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Wie können wir unser wahres Potenzial erkennen und freilegen? Wann ist es Zeit für eine Neuorientierung im Leben? Wohin wird sich die Berufswelt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln? Und wie entwickelt man persönliche Meisterschaft? Jürgen Kilb ist Coach und Potenzialberater und beantwortet diese Fragen und weitere im myMONK-Interview.

Hallo Herr Kilb, ich freue mich über Ihre Bereitschaft zum myMONK-Interview – vielen Dank! Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen, dort, wo Sie gerade sind?

Einen blauen Himmel mit weißen Wolken aus dem einen Fenster, aus dem anderen das Haus unseres Nachbarn.

Ihr Spezialgebiet ist die Potenzialberatung. Gab es Zeiten in Ihrem Leben, in denen Ihr eigenes Potenzial (zum Teil) verschüttet war? Wenn ja, woran lag das? Und was hat Ihnen geholfen, das Potenzial freizulegen?

Ja natürlich, besonders in und nach der Schule. Ich möchte auch nicht von mir behaupten, dass meine Potenziale heute ausgeschöpft sind. Ich möchte aber mal anders anfangen: Es gab eine Zeit in der das menschliche Potenzial die Möglichkeit hatte sich in seine volle Entfaltung zu entwickeln, nämlich zur Zeit der Geburt und in früher Kindheit. Hier herrscht eine angeborene Lust am Entdecken, am Lernen, am Erforschen, am Gestalten. Hier lebt die Kreativität, Neugier und Entdeckungsgeist. Die Erziehung, Kindergarten, Schule schafft jedoch die Menschen so „in Form“ zu bringen, dass sukzessive diese kindliche Neugier und Begeisterung verblasst und immer mehr verschüttet wird. Dies geschieht durch das „Hineinzwängen“ in Normen und Regeln, die Arbeit mit Belohnung und Strafen, Botschaften „das darfst Du“, „das darfst Du nicht“, „das ist gut“, „das ist schlecht“ etc. Unabhängig davon, dass manche Erfahrungen notwendig sind um soziale Regeln zu lernen – durch Erfahrungen, die das Kind macht entstehen Glaubensmuster und Denkmuster, die oftmals mehr hinderlich als förderlich sind in der weiteren Entwicklung.

Kinder werden nicht dazu erzogen IHRE Potenziale zu entfalten, sondern vielmehr sich Wissen anzueignen mit dem sie oft gar nichts anfangen können, damit sie in der Gesellschaft „funktionieren“ und „verwertet“ werden können. Dies beruht auf unserer Geschichte. Die Erziehenden und Verantwortlichen für schulische Bildung kennen es nicht anders. Hier scheint immer noch der „Nürnberger Trichter“ maßgeblich zu sein, obwohl wir es mittlerweile besser wissen. Man spricht heute ja auch von HR (Human Ressources). Eine Bezeichnung, die mir persönlich nicht so gefällt obwohl sie eigentlich gar nicht so falsch ist, (mir gefällt MK, menschliches Kapital besser ☺). Würde man das sich entwickelnde Kind dabei unterstützen die ihm innewohnenden Potenziale auszubauen würde die „Ressource“ Mensch zu noch mehr fähig, kreativer, leistungsfähiger sein und dazu noch glücklicher, gesunder und fröhlicher.

Ich hatte nach meiner Schulzeit zwar viel gelernt und dann sehr schnell das meiste wieder vergessen und gerade so ab der achten Klasse bis zum Abitur hatte ich das Gefühl (rückblickend betrachtet) meine Potenziale waren tatsächlich verschüttet und ich lernte nur (oder auch nicht) weil ich lernen musste. Zu dieser Zeit war mir dies jedoch nicht bewusst. Mir wurde vieles gezeigt was ich nicht will und ich wusste damals nur was ich alles nicht will und das das was ich lernte „an mir vorbei ging“. Dennoch machte ich Abitur und studierte danach. Die Entscheidung in den Bereich der Erziehungswissenschaften zu gehen war dabei mehr ein Bauchgefühl als eine rationale Entscheidung zu dieser Zeit.

Ich hatte dann das Glück schon sehr früh an Seminaren teilzunehmen zu können, in denen es darum, ging seine eigenen Denkmuster zu hinterfragen und sich klar zu machen wo der eigene Weg eigentlich hingeht. Dies half mir sehr meine eigentlichen Bedürfnisse und Wünsche kennenzulernen und nach und nach – das ist ein Prozess der nie aufhört und immer noch anhält.

