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Text von: Lena Schulte

Weißt Du, was eine Emotion ist? Ich dachte, ich wüsste es. Ein anderes Wort für Gefühl. Aber das stimmt so nicht. Und das hat große Auswirkungen.

Ein Gefühl, so Psychologen, ist eine unmittelbare Wahrnehmung wie Hunger, Schmerz oder Lust. Emotionen hingegen sind Produkte unseres Fühlens, die durch Gedanken, Erwartungen, Vorstellungen und Einstellungen entstehen.

Wenn wir nach den Ergebnissen gehen, die die Psychologin Lisa Feldman Barrett in ihrem Buch „How Emotions are made“ verschriftlicht hat, dann sind Definitionen noch das kleinste Problem. Vier Meta-Analysen aus den letzten zwei Jahrzehnten Forschung zu Emotionen und dem autonomen Nervensystem (von denen die größte Analyse immerhin mehr als 22.000 Testpersonen umfasst), kommen nämlich zu einem interessanten Ergebnis: Unsere Emotionen sind gar nicht universell. Unsere Emotionen sind auch nicht fest in uns verankert. Emotionen sind erlernte Konzepte. Und Emotionen sind kulturabhängig. Sie variieren sogar unter den Menschen einer Kultur.

Nur was soll das bedeuten, wenn eine Emotion ein Konzept ist? Ist sie dann gar nicht real? Barrett erklärt es sinngemäß so:

„Utku Eskimos haben keinen Begriff für die Wut. Die Tahitianer haben keinen Begriff für Traurigkeit. Das ist für die Menschen aus der westlichen Kultur sehr schwer zu akzeptieren… Ein Leben ohne Wut oder Traurigkeit? Ernsthaft? Wenn Tahitianer in einer Situation sind, die wir als „traurig“ bezeichnen würden, fühlen sie sich krank, beunruhigt, müde oder un-enthusiastisch. All dies wird von ihrem breiteren Begriff pe’ape’a abgedeckt.“

Andere Länder, andere Gefühlssitten

Andere Kulturen haben Emotionskonzepte, die wir gar nicht kennen. Wie die Japaner, die „arigata-meiwaku“ fühlen, wenn ihnen jemand einen ungebetenen Gefallen getan hat, der sie vielleicht sogar in Schwierigkeiten gebracht hat und sie dennoch dafür dankbar sein müssen. Oder das norwegische Konzept für die intensive Freude beim Verlieben, das den Namen „Forelsket“ trägt. Obwohl wir vielleicht „arigata-meiwaku“-Momente kennen, fühlen wir uns nicht „arigata-meiwaku“ – weil uns dieses Emotionskonzept nie beigebracht wurde. Die damit verbundenen Situationen nehmen in unserer Kultur eben anscheinend keinen allzu großen Stellenwert ein, dass sie eigens einen Namen bräuchten (obwohl ich doch stark dafür bin das Wort „olfrygt“, das bei den Wikingern die Angst vor der Bierknappheit beschreibt, in unseren Wortschatz aufzunehmen).

Wenn das Gehirn „arigata-meiwaku“ nicht kennt, wird es nicht spezifisch so reagieren und die entsprechende Emotion bleibt aus bzw. wird zu einer anderen. Wir sammeln in unserer Kultur bestimmte Erfahrungen, etwa, dass „Traurigkeit“ das ist, was auftritt, wenn bestimmte körperliche Signale (Gefühle) mit einem schrecklichen Ereignis zusammenfallen. In ähnlichen Situationen kann unser Gehirn diese Emotion wieder rekonstruieren.

In Bezug auf emotionale Intelligenz bedeutet dies: Je weniger Emotionskonzepte wir kennen, desto karger sieht es in unserer emotionalen Intelligenzlandschaft aus. Wer seine Gefühlswelt und die riesige Palette an Situationen, in denen sie auftreten, lediglich mit „Mir gehts gut“ und „Mir gehts schlecht“ oder „Ich bin gestresst“ oder „Naja, muss!“ beschreiben kann, der wird auch kaum etwas anderes erfahren. Und hier kommt die Sprache ins Spiel.

