Die Schreibmaschine von Apple vor mir, der Kaffee neben mir, die Geräusche durchs gekippte Fenster um mich herum (Fahrräder klappern, Absätze klackern auf dem Weg zur Arbeit).
Friedlich ist es, ich sitze, tippe und atme. Und denke darüber nach, wie auch Du, lieber Leser, es auch noch etwas friedlicher haben könntest, wo Du vielleicht gerade auf dem Weg ins Büro bist, auf einem klappernden Fahrrad oder klackernden Absätzen.
Ich sitze und tippe, und Du magst unterwegs sein, und doch tun wir eines gemeinsam: atmen.
Wir Menschen atmen gemeinsam dieselbe Luft durch ähnliche Lungen – aber wie wir sie atmen, da können wir uns sehr unterscheiden.
Manche von uns atmen, wie sie in der Hektik des Alltags essen: schnell stopfen sie die Luft in sich hinein, ohne es je zu bemerken. Sprechen und planen und tippen und telefonieren und laufen dabei, springen in ihren Gedanken zwischen dem, was war, dem was ist, und dem, was sein wird oder auch nicht.
Andere hingegen nehmen sich immer wieder bewusst eine halbe Minute oder länger Zeit, um nichts zu tun als zu atmen. Sie spüren, wie die Luft ihre Nasenflügel beim Einatmen kühlt und leicht zittern lässt. Sie spüren, wie die Luft tief in die Lunge wandert. Sie geben ihr Zeit, dort zu verweilen, ein paar Sekunden lang. Und sie lassen sie wieder los, atmen langsam aus.
Jene, die immer flach und unbewusst atmen, leiden unter der Last des Tages, von Stunde zu Stunde mehr, mit jeder Mail, jedem Anruf, jedem To-Do, das sich ansammelt. Denn sie haben keine Pause, auch in der Mittagszeit springen und kämpfen die Gedanken in ihnen weiter. Sie versuchen, einen Marathon vom ersten bis zum zweiundvierzigtausendsten Meter durchzusprinten.
Jene hingegen,die immer wieder mal bewusst atmen, sich mit sich selbst und dem Frieden verbinden, auch sie sind manchmal gestresst und fühlen sich überfordert, auch ihnen regnet es mitten an einem kalten Tag unerwartet durchs Dach, auch sie streiten sich mit ihren Kollegen und Partnern und Kindern. Sie werden aber nicht von den Anforderungen verzehrt. Sie wissen: das Leben und jeder einzelne Tag ist eine lange Wanderung mit notwendigen Pausen dazwischen.
Der Unterschied zwischen beiden Gruppen scheint klein zu sein, ein paar Sekunden bewusst ruhig atmen hier und dort.
Doch auch die Worte
rasen und
rasten
unterscheiden sich nur durch ein kleines t.
Wie oft ertappe ich mich dabei, in den Supermarkt oder zur U-Bahn zu spurten … obwohl es keinen Grund zur Eile gibt? Wie oft telefoniere ich mit einem Freund, der mir viel bedeutet, und denke dabei über Texte und Termine nach, die damit nichts zu tun haben? Wie oft fühle ich mich gehetzt, erschöpft oder mutlos, obwohl ich mein eigener Chef bin und die Dinge so schlecht gar nicht laufen?
Wollen wir, Du und ich, wirklich so leben?
Immer in Eile, immer denken und sprechen und hören und lesen und tippen und tun … wenn wir aufstehen, wenn wir uns anziehen und zurecht machen, wenn wir die Wohnung verlassen und den Computer im Büro anwerfen, wenn wir die tausend täglichen Aufgaben abarbeiten, wenn wir den Heimweg beschreiten, wenn wir zuhause sind am Ende des Tages einschlafen wollen, uns aber die Gedanken an den vergangenen und den nächsten Tag davon abhalten?
Das beste Mittel gegen Hektik und Gedankengift, das ich kenne, sind fünf bis zehn tiefe Atemzüge. So, dass sich Deine Bauchdecke beim Einatmen hebt und beim Ausatmen senkt.
Dieselbe Luft, die wir meist hektisch verarbeiten, um schlicht überleben zu können, schenkt uns Frieden und neue Kraft, wenn wir sie ruhig und bewusst atmen.
