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Text von: Lena Schulte

Nicht heulen… Bloß keinen Aufstand machen… Sag irgendwas Schlagfertiges, aber lass Dir bloß nichts anmerken… Dir fällt nichts ein? Egal, heul nur nicht.

Das war so ungefähr mein Gedankengang, als mir eine Bekannte vorwarf, ein gar nicht mal so ansehnliches Knochengerüst zu sein, „bei dem allerhöchstens ein Hund mit dem Schwanz wedelte“. Ich war stinkwütend, ich hätte schreien können, aber stattdessen erstarrte ich zur Salzsäule, tat nichts und weinte lieber voller Selbsthass zu Hause.

Aber kein Mitleid, ich kann auch anders. Wechseln wir in eine Szene ein paar Jahre später: Jetzt schreie ich wirklich. Menschen bekommen Angst vor mir (Kinder hätten geweint und wären von ihren Müttern schnell in Sicherheit gebracht worden). Ich habe eine Nachricht einer Freundin bekommen, die ich so daneben finde, dass ich völlig austicke und vor lauter Wut fast mein Handy gegen die Wand schleudere. Doch ich behalte es in der Hand und tippe in meiner Wut eine Antwort, die durch meine schonungslose Wortwahl unsere lange Freundschaft beendet.

Die Wege der Machtvergabe

Sowohl der Mauerblümchen- als auch der größte Furienmoment meines Lebens haben eins gemeinsam: Beides waren unkontrollierbare Abwehrreaktionen auf Verhaltensweisen anderer Menschen, die ich unbewusst für besser, klüger, selbstbewusster, beliebter und intelligenter als mich hielt. Das war so ein bisschen der Fetisch meiner Jugend, wirklich jeden liebenswerter als mich zu finden. Und somit hatte ich anderen Menschen einen großen Teil meines Lebens und meiner Gefühlswelt vermacht. Meine Gefühle waren Spielball für jedermann.

Ein unrealistisches, negatives Selbstbild ist ein Weg, um anderen ganz unbewusst mehr Macht über die eigene Gefühlswelt zu geben. Fremdbestimmung kann sich jedoch noch subtiler zeigen und so banal sein, dass man es kaum mitbekommt. Neben den Klassikern wie dem Verzicht aufs Verzeihen oder dem Verzicht aufs Grenzen setzen, erklärt die Psychotherapeutin Amy Morin, dass wir bereits ab einem anderen Zeitpunkt unsere Macht abgeben: Wenn wir über Leute reden, die wir gar nicht mögen.

Gut, Hand aufs Herz, ein wenig Dampf ablassen tut manchmal schon gut. Allerdings…Wie schnell wird bei mir aus einem Bisschen eine halbe Stunde? Oder mehr? Das ist nicht nur schlecht fürs Karma und relativ wenig lösungsorientiert – es ist auch eine halbe Stunde, die nun auf meiner Lebensuhr für immer verloren ist. Investiert für einen Menschen, den ich nicht einmal mag.

Bitte, bitte, liebt mich, ich mache alles dafür

Das Ganze kann man natürlich noch weiter treiben. Also gleich mal ein paar Monate oder Jahre dafür verschwenden, den Mitmenschen zu beweisen, dass man doch mehr wert ist, als sie zu erkennen im Stande sind. Stundenlanges Posen für die Kamera, um mit diesem einen perfekten Foto in den sozialen Medien zu glänzen. Endloses Bemühen und Abrackern im Job, damit beim nächsten Klassentreffen alle anerkennend „Mensch, Du, der Jürgen, der hat’s aber echt geschafft“ murmeln. „Hättest Du das von dem Dreikäsehoch von damals erwartet?“

Kränkungen können oft ein Startschuss für Veränderungsprozesse sein – und das ist so an sich auch nichts Bedenkliches und kann sogar sehr positiv und heilsam sein. Es ist jedoch Vorsicht geboten, wenn die Kränkung unser Leben und unsere Entscheidungsfreiheit in den Schwitzkasten nimmt. Und wir wie ein Junkie nach Anerkennung suchten, um endlich von den Schmerzen in uns erlöst zu werden.

Kurz gesagt, wir geben anderen zu viel Macht, wenn:

  1. Sie mit ihrem Verhalten das Schlechteste in uns zum Vorschein bringen
  2. Wir in ihrer Gegenwart nicht in der Lage sind, gesunde Grenzen zu setzen und für uns einzustehen
  3. Wir ihnen nicht verzeihen können oder wollen
  4. Wir sie für unsere Entscheidungen verantwortlich machen
  5. Wir unsere Zeit dafür investieren, über sie zu lästern und uns über sie aufzuregen
  6. Wir unsere Entscheidungen übermäßig danach ausrichten, hoffentlich zu beeindrucken und bewundert zu werden

Was können wir tun, wenn wir ein ungleiches Machtgewicht in unseren Beziehungen bemerken? Erst einmal durchatmen. Gänzlich unabhängig von der Meinung und Anerkennung anderer zu sein, ist Wunschdenken – und würde uns wahrscheinlich auch zu ziemlich kalten Wesen machen.

