Teile diesen Beitrag "Warum wir uns verlieben (und warum wir dazu frustriert sein müssen)"
Liebe ist Verlangen und Enttäuschung, Heimat und Vertreibung, Knistern und Stromschock. Liebe ist Händchenhalten und Würgegriff, Schmetterlinge im Bauch und Maden, leuchtendwarmer Tag und finsterkalte Nacht.
Unterm Strich eine schöne, aber auch ziemlich schmerzhafte Angelegenheit.
Da drängt sich doch die Frage auf:
Warum – und wie – verlieben wir uns eigentlich, was steckt dahinter?
Verliebt in eine Fantasie
Der britische Psychoanalytiker und Autor Adam Phillips schreibt in seinem Buch Missing Out: In Praise of the Unlived Life von der paradoxen Psychologie des Verliebens.
Grundlage ist: Wir verlieben uns nicht nur in die andere Person, sondern auch und vor allem in das Bild, das wir von ihr haben. In eine Fantasie, die wir haben. Eine Fantasie, wie der Andere uns das geben kann, was uns im eigenen Innenleben fehlt.
Alle Liebesgeschichten sind Geschichten von Frustration, schreibt Phillips. Sich zu verlieben heißt, an eine Frustration erinnert zu werden, an das, was man tief in sich vermisst hat, was man wollte, brauchte, vielleicht nur unbewusst (jeder von uns trägt wohl solche Löcher in sich mit sich herum). Es ist, als hätte man auf jemanden gewartet, aber nicht gewusst, auf wen … bis er plötzlich auftaucht.
So vertraut …
Laut Psychoanalyse haben wir vom Anderen geträumt, bevor er in unser Leben trat. Den Traum backten wir aus früheren Erfahrungen, realen und vorgestellten, gewünschten. „Das ist er, der Mann meiner Träume“, „das ist sie, die Frau meiner Träume“, spüren wir dann deshalb so deutlich, erkennen ihn oder sie deshalb so klar, weil wir die Person – bzw. das Bild, das wir von ihr haben – bereits kennen.
Wir haben gewissermaßen auf diesen Menschen gewartet, und wenn er kommt, ist es, als wären wir schon ewig vertraut mit ihm und gleichzeitig ist er neu, fremd, und diese Spiele aus Vertrautheit und Fremdheit, aus quälender Abwesenheit und erlösender Anwesenheit des Anderen erzeugen eine Spannung, die wir Verliebtsein nennen.
So frustriert …
Ganz egal, fährt Phillips fort, wie lange wir von diesem Menschen geträumt hatten, auf ihn gehofft, ihn herbeigesehnt hatten, werden wir ihn erst wirklich vermissen, sobald wir ihn getroffen haben. Der Schmerz seines Fehlens – oder dessen, was uns in uns selbst fehlt, die volle Frustration wird erst durch sein Auftauchen geboren.
Wenn er dann da ist, fast in Reichweite oder auch meilenweit entfernt, spürt man also erst richtig und hundertfach deutlicher, was einem fehlte, was sich auf einmal anfühlt, als wäre es einem zuvor geraubt worden.
Wenn man zusammen ist, in der gemeinsamen Zeit, wird diese Frustration gestillt. Endlich ist dann das bei uns, was wir so sehr vermisst haben, und wir wollen mehr davon, mehr vom Anderen, mehr Befriedigung.
Das Verlangen wächst mehr und mehr und mit ihm die Frustration, wenn der andere abwesend ist. Dadurch entsteht ein Kreislauf aus immer mehr Verlangen, immer mehr Frustration und immer mehr Befriedigung, die Gefühle schwellen an und pochen lauter und lauter.
So ist das mit dem Verlieben also laut des Psychoanalytikers. Hätte ich mir nicht träumen lassen, aber ich find’s schlüssig. Wenn auch vielleicht nicht „magisch“ genug, wie das eben so ist, wenn wissenschaftliche Erklärungen auf kitschige Romantiker wie mich treffen (Rosen im Rundbett unter Spiegeln an der Decke; „I love you“ in den Schnee gepinkelt).
P.S.: Siehe auch Die 36 Fragen, die zum Verlieben führen und Die 8 Arten von Beziehung (Welche hast Du)?
Photo: Vincent Anderlucci
Klingt irgendwie total richtig, und absolut logisch. Das erklärt wirklich einiges. 😄
By the way: Toller Blog. Lese gerne und oft hier… Weiter so!