„Keine Straße ist zu lang mit einem Freund an der Seite“, sagte Konfuzius.
Lass uns die Atmung zu unserem Freund machen.
Haben wir das nicht verdient, zwischen all den Anstrengungen?
Ein paar bewusste, tiefe Atemzüge reichen bereits aus, um uns wieder zu erden und zu erfrischen. Besonders geholfen hat mir auch eine Übung, die ich aus einem der Bücher von Dr. Andrew Weil gelernt habe:
- Setz Dich bequem hin. Schließe Deine Augen.
- Atme so tief und kräftig wie möglich durch die Nase ein … tief in Deinen Bauch. Atme anschließend alle Luft vollständig wieder durch den Mund aus.
- Atme 10 Mal hintereinander so tief durch die Nase ein und durch den Mund aus. Beim 10. Atemzug gibt’s eine Änderung: atme tief ein, wieder in den Bauch, atme aus … aber stoppe das Ausatmen in der Mitte des Atemzugs, halte den Atem an, sodass noch die Hälfte der eingeatmeten Luft in Deinem Körper bleibt.
- Halte die Luft solange an, wie es bequem für Dich ist … wenn Dein Körper weiter atmen will, lass ihn. Wenn Du die Übung richtig gemacht hast, wirst Du merken, dass Du etwa eine halbe Minute lang nicht weiteratmen brauchst, weil Dein Blut durch die tiefen Atemzüge zuvor mit so viel Sauerstoff versorgt ist.
- Spüre Deinen Körper … wie fühlt er sich an, wie fühlst Du Dich?
- Nach den 10 tiefen Atemzügen und nachdem Du die Luft angehalten hast und weiteratmest, atme noch drei mal ruhig und tief durch die Nase ein und durch die Nase aus (aber nicht so energisch wie bei den 10 tiefen Atemzügen zu Beginn). Konzentriere Dich dabei weiter auf Deinen Körper und Dein Gefühl.
- Öffne Deine Augen.
Ich fühle mich spätestens am Ende der Übung sehr friedlich, ruhig, entspannt, irgendwie entgiftet von negativen Gefühlen und Gedanken. Manchmal durchströmt mich eine ganze Welle der Wohligkeit. Je häufiger Du die Übung wiederholst, umso wirksamer wird sie. Sie dauert etwa zwei bis vier Minuten. Umso geübter Du bist, umso mehr wirst Du auch von einer einminütigen „Kurzversion“ profitieren können (mit z.B. nur 5 tiefen Atemzügen).
Mehr dazu im myMONK-Buch für mehr Gelassenheit in 6 Wochen: Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt.
Photo: Steven Leonti
Ahh – ich liebe Deinen Schreibstil. Toller Artikel.
Das tiefe ein- und ausatmen ist für mich persönlich die Technik für so gut wie alles. Kommt Ärger hoch. Ein- und Ausatmen. Kommt Wut hoch. Ein- und Ausatmen. Stosse ich mir den Kopf. Ein- und Ausatmen. Usw. 🙂
Danke Tim!
Danke Dir, Nate! 🙂
Mich fasziniert es, wie einfach die wirkungsvollsten Mittel gegen Stress und Anspannung und Zorn sind.
Dann mal einen schönen Tag Dir – hoffentlich ohne angestoßenen Kopf 🙂
Liebe Grüße
Tim
Werde ich zu meine Gewohnheiten einfügen 😉
…ich habe schon einiges ausprobiert, aber noch nie so bewusst auf den Atem geachtet…diese Selbstverständlichkeit des Atmens, gekoppelt mit der Einfachheit der Ausführung erden ungemein…Danke 🙂
Pauline
Hi Pauline, schön, dass auch Dir diese echt unfassbar einfache Übung hilft! Dann mal gutes Atmen und einen schönen Tag Dir :). LG Tim
Hallo Tim, ja es ist unfassbar und immer wieder verblüffend, dass gerade die Einfachen und Essentiellen Dinge des Lebens es schaffen, uns runter zu holen und zu erden…was dann wiederum erlaubt, einen anderen Blickwinkel auf manche Sachen zu werfen…
…es ist so wie in der Malerei, erst wenn ich beim Betrachten das Bild auf dem Kopf stelle, sehe ich Details, die mir vorher entgangen sind…und die sind so einfach und doch so wichtig…
Dir auch einen schönen Tag und liebe Grüsse
Pauline
Danke für den tollen Artikel. Diese Worte tun einfach gut!
