Teile diesen Beitrag "Warum Du Dich nach großen Erfolgen so leer fühlst"
Text von: Romy Hausmann
Seit zehn Jahren schreibe ich Romane, seit zweieinhalb Jahren für myMONK.de. Dabei fließt das eine ins andere (vom erfolglosen Schreiben, den vielen Absagen und den Dutzenden in dieser Zeit begonnenen, verworfenen, verfluchten Manuskripten habe ich an dieser Stelle oft berichtet), und das andere (myMONK.de) war einer der wenigen Gründe, warum ich nicht einfach irgendwann aufgehört habe mit dieser unfruchtbaren und zehrenden Roman-Sache.
Warum?
Weil ich mich sonst falsch gefühlt hätte, wie eine Lügnerin, eine Wasser predigende, in Wirklichkeit Sekt saufende Wanderpredigerin, die Dir vom Weitermachen, vom Nicht-Aufgeben, vom Glaube-an-Deinen-Traum erzählt – und es selbst nicht tut. Wobei sie, wenn sie mal ehrlich ist, insgeheim oft nur einen Wunsch hatte: Schluss machen mit dieser ganzen Bonbonfarbenen Traum-Kacke, einsehen, dass das, wonach sie sich so sehr sehnt – nämlich endlich einen Buchvertrag zu bekommen – nichts als bloße Zeitverschwendung ist, ein dummes Hirngespinst einer inzwischen fast Vierzigjährigen (aaaah!), die einfach nicht erwachsen werden und sich um sinnvollere Dinge kümmern will. Um den Abwasch zum Beispiel.
Jetzt weißt Du’s, das ist die Wahrheit. Ich stehe nicht morgens auf und brülle voller Überzeugung mein Spiegelbild an mit den Worten: „Heute ist der Tag, an dem wir den gottverdammten Bestseller schreiben, Baby! Die Welt hat auf uns gewartet.“
Nein, niemand hatte auf mich gewartet.
Und dann ist es eines Tages eben doch passiert.
Denn, jawoll, Baby, ich habe den gottverdammten Bestseller geschrieben. Mein Thriller „Liebes Kind“ treibt sich seit seinem Erscheinen Ende Februar auf den Besten-Listen herum und das sogar relativ weit oben. Ich habe es „geschafft“. Der große Traum ist nach zehn Jahren, kiloweise abgekauten Fingernägeln, Nerven, die mittlerweile so dünn geworden sind wie der Stoff im Fliegengitter, massenhaft Selbstzweifeln und Selbstverfluchungen wahrgeworden. Jawoll, Baby, ich bin jetzt eine Bestseller-Autorin.
Und mein Spiegelbild heult.
Vor Freude, na klar. Vor Fassungslosigkeit, absolut. Vor Dankbarkeit, sicher.
Aber auch, weil da plötzlich noch ein anderes Gefühl ist: Leere.
Leere? Hä? Was bitte ist denn mit mir kaputt?
Eines schönen Tages ist jetzt – und nun?
Bestimmt kennst Du das auch: Wenn ich nur erst diesen oder jenen Job habe, der so unfassbar gut bezahlt ist, dann…
Wenn der Kerl sich endlich überwindet, mir doch noch den Antrag zu machen und mir Verlobungsklunker über den Finger schiebt, dann…
Ja… was dann eigentlich?
Der amerikanische Schriftsteller J.D. Salinger hat nach seinem Erfolg mit „Der Fänger im Roggen“ noch fünfzig Jahre lang Romane geschrieben – aber nie wieder einen veröffentlicht.
„Star Wars“-Darsteller Hayden Christensen zog sich direkt nach seinem Erfolg als junger „Darth Vader“ vier Jahre lang aus dem Schauspiel-Business zurück und lebte isoliert auf einer Ranch.