Schon damals wurde mir klar wir können nur das tun, was wir vorher gedacht haben, was wir gedanklich (bewusst oder unbewusst) „erarbeitet“ haben. Von daher kommt es darauf an, wie wir denken.

Wenn wir beginnen unsere Glaubenssätze und Denkgewohnheiten zu verändern, können wir uns anders verhalten und handeln, machen neue Erfahrungen, die zu neuen Glaubensmustern werden um mehr Potenzial zu entfalten, etc. Ein Kreislauf nun aber in die andere Richtung und bewusst gesteuert – dass sollte man schon in der Schule lernen.

Eine erste einfache Methode uns zu reflektieren und zu beginnen und Denkgewohnheiten zu ändern ist das regelmäßige Führen eines persönlichen Journals. Nehmen Sie eine DINA4 oder DINA5 Heft, teilen Sie es für in drei Spalten auf und nehmen Sie für jede der folgenden Fragen eine Spalte. Beantworten Sie sich jeden Tag, zum Ende des Tages die drei folgenden Fragen

  1. Was habe ich heute gut gemacht, was hat mit heute an mir gefallen?
  2. Was hat mir heute an mir nicht gefallen, was habe ich schlecht gemacht?
  3. Was muss ich in Zukunft tun, damit mir das von 2 gefällt?

Mit der ersten Frage betrachten wir die Dinge, wir an uns schätzen, mit der dritten Frage betrachten wir die Wünsche, die wir an uns haben und schaffen neue Ziele. Mit der zweiten Frage betrachten wir das „Negative“ von uns, entwickeln jedoch über den Gegenpol in Punkt 3 wieder ein neues Ziel, schaffen ein neues Potenzial, eine neue Kompetenz, die mir an mir gefällt und die ich liebe.

Wann reichen kleine Veränderungen nicht mehr aus – wann muss eine Neuorientierung her? Was hat Stress damit zu tun?

Wenn wir uns in einem Zustand von Unzufriedenheit, ständigem innerem Leistungsdruck  sind, wenn wir Lustlosigkeit an dem wir tun verspüren, keinen Sinn in dem sehen was wir tun, wenn wir Angst oder Druck von außen empfinden, mangelnde Anerkennung, unklare Aufgaben oder nicht bewältig bare Aufgaben vor uns sehen, erzeugt dies Stress. Stress, der jedoch nicht förderlich für uns ist. Stress ist ein Spannungszustand, der per se nicht negativ ist. Wenn die Spannung jedoch nicht abgebaut wird und über längeren Zeitraum bestehen bleibt, wirkt sich dies negativ auf unseren Körper und unsere Psyche aus. Es muss etwas geändert werden. Geschieht dies nicht, steigt Anspannung  immer weiter, bis es zu einem Zusammenbruch kommt (Krankheit, Burnout).

Kleine Veränderungen bewirken schon eine Neuorientierung. Kleine Veränderungen in unserer Sichtweise, in unseren Bewertungen können etwas bewirken, auch an äußeren Stressoren lässt sich etwas verändern, sofern wir Einfluss darauf haben. Es besteht die Möglichkeit Entspannungsverfahren zu machen, Sport zu treiben, Lebensgewohnheiten zu verändern  – dies kann vieles verändern.

In vielen Fällen ist jedoch eine umfassende Neuorientierung sinnvoll.  Wenn wir merken „ich bin im falschen Film“ sollten wir über eine Neuorientierung zumindest erst mal nachdenken.

Dies kann zum Bsp. unsere Fähigkeiten und Werte betreffen: meine jetzige Tätigkeit entspricht in keinster Weise meinen Fähigkeiten was zu andauernderen Langeweile und Sinnlosigkeit führt  oder mein derzeitiges Leben übersteigt meine Fähigkeiten, was sich zum Bsp. in ständigen Fehler, Misserfolgen und Kritik von außen äußert, wenn die Arbeit nicht mit meinen Wertvorstellungen übereinstimmt, zum Bsp. sollen Sie als Bankberater Produkte verkaufen die Sie selbst als höchst unseriös einstufen.

