Teile diesen Beitrag "An alle, die das Beste aus ihrer Situation machen"
Text von: Romy Hausmann
Vor kurzem unternahm ich eine längere Reise, zum ersten Mal seit einiger Zeit. Ich war mit dem Zug unterwegs und wurde an einige Bahnhöfe zwischengespült, wo ich mir die Zeit vertreiben musste bis zum nächsten Anschluss. Also stöberte ich mich durch die Zeitschriften-Shops und blieb dabei an hochglanzigen Covern und reißerischen Titeln kleben. Stars im Bikini, die für ihre Cellulite gefeiert werden. Schaut her, so der Tenor der Blätter, wie normal X und Y und Z sind. Wie mutig sie sind, sich als „normale“ Menschen zu präsentieren. Als welche von „uns“.
Dann wiederum: Stars, dünn wie Zaunlatten, in schicken Abendroben. Schaut her, wie toll X, Y und Z aussehen nach ihrer Super-Diät (Rezepte fürs 5-Tage-Blitz-Programm gleich praktischerweise in der jeweiligen Zeitschrift nachzulesen).
Und natürlich: Stars und Prominente mit neuen Filmen, neuen Frisuren, frisch veröffentlichten Büchern. X, Y und Z, die eben so gar nicht sind wie „wir“, die kleinen Leute, die keine erfolgreichen Bücher veröffentlichen, keine Zeit oder kein Geld für den Frisör haben oder in Hollywood-Blockbustern mitspielen. Wir, die Cellulite, Schulden und Alltagssorgen haben. Ganz zu schweigen von denen, die selbst über solche „Problemchen“ nur müde lächeln können. Die das Leben richtig hart rannimmt und die trotzdem jeden Tag ihr Bestes geben. Kämpfen, auch wenn der Kampf so gut wie verloren ist. Die trotzdem weitermachen, für ihre Kinder, ihre Familien, unsere Gesellschaft.
Das hier geht an Euch.
An Dich, die alleinerziehende Mutter, die mit dem ersten Wimperschlag morgens um halb sechs ihren Mann steht – ohne Mann an ihrer Seite. Die ihren Kindern liebevoll das Frühstück vorbereitet und die Pausenbrote schmiert. Die Klein-Hänschen und Klein-Klara in die Schule fährt, sich danach in ihren miesbezahlten Job als Krankenschwester stürzt, um ihren Kindern ein einigermaßen gutes Leben zu ermöglichen. Die manchmal über dem Berg aus Rechnungen zusammenbricht. Und ihren Kindern trotzdem jeden Abend sagt, wie lieb sie sie hat und es auch genauso meint. Die trotz allem mit niemandem tauschen würde. Das Leben nimmt, wie es gekommen ist, auch wenn der Traum von der Vorzeigefamilie längst ausgeträumt ist.
An Dich, den alleinerziehenden Vater, der von seiner Frau verlassen wurde, weil das Leben mit Dir und den Kindern ihrem Drang nach Selbstverwirklichung im Wege stand. Jeden Tag gibst Du Dein Bestes, um Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. Flichst Deiner Kleinen Zöpfchen mit Lillifee-Haarspangen und verjagst Monster unter dem Bett. Trocknest Deiner Großen die Liebeskummer-Tränen. Bist da, zuhause bei den Kids, während sich Deine Kumpels auf ein Bier treffen oder den Vatertags-Ausflug an den Gardasee planen.
An Dich, den übergewichtigen Typen, dem allzu oft das Getuschel der anderen im Nacken sitzt. „Fette Sau“ nennen sie Dich. Manchmal machen sie sich gar nicht erst die Mühe, zu tuscheln. Sie grölen es Dir hinterher. Keiner ahnt, dass Du morgens bei Sonnenaufgang aufstehst, Dir die Joggingschuhe anziehst und läufst. Wie hart Du dafür arbeitest, eines Tages nicht mehr die „fette Sau“ sein zu müssen. Nein, Dein Körper ziert kein Cover. Wird vielleicht niemals ein Cover zieren. Aber Du bist unterwegs, joggst unermüdlich durch unseren Wohnblock, während wir anderen noch im Bett liegen und die Snooze-Taste drücken.
An Dich, die Tochter, die ihre kranke Mutter pflegt, damit sie nicht ins Heim muss. Die Mama das Essen püriert und sie mit Brei füttert. Sich geduldig und lächelnd Mamas Geschichten von damals anhört, ohne zu erwähnen, dass Du diese Geschichten schon mindestens hundertmal gehört hast. Mama, die sich an schlechten Tagen nicht einmal mehr an Deinen Namen erinnern kann.
An Euch, die Ihr endlich, endlich Eltern geworden seid und Euer langersehntes Wunschkind, „anders“ ist als die anderen Kinder. Euer Kind, das spezielle Bedürfnisse hat. Langsamer lernt oder niemals laufen wird.
