Teile diesen Beitrag "Ratschläge funktionieren nicht. DAS hier schon."
Text von: Romy Hausmann
Manchmal frage ich mich ernsthaft, woher der Ausspruch „Guter Rat ist teuer“ eigentlich kommt. Ratschläge gibt’s doch schließlich an jeder Ecke, zum Spottpreis oder sogar völlig umsonst. Irgendjemand lauert immer irgendwo, springt einen förmlich an und drischt einem ungefragt seine Weisheiten um die Ohren.
Da sind Freunde, die einen mit ihrer super organischen, gluten-, fett- und zuckerfreien Detox-Diät belästigen, während man selbst gerade beherzt in ein daumendick mit Nutella bestrichenes Weißbrot beißen will. Da sind Kollegen, die einem driiiiiingend empfehlen, das Kind in den Frühförderungs-Unterricht zu schicken („Also, wenn man nicht spätestens mit drei mit Alt-Chinesisch anfängt, ist der Zug halt auch abgefahren, ne?“). Das sind Coaches und Gurus – oft selbsternannt – die meine Facebook-Timeline mit Videos vollspammen, um mir endlich, endlich beizubringen, wie ich mein Leben überleben kann. Und als wäre das alles noch nicht genug, kommen dazu Zeitschriften, Fernsehmagazine und Werbeblöcke, nur so überquellend vor Anleitungen.
Iss dies und bloß nicht das.
Mach‘ diese Übung gegen Dein Rückenleiden („Aber ich hab‘ doch gar kein Rückenleiden!?“ – „Wirst Du aber bekommen, wenn Du die Übung nicht machst, wart‘ nur ab!“).
Befolge diese 90 Punkte beinhaltende Checkliste, wenn Du Karriere machen willst.
Trage diese Klamotten, diesen Haarschnitt, diese Anti-Faltencreme.
So flirtest Du richtig.
So liebst Du richtig.
So trennst Du Dich richtig.
Inzwischen sind meine Ohren schon vollkommen ausgeblutet und taub. Ich bin mürbe wie ein alter Keks und will einfach nur noch meine Ruhe. Zumal mir jeder ungefragte Ratschlag irgendwie das Gefühl gibt, ständig und alles einfach nur falsch zu machen (gut, im Flirten bin ich echt nicht so ne Eins, aber mein Haarschnitt ist doch eigentlich ganz okay).
Und vielleicht geht es Dir ja ab und zu auch so: Da sind Menschen, die Dir oft sogar nahestehen und es natürlich gut mit Dir meinen, wenn sie Dir ihre angeblichen Zauberformeln weiterflüstern. Aber mal ganz ehrlich: Wann in Deinem Leben hat ein Ratschlag, um den Du nicht mal gebeten hattest, wirklich dazu geführt, dass Du wie auf Knopfdruck Dein Verhalten geändert hättest? Wann hätte der passionierte Schnitzel-Esser nach dem Gespräch mit einem überzeugten Veganer das Besteck fallen lassen und in Tränen aufgelöst versucht, das tote Stück Fleisch auf seinem Teller wiederzubeleben? Oder der Gewohnheits-Raucher: „Hör auf zu rauchen, Du kriegst Krebs und Thrombose und Herz und Lunge und Falten und überhaupt.“ Wann hätte das jemals funktioniert? (Und selbst, wenn’s absolut stimmt, habe ich mir früher innerhalb solcher Diskussionen übrigens sehr gerne erst recht noch eine Zigarette angesteckt.)
Die Wahrheit ist doch: Ratschläge sind nur Worte. Und sie kommen witzigerweise oft von Leuten, die manch eigene Baustelle in ihrem Leben nicht so richtig im Griff haben – für andere aber das Patenrezept zu haben meinen. Was für eine Anmaßung eigentlich, oder?
Kurzum: Diese ganze Sache mit den Ratschlägen hakt. Selbst wenn wirklich mal ein brillanter dabei sein sollte, können wir ihn im Wust der anderen oft gar nicht mehr herausfiltern.
Und das ist schade. Denn natürlich können wir viel voneinander lernen. Uns Wertvolles von anderen aneignen und uns mit ihrer Hilfe weiterentwickeln. Doch dafür müssen wir uns frei fühlen und nicht bedrängt durch nerviges Besserwisser-Gelaber oder gefühlte Bevormundung.
Aber auch andersrum: Vielleicht hätten wir selbst Wertvolles weiterzugeben. Könnten jemanden bereichern, stoßen nun aber unsererseits auf taube, ausgeblutete Ohren.