LG, Martin
Vielen Dank, Martin! Deine auch! 🙂 LG Tim
Hallo Tim!
Eine schöne Übung. Ich bin überrascht, wie lange ich den Atem anhalten kann. Danach habe ich mich sehr ruhig gefühlt. Aber auch schon vorher war ich sehr ruhig und ausgeglichen. Es ist Wochenende und ich liege noch im Bett und bin voller Vorfreude, was den Sonntag betrifft.
Es gibt noch eine Übung, die ich unbewusst immer absolviere. Für mich ist das meine normale tägliche Meditation aber der Weg hat auch einen Namen, was mir selbst nicht bekannt gewesen ist. Körperzentrierte Herzarbeit. Es handelt sich dabei um folgende 4 Schritte: http://www.herzensarbeit.de/herzensarbeit/vier-schritte/
Vielleicht eine interessante Seite für Dich (wenn Du sie nicht schon kennen solltest).
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag!
LG aus Hamburg,
Gaby
Hi Gaby,
ja, in uns allen schlummern Tiefseetaucher! Ich war auch überrascht. Normalerweise denke ich nach 10 Sekunden Luftanhalten schon, dass ich bestimmt gleich tot umfalle.
Die Seite kannte ich noch nicht – danke für den Tipp!
LG in den Norden
Tim
Moin!
Ich liebe diese kleine Übung. Als ich sie zum ersten Mal bei dir gelesen habe, habe ich sie ein paar mal angewendet und es hat extrem gut getan und jeglichen Druck aus einer Situation genommen. Dann brauchte ich sie eine Weile nicht mehr und bin heute wieder darauf gestoßen, als ich sie eh wieder suchen wollte, um mich zu vergewissern, dass ich sie richtig im Kopf behalten habe. Es ist extrem entspannend, zwischendrin sich diese Minute zu nehmen.
Danke, Tim!
Lieben Gruß
Claudia
Danke..genauso empfinde ich das auch..bewusst atmen ist das Beste was gibt..
Wunderbar beschrieben und ausgemalt, finde ich, Tim. Der Atem ist wohl eines der am leichtesten zu durchschreitenden Tore um wieder etwas Ausgleich zu erreichen in unser analytisch geprägtes Denken. Die rechte Gehirnhälfte (intuitiver Anteil) ist ja wohl stark vernachlässigt und deshalb auch nicht trainiert. So laufen wir im Hamsterrad des Denkens, Analysieren, Vergleichens und finden nicht heraus. Wie auch? Mit der linken Gehirnhälfte sehen wir nur Anweisungen und Fakten im Wald. Es ist wie das Fuchteln mit einer Taschenlampe. Wahrheit und Weisheit erscheint anders, vielleicht durch das Tor des Atems. So kann dein Text ein ganz wunderbarer „Abholer“ sein. Sehr gut dazu passt auch die Jahrtausend alte Technik „Vipassana“. Wer mag kann sich mal einen meiner (knapp dargestellten) Texte ansehen.
http://www.celestinecommunity.de/forum?func=view&catid=54&id=19112
LG Richard
Hi Richard,
Danke für Dein Kompliment an den Text, freut mich, dass er Dir gut gefallen hat und ich freu mich zudem über Deine schönen Zeilen, die eine weitere Lanze für die bewusste Atmung brechen.
Auch bei Deinem anderen Link in die Celestine-Community steht dann da was von „keine Berechtigung zum Lesen“. 🙁
LG
Tim
Wer noch tiefer gehen möchte: Nach dem Ausatmen 20 Sekunden lang die Lust anhalten. Auch wenn die ersten Impulse zum Einatmen kommen. Ignorieren. Stark bleiben. (Meistens kommen die Impulse viel zu früh). Das eine Weile machen. Man merkt schnell, dass sich etwas verändert.
Entscheidend ist, dass man erkennt, dass man eigentlich gar nicht ausatmet und dann einfach wartet, sondern die ganze Zeit weiter ausatmet. Das geht nur, wenn man ganz entspannt ausatmet. Man darf NIE drücken. Und je weniger Luft gegen Ende des Ausatmens ausströmt, desto mehr muss man sich drauf konzentrieren, ihn wahrzunehmen. Erst, wenn der Atmen unhörbar ist, und das vermeintliche Stillstehen des Atems weiterhin als entspannte Bewegung wahrgenommen wird, fällt man tiefer und tiefer.