An Euch, die Ihr selbst krank seid und jeden Tag so unfassbar tapfer ums Überleben kämpft. Entgegen der Prognosen der Ärzte. Entgegen Eurer schlimmsten Ängste und trotz aller Absehbarkeit.
An Euch, die Ihr Jobs macht, die sich nur wenige freiwillig aussuchen. Ihr, die Ihr jeden Tag aufsteht (oder gar nicht erst ins Bett kommt), um uns gesund zu machen, unseren Lebensabend möglichst human zu gestalten, unsere Kinder erzieht, Menschen helft, die auf der Straße leben, Tiere rettet. Euren unbezahlbaren Beitrag zu unserer Gesellschaft leistet und dabei meistens unterbezahlt seid.
Es ist leicht, ein „gutes“ Leben zu führen, wenn das Leben gut zu uns ist. Uns ohne eigenes Zutun mit Familiengefügen wie aus dem Bilderbuch beschenkt hat. Mit Gesundheit. Mit Möglichkeiten.
Wie oft erliegen wir dem Irrtum, unser „gutes“ Leben wäre ausschließlich unsere eigene Leistung, in der das Schicksal keinen Platz hätte?
Wie oft habe ich gehört „Du hast es gut“ und darauf geantwortet: „Ja, aber das habe ich mir schließlich auch hart erarbeitet“?
Wie viele von uns dürfen in dieser schönen Blase leben, in der Cellulite und die Frage „Was zieh ich heute an?“ grundlegende „Probleme“ darstellen?
Wie leicht verlieren wir den Blick für das, was kommen kann, wenn das „gute“ Leben aus irgendeinem Grund aus der Verankerung rutscht?
Wie leicht verlieren wir den Blick für die vielen Menschen da draußen, die jeden Tag Unfassbares stemmen?
Erlaube mir, in meiner eigenen bescheidenen Weise „Danke“ zu sagen.
Danke an Euch, die Kämpfer, die immer wieder aufstehen, obwohl das Leben sie bleischwer niederzudrücken versucht. An Euch, über die man keine Schlagzeilen liest. Über die viel zu wenig Geschichten erzählt werden. Die keine Zehntausende von Followern auf Facebook oder Instagram haben. Die oft sogar ganz alleine sind. Die heimlich weinen und heimlich (unheimlich) Großes tun.
Erlaube mir, mich zu entschuldigen.
Weil ich in meinem Leben oft falsch lag. In schmutzigen, schwieligen Händen nur einen ungepflegten Menschen gesehen habe. In einem übergewichtigen Körper manifestierte Bequemlichkeit. In der Frau, die mich nach einer Operation aus dem Bett gewuchtet und mich auf dem Weg zum Klo gestützt hat, um mir danach auch noch den Hintern abzuwischen, „nur“ eine Krankenschwester.
Ich bin wahrscheinlich oft dumm gewesen in meinem Leben. Habe vorschnell geurteilt. War blind und ungerecht.
Verzeih mir.
Das hier geht an Dich, von Herzen. Weil Du jeden Tag das Beste aus einer Situation zu machen versuchst, die für viele von uns nicht mal annähernd vorstellbar ist.
Du bist eine Inspiration. Ein Geschenk.
Bitte mach‘ weiter, wir brauchen Dich.
Mehr unter An alle, die ihre Motivation verloren haben und unter Wie man seine Einstellung ändert, wenn man die Situation nicht ändern kann.
Photo: Strong / Shutterstock
DANKE!!!
Ja man macht vieles Falsch im Leben. Und glaubt vielleicht vieles richtig zu machen. Und wenn man dann irgendwann realisiert, dass es eigentlich trotzdem immer nur um einen selber ging, dann kann man anfangen andere Menschen wirklich anzunehmen
Mit dieser Einstellung wird das nichts. Wir machen nichts „falsch“ – zumindest solange es innerhalb unserer ethischen und moralischen Vorstellungen bleibt. Was wir machen, sind Erfahrungen. Nur sollte man aus den gemachten Erfahrungen auch seine Rückschlüsse ziehen und handeln. Wer trotz der Erfahrung, dass sein Job eigentlich scheiße ist oder trotz der Erfahrung, dass jemandes Übergewicht zu gesundheitlichen Problemen führt nicht handelt, muss halt mit den Konsequenzen leben. Und ja, jetzt kann man sagen „aber so leicht ist das ja nicht immer“. Ja, das stimmt, aber auch kleine Schritte sind Schritte in eine Richtung! Anfangen könnte man damit, dass man nichts falsch macht. Sich diesen Gedanken immer wieder vor Augen halten. „Es ist eine Erfahrung, die ich gemacht habe, jetzt muss ich sehen, wie ich damit umgehe.“ Das ist der wichtigste Schritt und auch ich musste den gehen. Der zweite ist schon leichter. Sätze niemals wieder mit der Phrase „das Problem ist…“ beginnen. Das klingt banal, kann aber dafür sorgen, dass wir in unserem Kopf neue Verknüpfungen schaffen und Satzanfänge, die eben nicht so beginnen, verschaffen uns ein positives Denken. Und glauben Sie mir, ich kann davon ein Lied singen, aber genau mit den beiden Schritten habe ich es in 2 Jahren geschafft ein völlig neuer Mensch zu werden. Und es macht so verdammt viel Freude. Natürlich immer noch nicht das frühe Aufstehen, um meine Lebenszeit einem Kapitalisten zu verkaufen, aber das kommt als nächstes dran. Aber schon dieses Gefühl zu haben, sich eben nicht mehr durch bloße Phrasen anderer Menschen (oder seines eigenes Kopfes) unterkriegen zu lassen und die Schönheit des Lebens wieder sehen zu können – das ist atemberaubend. Ich glaube, so fühlt sich Glück an!