Was besser funktioniert, als Ratschläge zu geben
Ich hatte mal eine Kollegin, die mir auffiel, weil sie in jeder Situation schon fast abartig ruhig blieb. Die so völlig bei sich zu sein schien. Und die ich anfing dafür zu beneiden, weil ich das genaue Gegenteil von ihr war: ein HB-Männchen mit verdammt kurzer Zündschnur. Es reichte schon, wenn die Kaffeemaschine in der Büroküche ausfiel – und ich startete durch. Ein Meeting, das sich um zehn Minuten verschob – und ich hasste meinen Tag. Eine Sendung, die miese Zuschauerzahlen einfuhr – und ich wollte sterben, sehr dramatisch und mit viel Geschrei. Diese Kollegin wird für mich immer die Königin der Ratschlags-Kunst sein – denn sie gab mir einfach keinen. Sie hätte mir ja einfach ungefragt empfehlen können, mich – genau wie sie es tat – mit Yoga und Meditation zu befassen. Gelegenheiten dazu hätte sie bei meiner Eskalations-Quote schließlich reichlich gehabt. Aber: Sie machte es nicht. Erst, als ich sie von mir aus darauf ansprach und meine Bewunderung darüber äußerte, wie unfassbar geerdet sie mir vorkam, rückte sie mit der Sprache raus. Sie stehe jeden Morgen um fünf auf, mache ein paar Yoga-Übungen, meditiere für eine Viertelstunde und trinke einen Tee. Das gebe ihr genügend Ruhe für den Tag. Ich war beeindruckt. Musste das ausprobieren. Immerhin schien mir meine Kollegin der lebende, atmende Beweis dafür zu sein, dass es funktionierte. Sie war mir ein Vorbild – und damit um Welten eindrücklicher als jedes Wort, jeder Tipp, jeder Ratschlag. Und vor allem: Hatte sie sich mir nicht aufgedrängt. Ich hatte sie mir als mein Vorbild selbst ausgewählt.
Die Tat schlägt das Wort – immer
Worte sind dehnbar, unterschiedlich zu interpretieren, manchmal mit begrenzter Halbwertszeit versehen und an anderer Stelle auch mal schlichtweg gelogen. Selbst wenn wir die gleiche Sprache sprechen, sprechen wir eben trotzdem nicht immer dieselbe. Wir können einander missverstehen, solange wir nicht fähig sind, in den Schädel oder das Herz unseres Gegenübers hineinzugucken (und dazu fehlt den meisten von uns im Alltag ja schlichtweg die chirurgische Ausbildung und das passende medizinische Gerät). Lassen wir also Taten unsere besten Ratschläge sein, denn die sind eindeutig. Seien wir Vorbild, leben wir, an was wir glauben, und inspirieren wir andere auf diese unaufdringliche Art. Wer sich dafür interessiert, wird auf uns zukommen und uns fragen. Und der Rat, den wir dann geben können, wird gewichtiger sein – bestenfalls ein richtiger, echter Impuls im Heuhaufen der hohlen Phrasen. Bei mir zumindest hat es funktioniert: Yoga und Meditation bereichern mein Leben bis heute und haben meine innere Zündschnur um einiges verlängert. Und nein, natürlich rate ich Dir jetzt nicht ungefragt, schleunigst auch damit anzufangen.
Mehr unter: Wie man mit gestressten Menschen reden kann (vermeide diese 2 Worte!) und unter Mund-Minimalismus: Achtsam sprechen oder einfach mal die Schnauze halten.
Photo: friends von Antonio Guillem / Shutterstock
Hallo Romy, du hast so recht. Vielen Dank für diesen tollen Artikel. Er bestätigt meine langjährigen Erfahrungen !
High Five, Thomas! 😀 Vielen Dank!
Liebe Grüße, Romy
Hallo Romy, hier mein kleiner Gedankengang zu Ratschlägen:
das mit den Ratschlägen kenne ich auch.. leider bekomme ich bei einer Freundin sobald ich etwas erzähle einen Ratschlag, wie ich es besser machen sollte. Das nervt mich leider sehr, weshalb ich beim letzten Gespräch meinte: „ich habe kein Problem, ich wollte es einfach nur erzählen.“ Ich weiss nicht genau wie ich in Zukunft damit umgehen kann, da ich mich nach solchen Situationen oft in mein Schneckenhaus zurückziehe und nichts mehr erzähle. Aber so einseitig sollten Freundschaften auch nicht sein. Ich frage mich, ob ich etwas an meiner Ausdrucksweise verändern sollte … eventuell liegt es daran 🙂
LG Valerie
Liebe Valerie,
wie Du es beim letzten Mal gehandhabt hast, finde ich sehr gut. Vielleicht muss man es auch genauso machen, damit es der anderen Person irgendwann einmal auffällt. Ich kenne die Situation nicht genau, aber vom Gefühl her würde ich sagen, DU musst gar nichts ändern und schon gar nicht an Die zweifeln.