Andere Aspekte sind unsere Gesundheit und soziale Beziehungen: Wenn wir merken: wir können unsere Ziele niemals erreichen, sowohl die persönliche, familiäre wie auch beruflichen, wir haben keinerlei Weiterentwicklungsmöglichkeiten, die Arbeit macht uns auf die Dauer krank, z.B. durch Umgang mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, dauernde Schichtarbeit, etc.), wir arbeiten unter fehlenden sozialen Beziehungen, andauernden Konflikten oder Mobbing, wenn unser Privatleben gefährdet ist durch ständige Überstunden, Reisezeiten, Wochenendarbeit, etc.

Das sind alles Gründe eine Neuorientierung einzuleiten, die jedoch nicht spontan, sondern wohlüberlegt und gut geplant von statten gehen soll.

Welche Rolle spielen persönliche Werte bei der Neuorientierung – und wie erkennt und priorisiert man die eigenen Werte?

Dazu möchte ich zunächst eine Unterscheidung machen zwischen moralischen urteilenden Werten und eigenen persönlichen, förderlichen Werten, die für uns wie ein roter Faden oder wie ein innerer Kompass wirken können.

Eine wichtige Frage ist ja immer, wie können wir Situationen und Geschehnisse für uns einordnen. Wie können wir be-wert – en ob sie für uns sinnvoll und förderlich sind oder nicht. Das wären persönliche Werte, die in Übereinstimmung mit unseren inneren Überzeugungen stehen. Solche Werturteile spiegeln unsere Überzeugungen wider, wie wir denken, dass unser Leben am besten zur Entfaltung kommen kann. Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit sind Werte, die etwas aussagen was für uns wichtig ist. Dabei richten wir die Aufmerksamkeit darauf, was mir wichtig ist, was ich brauche, aber auch danach womit ich anderen Nutzen bringen kann.

Wir kommen dann in Konflikte, wenn ein anderer andere Werte hat. Schnell weichen wir auf moralische Werte aus, wenn wir mit dem Dissens nicht klar kommen. Wir unterteilen in Falsch/Richtig – Gut/Böse – Normal/unnormal. Dies deutet auf moralische Urteile hin. Wir fragen „Was hat Recht, wer hat unrecht, wer ist schuld?  Klaus Dieter Gens, einer meiner Lehrer,  bezeichnet dies in  seinem Buch „Ich höre etwas was Du nicht sagst“  als die Widerspiegelung „eines Dominanz- und Machtsystem, in dem eine Autorität die Definitionsmacht beansprucht“.  Ich finde das trifft den Kern. Es wird dabei verallgemeinert und unterstellt dass die Menschen die gleiche Vorstellung haben was richtig und was falsch ist Recht (Richtig/gut) und Unrecht (Falsch/schlecht)  wird reglementiert und schließlich zum allgemein gültigen Wertmaßstab.

Aus einer Differenz wird schnell ein Konflikt. Dies mündet in Urteile über den anderen. Wir richten die Aufmerksamkeit auf das, was der andere, eine Person, eine Gruppe, neue Bewegung, etc. ist oder falsch macht. Dies führt leicht zu Rechthaberei, Verurteilung und Bestrafung. Es arbeitet mit Schuldzuschreibung und schlechtem Gewissen.

Die Occupy Bewegung heutzutage beispielsweise hat für sich Werte die mit den Werten der kapitalistischen Gesellschaft nicht übereinstimmen. Was ist die Folge davon?

Ein kleines Kinde hat Werte, die mit denen der erwachsenen Welt nicht übereinstimmen – wie reagieren wir darauf?
Ein Bankmanager hat andere Werte wie ein Sozialarbeiter – wie kommunizieren diese miteinander, wenn sie es überhaupt tun?

Die persönlichen Werte, von denen ich gesprochen habe, wie auch die eigenen Interessen, Stärken und Fähigkeiten sind unsere Wegweiser für unsere Entwicklung und eine Neuorientierung, sie geben Orientierung und Sinn für unser Leben. Wenn wir uns daran orientieren kommt Freude und Spaß auf bei dem was wir tun und dann merken wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Ganze hat viel mit Achtsamkeit und die Fähigkeit sich selbst zu beobachten zu tun und das kann man lernen.