Eine gute Atemübung, die mir langfristig geholfen hat, mich schnell zu mir zu holen, sieht folgend aus:

Nimm ein paar tiefe Atemzüge. Versuche, mit jedem neuen Atemzug jegliche Anspannung etwas mehr aus dem Gesicht wegzuatmen. Bis sich Dein Gesicht weich und entspannt anfühlt. Es kann dabei hilfreich sein, den Mund etwas zu öffnen und den Unterkiefer leicht vor oder zurückzubewegen.

Es ist schwierig, mit einem entspannten Gesicht den restlichen Körper für Anspannung zu begeistern. Je schneller wir unser Gesicht entspannen können, desto schneller kommen wir wieder zu uns selbst.

Verantwortung übernehmen

Wenn wir uns dabei erwischen, zu viel Macht über unser Leben abzugeben, dann hilft nur: raus aus de Opferhaltung und immer wieder aufs Neue Verantwortung übernehmen. Das lässt sich üben. Ich habe es an der Zeit geübt. Davon hatte ich nämlich immer viel zu wenig. Sooo viele Verpflichtungen, die ich machen muss. Für einen Monat habe ich jedoch Verantwortung für meine Zeit übernommen und sie mir wieder zu eigen gemacht. Ein Tagesablauf fällt in der Regel nämlich nicht mit lautem Getöse vom Himmel, sondern ist die Konsequenz, die unsere Entscheidungen und das Setzen unserer Prioritäten nach sich zieht.

Ich glaube inzwischen fest daran, dass es wenig Dinge gibt, die wir wirklich müssen. Manchmal ist es wichtig, zu verstehen, dass Pflichtgefühle eben nur Gefühle sind, die aus Erwartungen entstehen. Aber sie sind keineswegs Ketten – selbst wenn sie sich manchmal so anfühlen. Wir können uns aber entscheiden, ob wir dem Pflichtgefühl nachgehen oder nicht. Nur, weil uns die Konsequenzen unserer Entscheidung nicht gefallen, bedeutet es nicht, dass wir keine Wahl haben. Wir müssen Omi nicht pflegen. Aber es wird eine Konsequenz haben. Unangenehme Konsequenzen sind jedoch kein Zwang, sondern nichts weiter als ein Ergebnis unserer Entscheidungen.

Keine Ausreden

Ja, ich habe andere über mich gestellt, und ja, dadurch hatten sie Macht über mich und meine Gefühle – aber dass ich mich damals wie eine Furie verhalten habe, war nicht die Schuld meines kümmerlichen Selbstwertgefühls. Mein Selbstwertgefühl ist allerhöchstens eine Erklärung dafür. Ich habe die Nachricht geschickt, weil ich sie in diesem Moment schicken wollte. Punkt. Manchmal denken wir, wir können nicht anders handeln. Aber wir können nicht von anderen ernstgenommen werden wollen, wenn wir uns selbst nur in den Momenten für voll nehmen, in denen wir uns gerade selbst gefallen.

Wenn wir uns fremdbestimmt fühlen, dann wird es Zeit, uns um den Rettungsring zu kümmern. Wie kann unser Leben in Zukunft auch besser werden, wenn wir lieber weiter in einem Meer von Ausreden treiben? Ein schlechtes Selbstwertgefühl heilt kaum von allein – doch wahrscheinlich heilt es, wenn wir uns Schritt für Schritt selbst auf den Grund gehen. Uns immer wieder bei schädlichen Verhaltensweisen ertappen und kleine Änderungen vornehmen, die zu neuen Erfahrungen und einem neuen Glauben an uns selbst führen.

Der Tag wird nicht mehr als 24 Stunden haben, aber wir können unsere Prioritäten überprüfen und Entscheidungen treffen, wer und was unsere Zeit in Anspruch nehmen darf.

Wir können uns in einem Gehege voller Groll einsperren, und unsere früheren Verletzungen immer wieder im Geiste durchleben. Oder wir suchen uns Hilfe, um zu lernen, verzeihen und nach vorne blicken zu können.

Wir können lernen, dass wir anderen nicht ausgeliefert sind. Wir können erleben, dass unser Leben uns gehört. Und dann sehen wir in kritischen Situationen irgendwann vielleicht auch mehr Entscheidungsmöglichkeiten als Salzsäule oder Furie.

Photo (oben): Albert Dobrin, Lizenz: CC BY 2.0