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Gilbert hat Philosophie studiert, leitet nun die Personalabteilung einer Internetfirma, ist zudem ausgebildeter Coach und der Mann hinter dem absolut empfehlenswerten Blog „Geist und Gegenwart“, der sich unter anderem um die folgenden Themen dreht: Arbeit und Erfolg, Gehirn und Glück, Minimalismus und Ästhetik sowie Philosophie und Psychologie. Im myMONK-Interview spricht Gilbert darüber, wie wir uns selbst finden und trotz eines anstrengenden Berufslebens ausgeglichen Leben können.

Lieber Gilbert, herzlichen Dank für Deine Zeit, freu’ mich sehr, dass ich Dich für das myMONK-Interview gewinnen konnte. Wie geht’s Dir jetzt gerade, in diesem Moment?

Gern! Wie es mir geht? Jetzt um 22 Uhr? Gute Frage, denn wir reflektieren zu selten, was wir im Moment gerade fühlen. Ich bin gerade entspannt, etwas müde von einem anstrengenden Tag, aber immer noch so gespannt, was die letzten Minuten des Tages bieten werden.

Neben Deinem anstrengenden Job hast Du eine Coaching-Ausbildung absolviert. Warum war das wichtig für Dich?

Der Auslöser war ein Coaching, das ich selbst als Klient erleben durfte. Damals als angehende Führungskraft absolvierte ich einen Monate langen Business-Kurs und das damit einhergehende Coaching erlebte ich als extrem wertvoll, weil es mich mit mir selber konfrontierte und mich zur Reflexion anhielt. Hinzu kommt, dass ich als Student immer schon nach praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Philosophie suchte. Im Coaching muss man vor allem Fragen stellen können und da kommt die Philosophie schließlich her. Sie zielt mit den Fragen ganz wesentlich auf ein Erkennen des Selbst im Kontext der Welt und der anderen Menschen. Warum soll man das nicht im Alltag, in Familie und Beruf nutzen? Eine philosophische Praxis mit Techniken des Coachings füllt für mich diese Lücke zwischen Geisteswissenschaft und Individuum im Alltag.

Was sind die häufigsten Träume derer, die für ein Coaching zu Dir kommen?

Alpträume, haha. Naja, nicht ganz, aber dazu muss man wissen, dass Coaching für mich vor allem in beruflichen Zusammenhängen stattfindet. Die “Träume” sind da erst mal, das Projekt XY erfolgreich durchzukriegen, einer Beförderung zuzuarbeiten oder die Führungskompetenz auszubauen, sprich: das Team “in den Griff” zu bekommen. Interessanterweise bleibt es bei den Coachings jedoch selten auf dieser Ebene. Besonders bei Coachings, die über Wochen gehen, schimmert schon beim zweiten oder dritten Treffen die wirkliche Leidenschaft durch. Menschen sind nur bedingt fähig, sich zu spalten in Arbeits- und Privatperson. Sie wollen sich als Gesamtheit verstehen und einbringen und stoßen dabei häufig auf einen Traum, der nicht ganz vereinbar ist mit ihrer Arbeit. Nicht selten höre ich von der Selbstverwirklichung, sei es durch Arbeit, die anderen wirklich hilft, sei es durch mehr Zeit für Familie oder durch einen kompletten Ausstieg in ein anderes Leben. Es gehört zu den Risiken des Coachings, dass Klienten re-priorisieren und plöztzlich steht nicht mehr die Frage im Zentrum, wie das Projekt XY zum Erfolg gebracht werden kann sondern, wie der Einstieg in ein neues Leben gelingen kann. Da staunt dann der Chef nicht schlecht.

Was ist dein Rezept für ein Leben in Ausgeglichenheit und Zufriedenheit?

Erst einmal: Das ist ein hoher Anspruch. Ich versuche, mich nicht zu sehr unter Duck zu setzen, ein Leben in Ausgeglichenheit und Zufriedenheit zu führen. Es fällt nicht leicht, aber ich arbeite daran, auch Spannungen, Stress, Frust und Kummer zu akzeptieren. Denn – ob wir wollen oder nicht – leben heißt immer auch leiden. Und das nicht akzeptieren zu können, ist für viele eine Quelle von Stress. Trotzdem habe ich so meine Rezepte für Augleich: Sport, Tee trinken und sich auch nach der Arbeit kreativ zu beschäftigen. Klar, sehe ich auch oft mal eine Fernsehshow oder einen Film, aber Medien nur zu konsumieren, macht mich unglücklich, ich muss auch produzieren, zum Beispiel schreiben. Das gibt mir ein Gefühl von Selbsterfüllung und Aussenwirkung. Wir dürfen den Drang nach Anerkennung durch andere nicht unterschätzen. Gut, wenn man das verbinden kann mit einem Talent oder einer Leidenschaft.