Eine zunächst einfache Methode die eigenen Werte zu erkennen ist die Umkehrung der eigenen Bewertung zu nehmen. Bsp.: Sie sagen zu Ihrem Kind „Du hast mich angelogen, so was macht man nicht, Lügen haben kurze Beine“, usw. Fragen Sie sich nun was ist das Gegenteil von Lügen? Ehrlichkeit oder Vertrauen! Wenn Sie nun sagen „Mir ist Ehrlichkeit wichtig lass uns die Situation zusammen klären“ dann sprechen Sie über Ihren persönlichen Wert.

Wenn Sie zu Ihrem Mitarbeiter sagen „Sie sind rücksichtslos, wie Sie mit Ihren Kollegen umgehen, das passt nicht in unseren Betrieb“ drücken Sie den Wert „Gleichberechtigung“ oder „Wertschätzung“ aus, der Ihnen wichtig ist.

Die GfK Kenner mögen jetzt vielleicht aufhorchen, denn im Kommunikationsmodell der Gewaltfreien Kommunikation wird noch unterschieden zwischen Bedürfnissen und Werten. An anderer Stelle dazu vielleicht mal mehr

Wenn Sie Ihre Werte erforschen und aufschreiben, sollten Sie verschiedene Lebensbereiche berücksichtigen.  Der Begründer der positiven Psychotherapie Dr. Nossrat Peseschkian unterteilte vier Bereiche, die gleichwertig wichtig sind zu berücksichtigen in einem harmonischen Lebenskonzept.

  1. Leistung und Arbeit, dazu gehören Beruf, Bildung, Erfolg, Karriere, Wohlstand
  2. Der eigene Körper, dazu gehören Gesundheit, Ernährung, Erholung, Entspannung, Fitness
  3. Familie und soziale Kontakt, dazu gehören Freunde, Partnerschaft, Zuwendung, Anerkennung, soziales Engagement
  4. Sinn, dazu gehören das Visionen, Selbstverwirklichung, Erfüllung, Philosophie, Religion, Liebe

Erstellen Sie weiter als Übung einmal für sich eine Liste

  1. Was ist für mich wichtig im Leben im Austausch mit meiner Umwelt?
  2. Was kritisiere ich an anderen – Umkehrung wie oben – was ist daran wichtig für mich?
  3. Was möchte ich auf keinen Fall haben – Umkehrung – was ist daran wichtig für mich.

Eine andere Methode, die wir gerne in Seminaren durchführen ist das Werte- und Entwicklungsquadrat nach den Psychologen Paul Helwig und Friedemann Schultz von Thun. Die Darstellung würde den Rahmen hier aber sprengen.

Alles was sie nun aufgezeichnet haben bringen Sie in eine Reihenfolge, in dem Sie Prioritäten setzen. In den Seminaren arbeiten wir hier mit einer Entscheidungsmatrix, die es ermöglicht jeden Punkt mit jedem in Vergleich zu setzen und die Priorisierung systematischer und genauer vorzunehmen.

Wie hängen die eigene Potenzialentwicklung und finanzieller Erfolg zusammen?

Das ist eine Entscheidung, die jeder einzelne für sich selbst treffen muss und nur selbst treffen kann. Für den einen ist finanzieller Erfolg wichtig, für den anderen eine glückliche Partnerschaft, für den dritten wieder was anderes. Zu klären wäre hier auch was finanzieller Erfolg für jeden bedeutet: Die Rechnungen jeden Monat bezahlen können, mir mehrere Autos leisten, ein Haus in Andalusien, Aktiendepots, um die Welt fliegen, eine Yacht in Monte Carlo, Geld spenden können, etc. Finanzieller Erfolg kann auch eine Flucht sein, eine Ersatz für ein anderes Bedürfnis, dass sich nicht erfüllt.
Und da wären wir bei den Zielen. Geld kann nicht das Ziel sein, sondern das Mittel um Ziele zu verwirklichen. Ziele sich zu setzen kann nur jeder Einzelne. Finanzieller Erfolg – was heißt das muss sich da jeder erst mal beantworten. Eine allgemeingültige Formel wie beides zusammenhängt gibt es nicht.

Wenn ich es schaffe meine innewohnenden Fähigkeiten, Kompetenzen, sprich Potenziale zu entfalten komme ich zu etwas was ich als Berufung bezeichnen möchte. Wenn wir unserer Berufung folgen sind wir erfolgreich und glücklich dabei, ohne das in finanzielle Beträge umrechnen zu wollen. Mit Sicherheit kommen wir unseren Zielen nahe und werden  sie auch erreichen. Ein wichtiger Teil der Potenzialentfaltung ist auch sich mit den eigenen Zielen zu beschäftigen und sich Ziele zu setzen und sich zu befähigen sie auch zu erreichen, sofern sie realistisch sind und im Bereich des Möglichen liegen.