Lass es Dir gut gehen, Valerie – Liebe Grüße,
Romy
Danke Romy 🙂
Liebe Romy,
Deine Texte lesen sich sooo angenehm!
Was mir dazu einfällt ist von Konfuzius:
„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“
Ich kenne dankbar auch einige Menschen, die durch ihr stilles Tun und Sein bei mir zumindest großen Eindruck hinterlassen. Ohne viel Trara, sondern sehr echt und authentisch. Mich haben diese Menschen nachhaltig inspiriert
Schönen Sonntag!
Liebe Johanna,
vielen Dank für das tolle Kompliment und auch das Zitat, das echt unheimlich gut zum Text passt!
Hab einen schönen Tag!
Romy
Hallo liebe Romy, jetzt habe ich beim meinem Kommentar zwei Beiträge durcheinandergeworfen: Deine Zeilen zu den Ratschlägen und Tims Podcast über die Frage, die meine wahren Träume zeigt. Das tut mir leid! Ich werde den obigen Beitrag „Lieber tim, vielen dank …“ kopieren und unter dem Podcast kommentieren. dann könntest Du meine beiden Kommentare hier löschen ?! Oder auch stehen lassen, wie Du magst. Alles Liebe auch Dir und DANKE für diese hilfreichen Hinweise zum Thema Ratschläge verteilen. Ich werde weiterhin üben, meinen Mund zu halten und zu warten bis ich gefragt werden … dann kann ich ja erzählen, wie ich was in meinem Leben gelöst habe.
Ist gar nicht schlimm, liebe Clara. Wir freuen uns, auch wenn’s durcheinander geht 😀
Viele Grüße
Romy
Dies ist ein interessanter Artikel auf einer Webseite, die an jeder Ecke vor Ratschlägen nur so überquillt….
🙂
Joa … und auf einer Seite, zu der Menschen ja aktiv kommen, weil sie Gedanken suchen. LG Tim
Da stimme ich zu. Dadurch, dass ich viel zu viel auf andere gehört habe, ist mir vieles aus dem Augen verloren gegangen und habe“ vor lauter Bäumen, den Wald übersehen “ . …
Es fühlt sich besser, keine Gifte mehr in Form“ du machst alles falsch…., oder so ist das leben…, oder aber“ du musst so und nicht anders..“ in sich zu nehmen. Schon merkwürdig, wie zufrieden ich seitdem mit mir/ in mir bin.
Danke für den tollen Text
Liebe Grüße
Ganz wunderbar, dass Du so weit gekommen bist, Ana, und auch merkst, wie gut Dir das tut! Vielen Dank für Deinen Kommentar! Liebe Grüße, Romy
Danke für diesen tollen Artikel!
Ich persönlich versuche Ratschläge nur zu verteilen, wenn ich auch danach gefragt werde. Und wenn ich meine, dass sich jemand total verrennt biete ich meine Hilfe oder meinen Rat an. Und warum? Weil ich auch gerne erst gefragt werde ob ich Hilfe oder Rat benötige.
Kann sein, dass ich besonders empfindlich bin, aber mich hat es schon immer in den Wahnsinn getrieben, wenn man mir Ratschläge gegeben hat, die meiner Meinung nach unnötig waren.
Gerne zum Beispiel beim Schneiden von Gemüse. Warum erklären mir Leute, wie ich die Tomaten zu schneiden habe? Ich bin 30, keine Köchin und bisher konnte ich noch keinen geschmacklichen Unterschied erkennen.
Beim Thema Ernährung oder Sport beglückwünsche ich mittlerweile nur noch die anderen Menschen, dass sie IHREN für SICH optimalen Weg gefunden haben. Dann betone ich so lange, dass jeder SEINEN eigenen Weg finden muss, bis sie ihre Ratschläge für sich behalten. (Klappt auch nicht immer, aber wenn 3 von 10 Menschen es verstehen, ist das doch auch schon mal ein Erfolg ;))
Liebe Grüße,
Ruth
PS: Also ich gehe gleich Schweinefleisch essen! Mit Pommes! Und mit Mayo! Und Salat. Und es wird fantastisch schmecken 🙂
Meine Güte, das HB Männchen lebt immer noch 😀
Hallo Romy,
danke für deinen inspirierenden Beitrag. Mir hat mal jemand gesagt, dass Ratschläge auch Schläge sind, wenngleich auch gut gemeinte.