Als Falco 1986 mit „Rock me Amadeus” an die Spitze der US-Billboard-Charts schoss (und dabei sogar Größen wie Prince absägte), war die Freude riesengroß. Bei allen, nur nicht bei Falco. Er war 29 Jahre alt und hatte alles geschafft, was man als österreichischer Musiker (oder überhaupt als Musiker) schaffen konnte – und er heulte. Sagte: „Nein, ich kann mich darüber nicht freuen. Weil ich das nie mehr schaffen werde.“ Laut ihm selbst brauchte er fünf Jahre, um sich von diesem Gefühl wieder zu erholen – manche würden vielleicht sogar sagen, er tat es nie.
Warum selbst der größte Erfolg nicht dauerhaft glücklich machen kann
Jeff Goins, Autor und Redner aus Amerika, stellt eine nachdenkenswerte These dazu auf:
„Wonach sich die menschliche Natur in ihrem Inneren sehnt, ist gar nicht Erfolg, sondern Wachstum. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Wenn wir etwas erreicht haben und uns dann plötzlich auf dem Gipfel des Berges wiederfinden, wird uns bewusst, dass es nun eigentlich keinen anderen Weg mehr gibt, als den Abstieg. Daher führen Erfolg, Ruhm und Reichtum oft zu Melancholie und Depressionen. Dabei ist es nicht so, dass wir undankbar wären oder nicht zu schätzen wüssten, was wir erreicht haben. Nur wird uns bewusst, dass es nicht das Stehen auf dem Gipfel das ist, was uns erfüllt. Es war der Aufstieg.“
Wenn wir das mal sacken lassen, wird klar: Wachstum und Erfolg finden nie gleichzeitig statt. Können sie gar nicht. Viel eher handelt es sich dabei um einen Zyklus.
Das Entwickeln einer Fähigkeit, einer Leidenschaft. Das Üben und Verfeinern dieser über Wochen, Monate, Jahre oder gar Jahrzehnte, oft im stillen Kämmerlein. Das Besser-und- besser-werden, nur für uns selbst. Erst dann testen wir uns vielleicht irgendwann an der Welt. Sind womöglich sogar erfolgreich.
Ein Zyklus.
Wachstum.
Erfolg.
Und dann?
Ganz einfach, es ist ein Zyklus, also: wieder von vorn.
Lehrlinge auf Lebenszeit
Wenn wir aufhören, stillstehen, werden wir uns zwangsläufig irgendwann langweilen und leer fühlen. Um das zu verhindern, empfiehlt Goins, auf immer freiwillig ein Lehrling zu bleiben. „Die Lehre ist in unserer heutigen Gesellschaft eine verlorene Kunst, aber eine dringend benötigte. In einer Welt von sogenannten Experten und Gurus brauchen wir mehr Schüler. Wir dürfen uns nicht wie Meister verhalten. Wir müssen leise sein, wir müssen zuhören, wir müssen lernen, ein Leben lang.“
Vielleicht besinnen wir uns dadurch auch auf ein neues Verständnis von Erfolg, definieren ihn neu. Vielleicht ist mein größter Erfolg nämlich gar nicht die Platzierung auf der Beststeller-Liste, vielleicht nicht mal der Buchvertrag, von dem ich so lange geträumt habe. Vielleicht ist mein größter Erfolg, dass ich einfach das tue, was mir auf der Welt am meisten Spaß macht: ich schreibe und höre nicht damit auf. Weil Schreiben mich glücklich macht. Weil ich, wenn ich ehrlich bin, ganz gerne ein bisschen leide, Nerven und Nägel verliere bei diesem Prozess, eine Geschichte zu entwickeln. Weil ich gerne schreibe, mit allem, was ich habe. Weil es mich jeden Tag an meine persönlichen Grenzen bringt und ich es liebe, diese Grenzen weiter- und weiter zu dehnen.
Also gehe ich zurück an den Schreibtisch und beginne ein neues Manuskript. Alles wieder auf Anfang. Ich höre auf daran zu denken, was daraus werden könnte. Ob es die Erwartungen von außen erfüllt. Ob es womöglich wieder, eines schönen, unfassbaren Tages, auf irgendeiner Liste landet. Ich hangele mich von Szene zu Szene, schreibe sie aus ganzem Herzen und so gut, wie es meine jetzigen Fähigkeiten als Autorin zulassen. Ich will wieder das beste Buch meines Lebens scheiben. Zuerst einmal für mich selbst.