Verläuft das Leben in Kreisen, stufenweise oder ganz anders?

Sprichwörtlich und umgangssprachlich redet man ja davon „sein Leben in geordnete Bahnen zu bringen“, „er wurde aus der Bahn geworfen“, „er ist auf die falsche Bahn geraten“, sein Leben verläuft in ruhigen Bahnen.

Ich glaube unser Leben verläuft in Bahnen, die wir entweder bewusst gehen oder unbewusst. Gehen wir die Wege bewusst, bestimmen wir die Richtung selbst, gehen wir sie unbewusst werden und die Wege vorgegeben (Gesellschaft, äußere Zwänge, etc.). Wir sind auf einer Reise, die wir steuern können. Sitzen wir nicht selbst am Steuer werden wir gelenkt. Welche Bahnen sind das, die wir „befahren“?

Im Laufe dieses Lebens haben wir Zugangswege, nutzen eingefahrene Wege, kommen in Sackgassen, Einbahnstraßen, finden Auswege, gehen neue Wege, Umwege oder Schleichwege, dabei nutzen wir Feldwege, Trampelpfade, Landstraßen, Autobahnen oder Rennstrecken, usw.

Manchmal stehen wir an einer Verzweigung oder Kreuzung, zwei Wege – Zwei-fel,  und manchmal laufen wir auch im Kreis, stecken in einem Hamsterrad.

Wie und in welchem Maße wir uns die Wege bahnen, liegt an unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten, und an unserem „inneren Kompass“, der uns leitet. Sowohl Fähigkeiten und Möglichkeiten können wir ausbauen, wenn wir uns dessen bewusst sind. Das kann man bis ins hohe Alter, wie die moderne Hirnforschung mittlerweile wissenschaftlich nachweist. Wir können jeder Zeit neue neuronale Netze und Verschaltungen in unserem Gehirn schaffen und neue Bahnen für unser Leben schaffen.

Genauso könnten wir aber auch von Stufen des Lebens sprechen und im Grund stimmt alles aus Ihrer Frage, es schließt sich nicht gegenseitig aus. Wir befinden uns in einer permanenten Entwicklung, oder Weiterentwicklung, wir könnten auch noch besser sagen Entdeckung, wir entdecken und im Lauf des Lebens immer wieder selbst. Dies geht in einzelnen Schritten, die ich durchaus auch als Stufen bezeichnen kann, da wir uns, unserer eigentlichen Bestimmung immer mehr nähern. Je bewusster dies geschieht umso zielgerichteter und schneller geht dieser Prozess. Dies sollten wir von Anbeginn an fördern.

Was ist persönliche Meisterschaft – und (wie) kann man sie erreichen?

Ja, eine sehr gute Frage ist das. Spontan würde ich sagen „Herr“ über seine Gedanken zu werden und sie so zu steuern, das ich immer genau die Richtung gehe, die für mich und andere wünschenswert und nutzbringend ist und sich von nichts, von keinen äußeren Einflüssen und Geschehnissen davon abbringen zu lassen. Es bedeutet sich konsequent in die Richtung zu entwickeln, die den eigenen Potenzialen entspricht, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Gedankenhygiene und Gedankensteuerung – damit beschäftigen sich schon viele spirituelle und religiöse Richtungen und Philosophen. Richtig, aber wie geht das? Unsere Denkgewohnheiten sind sehr fest und sie aufzubrechen ist ein Prozess.

Die Zwickmühle ist, dass unsere gegenwärtigen Handlungen und unser gegenwärtiges Denken – jetzt – geprägt ist unseren vergangenen Erfahrungen, Erlebnissen, usw. Diese sind jedoch verfärbt von den Botschaften und Mitteilungen anderer Menschen, Eltern, Erzieher, Ausbilder, eben die, die unsere „Wege“ „gelenkt“ haben und wir haben diese übernommen und Erfahrungen gemacht.