… gut, alles bekannt. Ist es in dem Zusammenhang von Bedeutung, dass die Tastatur von apple ist? 😉
Hi,
ich glaube, da hatte ich gerade ein Ma*book angeschafft und war noch so hingerissen (okay, ich bin’s immer noch). 🙂
LG
Tim
tolle übung gegen die symptome.
doch sollten nicht auch mal die ursachen überdacht werden..?
Hallo Hubert. Ich meine, überdenken tun wir schon genug. Wenn es die Ursachen noch gibt, dann hilft wohl selten nochmal 10 Jahre denken. Mehr noch, deine Gedanken können die Ursachen SEIN (siehe Tolle). Hörst du hingegen auf zu denken und erlaubst ALLES als Ursache, dann kann die Ursache einfach im Geist erscheinen. Vielleicht denkst du das Wort „warum“, wenn du schon denken musst. Und nimmst den ersten Gedanken ernst. Auch wenn er Unsinn zu sein scheint.
LG Richard
Hallo Tim,
Danke für die Zeilen. Mir kam dabei in den Sinn, dass wir alle „human beings“ sind und nicht „human doings“ … Liebe Grüsse E
Hi Elisabeth,
an diesen Ausdruck muss ich auch häufiger denken, der ist echt gut in seiner Einfachheit.
LG
Tim
guter Artikel, danke Tim. Das tiefe Atmen ist ein gutes Werkzeug sein Leben zu entschleunigen.
Aber warum muss es gleich schon wieder eine Kurzversion davon geben…..in einer Minute mit nur fünf Atemzüge…..
Abgesehen davon, dass sich jeder sicher seinen eigenen Rhythmus sucht, klingt diese ein-Minuten-Version für mich wie ein Werbeslogan(Wieder nach dem alten Stil…Besser in noch kürzerer Zeit….)Entschleunigung???
LG
Es geht eben auch nicht um inneren Frieden als durchschnittlicher Seins Zustand, wie ich das auch mit der Überschrift verstanden hatte. Es geht nur darum, momentan den Zustand anzuheben. Insofern stimme ich zu. Die Überschrift klingt eher reißerisch und wenn jemand sich in seiner Not daran klammert, kann es auch eine spirituelle Falle sein. Ein schönes Beispiel, wie die Absicht von Autoren gut gemeint sein kann und dennoch für manche in die Irre führt.
Hi Richard,
vielleicht geben diese paar Minuten ja ein bisschen Kraft, um sich dann den Ursachen / der Lösung wieder widmen zu können?
LG
Tim
Geben sie auf jeden Fall, wenn nicht das Ego schon glaubt, die Lösung zu haben mit der Übung, und dich dann schonen will.
Es gibt keinen inneren Frieden, nur die Suche nach ihr.
Jeder Interpretationsversuch, egal von wem, (also auch von mir) bestätigt dies. Drehe und wende es wie du möchtest. Das Ergebnis ist, und bleibt immer das SELBE. Die selbe SUCHE. Unsere gemeinsame SUCHE.
Nur der Weg, der eingeschlagen wurde, unterscheidet sich.
Beste Grüße,
Stephan
lieber Tim,klasse Übung,Danke!!!!
Wirksamer Artikel. (Einfache) Dinge bewusst zu tun – das ist häufig der Dreh- und Angelpunkt zu mehr Frieden. Gestern habe ich in eine ähnliche Richtung gedacht mit demselben Ziel: mehr Leichtigkeit. Das Mantra ist: Die Zeit mit anderen schön verbringen. Eine Binsenweisheit? Vielleicht! Im Alltag oft schwierig? Auf jeden Fall! Wenn wir uns überlegen, was es mit uns, unseren Erwartungen an eine Begegnung macht, diesen Vorsatz als höchste Priorität für eine Begegnung zu setzen, glaube ich, dass man mit dem kontinuierlichen Versuch, das zu beherzigen zu mehr Genuss, weniger empfundene Belastung, mehr Leichtigkeit kommt. Vielleicht wäre das mal ein schönes Thema, Tim?