Und damit komme ich ganz gut klar, wenn ich welche bekomme und gebe oder lieber sein lasse.
Liebe Grüße
Monika
…sehr schöner und wahrer Text..genau so ist es!! Ich habe mir angewöhnt meine eigenen Entscheidungen zu treffen und andere Ihre Entscheidungen zu treffen!! Wenn jemand einen Rat will…sehr gerne…ansonsten hilft zuhören!!
LG Tanja
Mh, partiell finde ich den Artikel ungewohnt schwarzweiß.
Nicht immer kommen Menschen von sich aus aus festgefahrenen Mustern raus. Und nicht immer haben sie den Mut oder auch schlicht die Idee, sich da mal mit anderen drüber zu unterhalten, weil „Das IST so, wie ich es sehe, Punkt.“ Wenn sie ihre Unzufriedenheit mehrfach offen kundtun, sage ich auch was dazu – wenn ich denn was dazu parat habe. Und da hat so manch offenes Wort schon geholfen, einen passenden Reiz zu setzen.
„Aber mal ganz ehrlich: Wann in Deinem Leben hat ein Ratschlag, um den Du nicht mal gebeten hattest, wirklich dazu geführt, dass Du wie auf Knopfdruck Dein Verhalten geändert hättest?“
Um schlagartiges Ändern gehts ja garnicht, das funzt nicht, schon garnicht nachhaltig. Siehe oben – Reize setzen, Denkanstöße geben. Ja, jeder Mensch hat andere Sichtweisen, und oft hilft genau das: eine andere Perspektive.
„Die Wahrheit ist doch: Ratschläge sind nur Worte. Und sie kommen witzigerweise oft von Leuten, die manch eigene Baustelle in ihrem Leben nicht so richtig im Griff haben – für andere aber das Patenrezept zu haben meinen. Was für eine Anmaßung eigentlich, oder?“
Nicht zwingend, da kommt es aufs „Wie“ an. Kein Mensch ist perfekt, viele haben „ihr Leben nicht im Griff“. Darf denn aber nur der einen Ratschlag zu einem Thema abgeben, der ALLES im Griff hat? Und selbst wenn jemand etwas zu einem Thema sagt, der selbst Probleme damit hat – vielleicht haben dann beide durch diesen Austausch was?
Natürlich gibt es sie, die notorischen Besserwisser, die einem zu allem und jedem ihre Meinung als DIE Patentlösung aufdrücken wollen.
Gefühlt wirfst du aber in diesem Artikel mehrfach auch all die Schattierungen zwischen diesen und den Schweigenden in einen „Laberköpfe“-Pott.
Und eben diese Menschen, die sich trauen, auch mal jemandem auf den Kopf zuzusagen, dass er sich verrennt, ihm etwas nicht gut tut, …, sind in meinen Augen Gold wert. Natürlich gesetzt dem Fall, derjenige tut wiederholt kund oder man merkt es an seinem Verhalten, dass er mit etwas unzufrieden, unglücklich, von etwas angespannt, verängstigt … ist.
Damit haben Menschen bei mir schon Wunderbares bewirkt & ich habe so manchen Denkanstoß geben können.
Man nehme z.B. einen Schlag Mensch, der mir im Leben schon das ein oder andere Mal begegnet ist: introvertiert, in spezifischen Bereichen sehr begabt. Sich in diesen Bereiche wegschmeißend, auch teils unter Ausnutzung des Umfelds. Das ist die sachliche, wunderbar emotionsfreie Komfortzone, da wird das Ausnutzen garnicht wahrgenommen. Im Emotionalen bei Unzufriedenheit jedoch schweigend, aber anstauend, bis derjenige es nicht mehr aushält – und dann explodiert, was zu enormer Unzufriedenheit aller Beteiligten führt. Sehr krass erst recht, wenn da noch Kinder mit im Spiel sind.
Diese Menschen habe ich sehr sehr selten von sich aus andere um Rat bittend erlebt in Bezug aufs Rauskommen aus der festgefahrenen Situation, auch wenn ihnen ihre Unzufriedenheit aus jeder Pore quillt. Sie stellen vielleicht anderen Gegenüber fest, DASS sie unzufrieden sind, geben auch an, dass dieser und jener eigene Wesenszug das mit begünstigt, sehen sich aber nicht eben selten als „Opfer der Situation“, den Auslöser fürs eigene Verhalten & die schwierige Situation im Umfeld. A la „Was soll ich tun? Ich habe es nicht in der Hand.“ Diese Menschen schaffen es ohne proaktive äußere Impulse kaum, ihren festgefahrenen Zustand wirklich zu reflektieren, geschweige denn, da rauszukommen.