Leitspruch von „Geist und Gegenwart“ ist: „Erkenne dich selbst. Der Rest kommt (fast) von allein“. Hattest Du diese Einstellung schon immer, oder hat sie sich entwickelt?

“Erkenne dich selbst!” ist der uralte Leitspruch der Priesterinnen des Orakels von Delphi. Eine Art Ausgangspunkt jeder Philosophie und jeder Selbstentwicklung und zum Beispiel auch der Grundgedanke der Philosophie von Hegel und der Psychoanalyse Freuds. Aber noch grundsätzlicher: Kinder fangen erst dann an, die Welt mit ihren Beziehungen und Abhängikeiten zu verstehen, wenn sie sich selbst im Spiegel erkennen und sich als von der Mutter getrennte Wesen begreifen. Diese Entwicklung des Menschen hört eigentlich auch für uns Erwachsene nie auf. Je besser wir uns selbst kennen, desto geschmeidiger finden wir uns in der Welt zurecht. Am Ende wird alles ganz einfach. Das hoffe ich jedenfalls.

Der zweite Satz vom Rest, der (fast) von allein kommt, ist natürlich etwas ironisch, denn es ist verdammt schwer, sich selbst zu erkennen. Einigen von uns fällt es leichter, als anderen. Zum Beispiel haben introvertierte Personen oft einen besseren Zugang zu ihrer Innenwelt, als extravertierte. Streng genommen, können wir uns nicht vollständig selbst erkennen, weil uns immer die Objektivität fehlen wird. Ein gewisses Maß an Unkenntnis und Verblendung uns selbst gegenüber ist auch wieder wichtig, um nicht zu verzweifeln. Also: Natürlich ist diese Einstellung nicht auf meinem Mist gewachsen, aber sie passt sehr gut zu mir und meiner Beobachtung, dass es mir dann besser geht, wenn ich ein höheres Level an Selbsterkenntnis erreicht habe. Wenn uns das gelingt, streiten wir uns weniger, ärgern uns weniger, sind weniger enttäuscht, weniger anmaßend und kommen generell besser mit anderen und uns selbst zurecht.

Wie können wir uns selbst erkennen, gibt es dafür eine gute Übung?

Für mich war es früher das Tagebuch: Etwas aufzuschreiben, von dem ich überzeugt war und es dann ein paar Monate später wieder zu lesen und zu denken, wie peinlich ich war oder was für ein Mist ich geschrieben habe. Das war mein Spiegel an dem ich mich reflektiert habe und der mir vor Augen geführt hat, wie ich mich selbst weiter entwickle. Außerdem ist das Schreiben für mich ein Prozess des Denkens. Das Tagebuch hat mich also zum Denken verleitet. Andere Übungen sind: Allein sein, spazieren gehen, Selbstgespräche führen, ganz genau darauf achten, was man sich selbst einredet, ob und wie man seine Umwelt bewertet. Für mich ist immer wieder besonders schwer, einfach nur da zu sitzen, der Umwelt zu lauschen und zu versuchen, an nichts zu denken und nichts zu verurteilen. Das gelingt mir kaum, aber dafür kann ich mir selbt beim Denken und Wahrnehmen zusehen. So lernt man sich kennen. Außerdem: Reflektieren, was am Tag passiert ist, aber ohne sich oder andere dabei zu verurteilen! Dieses Urteilen über sich selbst und andere ist eines der größten Unglücke, die wir uns antun. Wir müssen aber nicht zu allem eine Meinung haben! Dinge einfach mal geschehen lassen und als Phänomene einfach nur wertfrei betrachten, das ist eine große Übung fürs ganze Leben.

Auf Deiner Website kann man über eines Deiner wichtigsten Ziele lesen: vom Schreiben und Coachen gut leben können, und viel Zeit in und mit der Natur zu verbringen. Was sind die nächsten Schritte für Dich auf dem Weg zu diesem Ziel?