Und mit einem Mal ist es fort, das Gefühl von Leere.
Ich weiß, was ich zu tun habe.
Ich werde weiterschreiben. Weiterwachsen.
Photo: Stock photos von Chayanin Wongpracha / Shutterstock
Hallo Romy. Toller Beitrag! Vielen Dank! Bei mir ist es mehr „Wenn ich den Sinn des Lebens gefunden habe, die grosse Wahrheit, dann werde ich endlich glücklich sein“. Durch mymonk weiss ich, dass nur ich meinem Leben Sinn geben kann bzw den Dingen, die ich habe und mache. Aber wissen ist nicht fühlen oder? Aber auch hier ist der Weg das Ziel. Liebe Grüsse Andrea p.s. Dein Roman ist Weltklasse!
Liebe Andrea, hab vielen Dank! Genau das trifft es, auch wenn wir es oft für eine Plattitüde halten: es ist nun mal einfach der Weg… Liebe Grüße, Romy
15 Jahre lang kämpfte ich für meine Träume. Viele wurden noch vor dem großen Erfolg zerschmettert, aber mein erstes Lebensziel habe ich mit 24 endlich hingekriegt: Eine Veröffenlichung. Werde ich wieder etwas schaffen, was annähernd so gut war? Aber ich hatte irgendwie keine Lust mehr darauf und schon gar keine Ideen mehr. Leere. Was soll ich mit mir bloß anfangen?
Also arbeitete ich an einem festen Standbein, aber es macht mich einfach nicht glücklich.An manchen Tagen fühle ich mich, als könnte ich alles und nichts. Meine Kollegen sind mir 1000 Schritte voraus, weil sie etwas anderes studiert haben und ich habe weder Muße noch Interesse, alles nachzuholen. Da habe ich erstmal gemerkt, wie schwierig es für mich ist bei null anzufangen.
Irgendwie spürt jeder, dass ich tief im Herzen immer noch den Traum meiner Hobbies verfolge aber total festhänge. Ich kann weder weitermachen noch aufhören, weil ich mich nicht von meinen Fehlschlägen distanzieren kann und in mir der tiefe Wunsch existiert, den Erfolg wiederholen zu können. Seit zwei Jahren nehme ich Abstand von meinen Hobbies, aber es wird nicht besser. Es keimt eine ganz andere Leere auf… So als würde man sich selbst verbieten, Spaß zu haben… auch wenn die Hobbies eigentlich duch den Konkurrenzgedanken gar keinen Spaß mehr machen.
Wie schaffs du es, weiterzuschreien ohne an deinen vorherigen Erfolg anknüpfen zu wollen und ohne dir ständig Meinungen von anderen einzuholen?
Liebe Lila. ich verstehe, was Du meinst, und ganz ehrlich: in den ersten Wochen, vielleicht sogar Monaten, nachdem ich zumindest schon mal wusste, dass und in welchem Rahmen mein Roman veröffentlicht würde, habe ich genau diesen Druck auch gespürt und gemerkt, dass er mich beim Schreiben völlig verkrampft. Ich dachte auch nur immer wieder, mit dem nächsten Buch kann ich eigentlich nur verlieren. Zudem hatte ich diese seltsame Angst, beim ersten Mal und ausnahmsweise einfach nur Glück gehabt zu haben und nun würden alle merken, der Verlag und die LeserInnen, dass ich eigentlich gar nichts konnte. Dementsprechend konnte ich gar nicht schreiben oder was dabei herauskam, war Mist. Ich habe eine ganze Zeit lang gebraucht, um zu verstehen, was diese Gedanken und Ängste mit mir machen und anschließend bewusst dagegen angearbeitet. Ich habe es doch eh nicht in der Hand. Ich kann nur mein Bestes geben und ohnehin auch nur annähernd gut sein, wenn mir das Schreiben Spaß macht und ich mich dabei frei fühle. Das wollte und will ich mir um keinen Preis, keine Angst, keinen Erwartungsdruck von anderen oder mir selbst kaputtmachen lassen. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass ich nicht gerne an den Erfolg anknüpfen würde, aber davor steht und stand immer das Schreiben. Das tue ich zuerst einmal nur für mich – was daraus wird, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht ersehen, und vielleicht ist das auch gut so. Und außerdem: ich halte nichts von Vergleichen. Es wird immer jemanden geben, der besser, schöner, schlauer, kreativer ist als Du oder ich – und auch das ist okay. Versuchen wir, unser eigener Maßstab zu sein und zu lieben, was wir tun. Vielleicht ist das ein großer Schritt in eine gute Richtung.