Liebe ist das schrecklich Schönste. .. 😊
Ja das ist der Kopf, der die Baustellen mit Wunschbildern zudeckt und dann HABEN WILL. Und wenn er was bekommt, will er wieder mehr haben – fürs Zudecken. Hört sich ja wie Konsumieren an.
Und wer hätte es nicht gedacht. Wenn wir was in uns öffnen, kann es weh tun. Besonders wenn wir uns dabei nicht selber helfen können. So sind es die Beziehungen mit dem Aneinander Reiben, die uns an uns arbeiten lassen und uns weiter bringen können.
Kling schlüssig – voll überzeugt bin ich davon allerdings noch nicht.
Hört sich alles logisch an. Vor allem, dass wir uns in eine Fantasie, in ein bestimmtes Bild von der Person verlieben wollen.
Trotzdem möchte ich mir weiterhin den Glauben an diese „magische“ Liebe aufrechterhalten. Es wird nicht wie im Märchen ablaufen, klar. Aber so ein bisschen kann man es sich ja wünschen;)
Liebe Grüße
Ina
Jahaha… „Love you“ in den Schnee gepinkelt 😉
nüchtern betrachtet ist Liebe dann Projektion. Man liebt das eigene Gefühl der Liebe. Es ist Kompensation, der andere soll dann einem was geben, um selbst kompletter zu werden. Alle Aufmerksamkeit gilt dann dem anderen und dem Gefühl in mir. Das kann nur die Liebe. Liebe, die nichts will, nichts erwartet, kein Handel ist, wer hat das schon erlebt…
Lothar
Sagen wirs mal so. Diese Darstellung sagt nicht alles über Liebe. Sie beschreibt vielleicht jenes illusionäre Lieben, das in Wirklichkeit die ich-bezogenen, von Bedürfnissen getragenen Gefühle betrifft. Illusionen, die der Kopf gebastelt hat und Bedürfnisse, die von Mängeln getrieben sind. Klar kann sich auch hiervon kaum jemand unberührt sehen. Die Bedürfnisse treten hervor und engen die Bewusstheit ein, so dass wir fast nichts anderes mehr sehen. Doch wir sollten dabei satter und heiler werden, so dass nach spätestens einem Jahr wieder „Normalität“ einkehrt. Ansonsten kann man das aus meiner Sicht krankhaft nennen.
Tritt dieses Extrem zurück, lebt vielleicht zunehmend die Liebe mit Bewusstheit beim anderen. Liebe, ohne haupsächlich selbst was zu wollen. AGAPE.
Nicht zu vergessen ist auch die sexuelle Liebe, die getragen wird von gegenseitiger Anziehung. Die unterschiedlichen feminin/maskulin Färbungen ergänzen sich zu etwas, das näher am Ganzsein ist und sich entsprechend gut anfühlt. Nach David Deida ist gerade diese Anziehung meistens entscheidend darüber, ob ein Paar länger als jene 1 bis 2 Jahre zusammen bleibt.
toller artikel! das buch gibt’s bisher nur auf englisch, oder? (hab nichts gefunden im netz)
Toll beschrieben, was Nichtliebe ist. Vollkommen exakt. Liebe ist aber etwas ganz anderes, dazu braucht man schon viel Lebenserfahrung und Selbstakzeptanz. Erst wenn alles brauchen aufhört, der andere völlig so genommen wird, ohne eine einzige Veränderung, mit seinen guten und schlechten Seiten, wenn wirklich alles so genommen wird wie es jetzt ist und ich immer das Gefühl habe ich liebe diesen Menschen einfach nur für sein SEIN, so wie er ist. Sowas habe ich nur einmal erlebt und ich danke Gott dafür, dass ich die Liebe erfahren durfte und immer noch erfahre.
Man ist dann im Zustand des Friedens angelangt und ruht in sich. Diesen Seins zustand kann man nicht erlernen, nur erfahren. Er stellt sich nach langer Zeit der Selbsterkenntnis von allem was ist ein.
Möglicherweise ist es auch die Begegnung der Dualseele, es ist etwas noch nie dagewesenes, was mit Worten nicht zu beschreiben ist. Wer es je erlebt, weiß was ich meine. Grüße von Corina
Ich weis was du meinst.
Ich denke, wir kennen diese Person ja schon, weil sie in uns die gleichen Gefühle hervorrufen wird, wie unsere Eltern, bzw. wir die gleiche Beziehung zu ihr haben werden, wie die, die wir mit unseren Eltern haben oder hatten. Oft tritt das erst später zutage, aber magischerweise weiß es ein Teil von uns schon vorher …