Auf diese Weise gestalten wir unsere Zukunft, wie wir auch unsere jetzige Gegenwart gestaltet haben. Wir beziehen uns auf unser Referenzsystem der Vergangenheit, statt gegenwärtige, dem jetzigen Zustand passende Strategien, Motive und Projektionen zu nutzen. Damit gestalten wir unser jetziges und unser zukünftiges Handeln auf der Basis von vergangenen Entscheidungen, die vielleicht damals passend oder notwendig waren – aber nicht mehr jetzt. Unsere vergangenen Muster bilden somit unsere Zukunft. Die Folge ist, dass unsere Zukunft genauso aussehen wird, wie unsere Vergangenheit, wir erleben im Grund immer wieder das gleiche.

Der Organisationswissenschaftler Peter M. Senge prägte  den Begriff Personal Mastery als eine von fünf wichtigen Disziplinen, die eine Lernende Organisation ausmachen. Dazu gehören folgende Eigenschaften:

(1) Eine persönliche Vision, Ziele entwickeln (2) das Halten einer kreativen Spannung zwischen Realität, das was jetzt ist und der Vision, d.h. Konzentration auf das Ergebnis und Anerkennung der jetzigen Realität, (3) Überwinden des strukturellen Konfliktes, das meint eben diese Gegensätze zwischen Realität und Vision (4) Nutzen unseres Unterbewusstseins und die Integration von Unterbewusstsein und Verstand (5) Erkennen der Verbundenheit mit der Umwelt (6) Mitgefühl und Engagement für das Ganze.
Das ist schon eine ganze Menge.

Kernpunkt in dieser Meisterschaft ist das Halten einer kreativen Spannung, die entsteht, wenn wir einerseits unsere Vision vor Augen haben und andererseits unsere gegenwärtigen Realität sehen. Wir sehen das Ziele, nehmen aber eine völlig andere Realität wahr, die diesem Ziel (noch) nicht entspricht. Dabei besteht die Gefahr, dass wir wie von einem Gummiband zurückgezogen werden, weg vom Ziel, in unsere „gewohnte Realität“.

Wie wir sie erreichen? Erleuchtung in einem Interview zu gewinnen oder an einem Wochenende zu erlangen gibt es wohl nicht. Das ist ein bewusster Prozess, den wir in Gang setzen müssen. Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Wenn wir folgende Punkte achten, kommen wir einer persönlichen Meisterschaft schon sehr nahe:

  1. Bewusstes Gestalten unsrer Vision. Das meint ein innerliches Erleben dieses Zieles.
  2. Konzentration auf das Ziel.
  3. Prüfen Sie ob Ihr Ziel in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Bedürfnissen steht.
  4. Regelmäßige „Rituale“ pflegen: Meditieren, Gedanken beruhigen, Zeit für sich nehmen, Ziele visualisieren, ggf. anpassen……
  5. Innenschau – Beschäftigen Sie sich mit den eigenen Verhaltensweisen, ggf. Korrektur in Richtung auf das Ziel.
  6. Training des Konzentrationsvermögens; die Aufmerksamkeit auf das richten was Sie gerade tun / Gegenwartsbezug üben ist sehr wichtig
  7. Treffen von klaren, eindeutigen Entscheidungen, bewusste Auswahl, statt automatischen Reaktionen
  8. Anerkennen der gegenwärtigen Realität.
  9. Wahrnehmen und bestrebt sein einen Nutzen für mich und andere, mit Erreichung des Zieles zu bieten.
  10. Und noch mal: Achtsam sein. Erkennen von kleinsten Veränderungen – es geschieht immer etwas, wir müssen es nur wahrnehmen. Aufmerksam durch die Welt gehen.
  11. Erkennen der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten und die Bereitschaft eine Erweiterung dieser Fähigkeiten und Möglichkeiten herbeizuführen.

Wie entwickelt sich die Berufswelt in den nächsten Jahrzehnten – welche Trends sehen Sie?

Erstens: Die Strukturen ändern sich. Während noch in der Generation vor mir ein Rhythmus „Schule-Lehre-Arbeit-Rente“ völlig normal war, hat sich das schon heute stark verändert. Nicht nur die Art der Arbeit, auch Beschäftigungsverhältnisse werden vielfältiger. Ein ständiges Lernen, beziehungsweise Weiterlernen ist notwendig. Es ist durchaus normal, dass mehrere Berufe , mehrere Arbeitgeber, vielleicht auch Selbstständigkeit, mehrere Aufgabenstellungen in der gleichen Firma im Laufe eines Berufslebens absolviert werden.