Viele liebe Grüße, Romy
Toller Beitrag!
Liebe Mandy, vielen Dank 🙂
Liebe Romy,
ein wunderschöner Beitrag. Ich kann gut nachvollziehen, was du meinst. Das gleiche Gefühl hatte ich, als ich meinen Master abgeschlossen hatte, eine Anstellung in einem Forschungsprojekt und damit auch die Aussicht auf eine Promotion bekam. Darauf hatte ich mein ganzes Studium hingearbeitet. Und als ich dann vor der Promotion saß, bemerkte ich plötzlich, dass es mir nichts bedeutet.
Ich glaube, das Problem war, dass ich aus meinem Studium gelernt hatte, was ich lernen wollte oder sollte. Es fühlte sich abgeschlossen an.
Das war wahnsinnig frustrierend und ich musste mich erst etwas völlig neuem zuwenden, um dieses Gefühl der Leere zu überwinden.
Deine Worte haben mich nochmal daran erinnert, wie dankbar ich für diese Weiterentwicklung bin.
Alles Liebe Janina
Der Weg ist das Ziel 😉
Danke für diesen Artikel, ich finde ihn sehr wichtig. Und ich denke, ein Aspekt fehlt noch: Wenn ich lange Zeit auf ein Ziel hingearbeitet habe, und mich dabei wirklich sehr darauf konzentriert habe, dann ist es ganz normal, dass nach der Zielerreichung erstmal eine Leere auftaucht.. Denn das bisherige Ziel ist ja sozusagen hinfällig geworden.
Mir ist das neulich auch passiert, dass ich nach der Erfüllung eines großen Wunsches hinterher in ein Loch gefallen bin, und mich auf einmal gefragt habe, wozu ich das alles überhaupt gemacht habe. Aber dann habe ich gemerkt, dass es ganz normal ist, dass da nach dem Ziel ein Nichts kommen kann. Man darf sich dann auch mal erholen oder belohnen 😉 Und dann geht es irgendwann wieder von ganz alleine weiter.
Liebe Romy,
was für ein wunderbarer und WICHTIGER Artikel! Auch ich habe gerade erst wieder ein unwahrscheinliches Ziel erreicht und mich dann – nach relativ kurzer Euphorie-Phase – in einem melancholischen Loch wiedergefunden.
Und obwohl ich weiß, dass das Leben immer in Zyklen verläuft, konnte ich es mir in dem Moment nicht erklären und dachte, mit mir sei irgendetwas falsch. Ein RIESEN Traum hatte sich erfüllt und trotzdem konnte ich mich nicht richtig freuen. Ganz zu schweigen von den Selbstvorwürfen, nicht dankbar genug zu sein für dieses große Geschenk, das mir zuteil wurde
Mit Deinem Artikel wird es mir nun noch ein bisschen klarer: „Wachstum und Erfolg finden nie gleichzeitig statt. Können sie gar nicht. Viel eher handelt es sich dabei um einen Zyklus.“ Ja, genau so ist es. Was nicht heißen soll, dass wir an Erfolg nicht wachsen könnten.
Ich freue mich für Dich und Deinen Erfolg und besonders dafür, dass Du all die Jahre dran geblieben bist. Das macht vielen Menschen Mut.
Alles Liebe
Sabine
sehr offen und persönlich, danke dafür