Ehrlich – ich habe keinen Schimmer, ob das so gehen wird und mit einander vereinbar ist. Wenn es ums Geld geht, habe ich bisher immer eins erlebt: Es erkauft dir in unserer Gesellschaft Freiheit und Unabhängigkeit, wenn man weiß, wie man damit umgehen kann. Um nun die Freiheit und Unabhängigkeit zu haben, das machen zu können, was ich möchte, werde ich wohl noch einige Jahre arbeiten müssen. Dabei muss ich auf meinen Lebensstil aufpassen. Der größte Fehler, den alle Möchtegern-Aussteiger machen, ist kontinuierlich den Lebensstandard hochschrauben. Dadurch finden sie nie den Absprung, weil sie in dieser Mühle gefangen sind, wo sie ein gleichbleibendes oder gar steigendes festes Einkommen benötigen, um ihren Lebensstandard zu halten. Ich bin ein Glückskind… oder anders formuliert: Wenn sich Chancen ergeben, dann ergreife ich sie. Das ist die eine – fast fatalistische – Hälfte meines Plans. Die andere Hälfte ist: Meine Interessen weiter ausbauen, sie nicht vernachlässigen und sie nicht zu sehr als Mittel zum Zweck zu sehen, sondern als Zweck insich. Diese zwei Hälften zusammengenommen ergeben dann hoffentlich ein Ganzes, das mir entspricht.

Kannst Du drei Bücher empfehlen, die Dich besonders nachhaltig beeindruckt haben – und uns berichten, was Du aus ihnen gelernt hast?

Das erste Buch überhaupt, das mich so beeinflusst hat, dass ich es heute noch weiß ist Hans Falladas Der freche Dachs Fridolin. Mein Vater hat es mir immer wieder vorlesen müssen, bis ich selber lesen konnte und es wieder einige Male gelesen habe. Ich weiß nicht, was ich gelernt habe, aber es hat mich für die Natur sensibilisiert und für das kleine Glück im Leben – Familie, Freunde, Haustiere. Und es hat mich stark verwurzelt mit der Region aus der ich komme – Berlin/Brandenburg.

In meiner Jugend hat mich Phillipe Djian extrem beeindruckt. Seine Bücher wie Betty Blue oder Verraten und Verkauft haben mich gelehrt, dass es wichtiger ist, wirklich zu leben, als das eigene Leid zu verhindern. Leben geht nicht ohne Risiko und nicht ohne den unbedingten Willen, radikal zu sich selbst zu stehen. Auch lieben heißt leiden, menschliche Gefühle sind ein furchtbares Geflecht, ein tiefer Sumpf und nur, wer sich da hinein wagt und im Dreck wühlt, kann wirklich leben. Ich wollte das lange nicht wahr haben, inzwischen weiß ich, dass Djian Recht hat.

Auch sehr beeinflusst hat mich The Monkey Wrench Gang von Edward Abbey. Hier ist es mehr das anarchistische Element, dass mich fasziniert. Eine Gruppe von Leuten liebt ihre Heimat, das Wasser, die Tiere, die Wüste und wehrt sich gegen Industriekonzerne, die diese Heimat ausbeuten und zerstören. Eigentlich ist es doch das, was wir alle machen sollten: Uns wehren gegen die wenigen, die unsere Lebensgrundlagen zerstören. “Mach kaputt, was dich kaputt macht!” Ich schäme mich oft dafür, dass ich so ein Opportunist geworden bin und mich nicht restlos wie z.B. Paul Watson von den Sea Shepherds für meine Überzeugungen einsetze. Ich versuche aber eine gewisse Restradikalität mit in mein Alltagsleben zu nehmen. Ich versuche, mich nicht bestimmen zu lassen und da meinen Mund aufzumachen, zu widersprechen und gegenzuhalten, wo ich meine Überzeugungen verletzt sehe.

Literatur ist etwas großartiges! Sie vermag Menschen zu ändern, ohne dass sie es darauf anlegt. Faszinierend.

Vielen Dank Gilbert, und liebe Leser: schaut euch www.geistundgegenwart.de an! (Dort gibt es übrigens auch ein Interview mit mir.)
Photo (oben): pjan vandaele