten beim Teambuilding-Kletterkurs verbringen zu müssen, die mich schon im Büro nerven.

Statt zweier Fetzen will ich ein Gewand aus Leidenschaft.

Eine echte Aufgabe, die mich morgens voller Freude aufstehen lässt. Eine Aufgabe, die mich mehr berauscht als jedes „entschädigende“ Koma-Saufen am Abend oder am Wochenende es könnte.

Siehe auch: Warum Du Deine Lebensaufgabe kennen solltest.

#6 Ganzheitlichkeit

Ganzheitlichkeit und der Weitblick sind nicht nur für die Einteilung von Zeit nötig, sondern auch im Hinblick auf die Auswirkungen unseres Tuns.

Handeln wir leidenschaftlich, so sind wir auch für andere inspirierend. Handeln wir mit Weitsicht, so machen wir auch die Welt zu einem besseren Ort.

Niemand ist eine Insel, heißt es. Halbinseln, vielleicht ja, schließlich sind wir einzigartig und selbstbestimmt und doch verbunden. Aber losgelöste Inseln, das sind wir wirklich nicht. Auch wenn es uns heute suggeriert wird. In den BWLer-Hörsäalen der Münchner Uni zum Beispiel wurde viel zu oft eine Ellenbogenmentalität proklamiert, die niemandem half, denn niemand half sich mehr gegenseit. Statt Lerngruppen gab es Ein-Mann-Noten-Truppen auf der Jagd nach dem Highscore. Ich glaube, das hat dem Gesamtniveau und den Einzelnen nichts gebracht. Nicht nur auf dem Zeugnis, sondern auch in den Köpfen.

Wer gar nicht ganzheitlich denkt und handelt, macht sich selbst damit ängstlich, paranoid. Denn er erwartet zwangsläufig, dass die Mitmenschen genauso ticken und schon die Ellenbogen gespitzt haben, um sie einem hinter der nächsten Ecke ins Auge zu rammen.

#7 Mut

Wenn es darum geht, die Tugenden in Handlungen umzusetzen, braucht es immer eines: Mut. Denn mit diesen Tugenden wechselt man seine Richtung und schwimmt gegen den herrschenden Strom.

Ohne Koks oder Psychopharmaka ist man kurzfristig eben weniger leistungsfähig. Ohne Casting-Show muss man auf eigene Faust kämpfen. Ohne dauernde Erreichbarkeit online und telefonisch riskiert man Unverständnis und Ausgrenzung. Auf dem Weg der Leidenschaft löst muss man sich vielleicht von den illusorischen Sicherheiten einer Festanstellung trennen und von den Kollegen, mit denen man ja immer so schön Kaffee getrunken und gescherzt hat (die man nach dem Ausstieg aber nie wiedersieht). Eigenverantwortung tut weh, Ganzheitlichkeit ist unbequem.

Doch gerade deswegen, weil es an so vielen Stellen an Mutigen fehlt, sind sie 2013 und darüber hinaus so wichtig.

#8 Wachstum

Gemeint ist nicht das wirtschaftliche Wachstum. Wirtschaftliches Wachstum ist ab einem gewissen Punkt oberflächlich. Untersuchungen aus Amerika zufolge werden Menschen mit zunehmendem Einkommen zwar glücklicher – aber nur bis zu einem gewissen Punkt, und der liegt nicht etwa bei einer Trilliarde, sondern bei etwa 40.000 $.

Gemeint ist in erster Linie das innere Wachstum und die Verwirklichung jener starken Träume, die mit Leidenschaften zu tun haben und nicht mit materiellen Wünschen.

Der neue Reichtum ist der innere. Die neuen – inneren – Millionäre sind die, die so denken und handeln, dass sie eigenes Glück und das ihrer Mitmenschen Zinsen und Zinseszinsen abwirft.

#9 Dankbarkeit

Zukunftsforscher und Wirtschaftsexperten sind sich einig: die Zeiten immerwährenden Wachstums sind gar nicht so immerwährend. Wenn jeder Mensch drei Handys und zwei Autos hat, muss auch irgendwann Schluss sein – allein dieser Umstand lässt mich an die Prognosen glauben.

Wer dankbar ist, bannt die Gefahr der Maßlosigkeit und der Enttäuschung, wenn man sich den Porsche mit 40 immer noch nicht leisten konnte. Und wer sich mäßigt, hat Zeit, dankbar zu sein für das, was er hat. Für die lieben Menschen in seinem Leben, das Dach überm Kopf, den leckeren Kaffee oder Tee oder das in aller Ruhe selbstgebackene und duftende Brot, ein gutes Buch, herrliche Musik, die Spaziergänge an der frischen Luft, die Frühjahrssonne und das Rascheln der Blätter im Herbst.

#10 Empathie / Mitgefühl

Am Ende erinnern wir uns an die Menschen, die uns etwas bedeuten, nicht an den Lebenslauf und den Fame.

Um solche tiefen Beziehungen zu schaffen, benötigen wir die Tugend des Mitgefühls.

 

Welche Tugenden findest DU in der heutigen Zeit besonders wichtig? Freu mich über Deinen Kommentar!

 

Photo: Chang Liu