Zweitens: Ich glaube der Mensch, seine soziokulturelle Belangen und damit der Gesundheitsmarkt, Freizeit und Erholung werden in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens kommen und eine zukünftige Innovation sein wird.

Leo Nefiodov beschreibt in seinem sehr lesenswerten Buch“ der sechste Kontratieff“ den Wandel von der jetzigen Informationsgesellschaft hin zu einer neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur und Ordnung mit völlig anderen Arbeits-und Rahmenbedingungen, die wir in der Vergangenheit vorfanden. Es bezieht sich dabei auf den russischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kontratieff.

Kontratieff zeigte auf, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Zyklen verläuft, die jeweils ca. 50-60 Jahre anhalten, unterbrochen auch von Zeiten der Rezension und Krisen.  In jedem Zyklus gibt es Basisinnovationen und prägende Ressourcen, die einen wirtschaftlichen Schub auslösen. Wie eine Pflanze, die wieder besser wächst wenn ihr der fehlende Nährstoff hinzugefügt wird, werden hierbei auch Engpässe (fehlende „Nährstoffe“) beseitigt, die den wirtschaftlichen Schub auslösen.

Der letzte Zyklus war nach Nefiodov die Informationstechnologie (Bedürfnis nach Information), in dem leben wir noch heute, er geht aber dem Ende zu. Davor war zum Bsp. die Automobileindustrie und Petrochemie der treibende Faktor, er ermöglichte zum Bsp. individuelle Mobilität. Der davorliegende 3. Kontratieff war geprägt von Elektrotechnik und Innovationen in der Chemie (Energie), davor wiederum Eisenbahn und Stahl, der Transport ermöglichte und der erste mit der Basisinnovation Dampfmaschine (Kraft) und Baumwolle, Beginn der Industrialisierung.

Der kommende Zyklus wird sich, nach Nefiodovs Analysen,  um das Thema Gesundheit drehen.  Gesundheit im weitesten Sinne – auf körperlicher, sozialer, mentaler, ökologischer, kommerzieller und ethischer Ebene. Darum herum bauen sich Industrien, Produkte  und Dienstleistungen auf. Auch Gentechnologie und Biotechnologie wird dabei eine Rolle spielen. Es stehen also keine Maschinen und „harte“ Produktionsfaktoren mehr im Mittelpunkt sondern der Mensch  mit all seinen Bedürfnisse und Potenzialen. Hier entstehen unter Umständen ganz neue Berufsfelder, während andere verschwinden.

Womit wir wieder beim Anfang wären, bei Ihrer ersten Frage. Wenn es um die „Ressource“ Mensch geht müssen wir gewährleisten, dass der Mensch seine Fähigkeiten entwickeln und leben kann. Die Integration von Körper, Geist und Seele, von denen schon seit Jahrtausenden die Philosophen sprechen wird eine Rolle spielen, wie auch Industrien und Dienstleistungen rund um das Thema Freizeit, Unterhaltung, Erholung und Entspannung. Schon heute absehbare Trends in der Ökologie und erneuerbare Energien werden sich verbreitern.  Die Idee der Salutogenese (Antonovsky)  wird, so hoffe ich das der Pathogenese ablösen. Psychosoziale Gesundheit, Gesundheit als Lebenssinn, sowie Prävention statt Krankheitsbehandlung wird in den Mittelpunkt treten. Hier werden auch neue Jobs zu finden sein.

Der Zukunftsforscher  John Naisbitt  sagte dazu einmal sinngemäß: „Die neue Quelle der Macht ist Information in Händen von vielen und nicht Geld in Händen von wenigen“. Dabei geht es um den effizienten Umgang mit Informationen, wie können wir die gigantische Informationsmenge nutzen. „Wir brauchen keine Fließbandarbeiter und Patriarchen mehr in Zukunft, sondern „Wissens- und Bewusstseinsarbeiter“, Menschen, die ihr Wissen nutzen, einsetzen und teilen. Jeder kann dabei in seinem Berufsfeld arbeiten und wirken, seine Berufung einbringen, die SEIN ist.

Herzlichen Dank!

Mehr von und über Jürgen Kilb unter trainingnet.de.

 

Photo (oben): Tom Bech