50 Shades of your Gefühlswelt

Nehmen wir an, Evas geliebter Ferrari 700y Turbo (Limited Bitcheskiller Edition) klappert und sie müsste ihn in die Werkstatt bringen – und der Mechaniker käme lediglich mit der offensichtlichen Diagnose „Ist kaputt“ um die Ecke. Würde sie das einfach so hinnehmen? Würde das irgendwer hinnehmen, der sein Auto liebt? Oder wenn der Arzt nach dem MRT nichts weiter sagt als: „Ganz eindeutig…Sie haben da eine Krankheit in Ihrem Körper“? Natürlich nicht, wir würden schon gerne wissen, nein, wir würden auf jeden Fall erwarten, dass man uns genau und bis ins kleinste Detail verständlich erklärt, was Sache ist. Warum diese Vehemenz, Genauigkeit und Fürsorge nicht mal an den Tag legen, wenn es um die Beschreibung der eigenen Gefühlswelt geht?

Je mehr Mühe wir uns geben, unsere Gefühle und ihre Nuancen voneinander zu unterscheiden, desto breiter wird unsere Gefühlspalette und umso emotional intelligenter werden wir.

Es ist ein Unterschied, ob wir uns lediglich „gut“ fühlen, oder ob wir innerhalb von „gut“ sprachliche Verfeinerungen finden, wie fröhlich, begeistert, elektrisiert, berauscht, inspiriert, erquickt, voller Hoffnung, selig oder energiegeladen. Genau so macht es ein Unterschied, ob wir traurig darüber sind, weil der Magen vor lauter Leere schon brüllt und die Kellnerin uns dann ein viel zu kleines Gericht auf den Tisch stellt, oder ob wir traurig sind, weil wir gerade die Liebe unseres Lebens verloren haben.

Wenn wir bestehende Konzepte für bekannte Emotionen für uns sprachlich genauer ausdifferenzieren und unser Gehirn dadurch mehr Ausdrucksformen kennt, hat es viel mehr Möglichkeiten, die Emotionen zu kategorisieren – und passender auf sie zu reagieren. Je genauer wir in der Lage sind, zu erkennen, was wir wie fühlen, desto konstruktiver können wir damit umgehen.

Ab ins Bett, mein Kind, du bist schon wieder besoffski

Barrett schreibt weiter: Menschen, die oft depressiv oder ängstlich sind, haben oft eher wenig verschiedene sprachliche Ausdrucksformen für negative Emotionen. In einer Sammlung wissenschaftlicher Studien kam heraus, dass Menschen, die ihre unangenehmen Gefühle differenziert benennen können, 30 Prozent flexibler sind, wenn es um die Regulierung ihrer eigenen Emotionen geht. Sie trinken weniger, sind weniger gestresst und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aggressiv gegenüber anderen benehmen, die ihnen weh getan haben, ist auch geringer. Weil sie ihre Gefühle sinnvoller verarbeiten können.

Nimm Dir also Zeit, Deine Gefühle so genau wie möglich zu beschreiben und zu unterscheiden. Dafür brauchen wir einen feinfühligen Wortschatz, aufgefüllt mit verschiedenen Emotionswörtern.

Und wenn es kein passendes Wort für eine bestimmte Gefühlssituation gibt? Auch kein Ding!

Es sind unsere Gefühle, das heißt, wir dürfen ihnen auch eigene Namen geben. Ich zum Beispiel bin meistens nur am Ende eines entspannten Tages müde, wenn mein Kopf frei ist und ich friedlich zu Bett gehen kann. Müde ist ein weiches, süßes und entspanntes Konzept für mich und passt überhaupt nicht zu dem wackeligen, erschlagenen, halbtoten Gefühl, das ich nach einem anstrengenden Arbeitstag habe. Denn da fühle ich mich (völlig unabhängig vom Konsum irgendwelcher Flüssigkeiten) hochgradig besoffski. Das ist noch kein Geniestreich oder ein wirklich neues Wort, aber es ist mein Wort, mein eigenes Konzept für meine eigene Empfindung.

Manche Empfindungen kennen wir beinahe alle, wie zum Beispiel diese Angst aufzufliegen, wenn wir eine Höflichkeitsnotlüge zum Besten geben … und leider irgendwie nur halbwegs überzeugend klingen. Oder diese falsche Hoffnung, die wir immer wieder ganz aufrichtig verspüren, wenn wir uns abends vornehmen „morgen wirklich mal anzufangen“. Gefühlskonzepte, also Emotionen, zu benennen, macht sie realer, greifbarer, leichter zu verstehen.

Das emotionale Genie kann viele verschiedene Emotionen auch verschieden benennen; weiß punktgenau, wie es ihm geht.

Das emotionale Genie lernt seine Seelenlandschaft zu beschreiben und seinen inneren Goethe dafür zu erwecken.

Mehr unter 60 Wörter, die Dein Seelenleben reicher machen.

Photo: Woman in thought von Nadino / Shutterstock