Wir machen nichts falsch (können wir auch gar nicht), wir sollten nur aus den Ergebnissen lernen…
Wenn Du nie etwas Falsch nachst, trotz deiner intelektuellen Einschränkungen/ Fähigkeiten, dann kannst Du gar keine Erfahrungen machen. Einfach mal das ganze aus der Vogelperspektive anschauen. Sich selbst nicht so Ernst nehmen ist ein guter Spruch.
Fehler. Keiner. Keiner ist so naiv. Keiner ist so naiv und glaubt, keinen Fehler zu begehen.
Schön geschrieben -die oft übersehene Realität!
Ja. Und wir machen es auch schon so gut wie wir es können. Und wir machten es so gut wie wir es konnten. Nur hatten wir vielleicht nicht die Bewusstheit, mit der wir es rückblickend besser hätten machen können. Und immer gab es Belastungen und auch ungünstige Glaubenssätze. Es steht uns gut an, den Menschen Wertschätzung und Vertrauen zu geben. Auch dann noch, wenn wir Grund zum Verurteilen zu haben glauben. Letztlich können wir uns mit solcher Haltung auch selber leichter vergeben, wertschätzen, sowie ein gesundes Mass an Authentizität beanspruchen.
Ich frage mich gerade, was mir der
Artikel eigentlich sagen soll. Soll ich mich daran erinnern, wie es anderen Menschen geht und dann eine bestimmte Dankes Geisteshaltung einnehmen?
Darüberhinaus bezweifle ich, dass jene bestimmte Herrschaften und Personengruppen wie in dem Artikel beschrieben, diesen Artikel auch lesen.
Und was das Danken angeht, in erster Linie danke ich mir erstmal selbst.
Also, danke Stephan.
Und das mit dem Geschenk, ist eine übertriebene Geisteshaltung. Ein Muss bezogen auf einige Passagen und Lebensumstände, spiegelt wohl eher die Realität wieder.
Wenn es helfen sollte, hier mein Danke, an wen auch immer.
einfach wunderschön. Danke
…..ich hab zu dem Text geheult….Dankeschön….
Gern geschehen.
Danke!! Dein Text hat mich genau zum richtigen Zeitpunkt erreicht!!
Ich habe eine Tochter, sie ist bald 8 bin selbst 24 und muss morgen arbeiten. Eigentlich hätte eine Freundin sie morgen genommen da schule erst am Dienstag los geht. Doch sie hat mich um kurz nach neun abends angerufen Und abgesagt.
Ich bin alleinerziehend. Und nun weiß ich wieder mal nicht wo ich mein Kind hinbringen soll wenn ichv arbeite. .. Aber irgendwie geht’s immer.
Dankeee!
Schöne Zeilen. Die Helden des Alltags gehen oft unter. Die, die im Verborgenen Gutes tun ohne die Notwendigkeit zu verspüren Dank und Anerkennung zu ernten, verdienen Respekt.
Und doch ist es oft nicht wie es scheint. Allein die Scheinwelt mit Hochglanz- Aufmachung zeigt uns die Armut der Menschen, die diese Scheinwelt konsumieren. Denn es wird ja nur das angeboten, was gewünscht und gekauft wird. Und Illusionen entstammen nun mal mentaler Oberflächlichkeit. Das Leben und die Liebe findenauf solcher Oberfläche wenig statt.
Die genannten Helden oder scheinbar im Leben benachteiligten erleiden hingegen aber nicht unbedingt so viel von den Qualen der illusionären Oberfläche. Scheinbar sind sie belastet rund um die Uhr mit Arbeit und Sorgen. Aber wie reich sie in der Gefühlsebene leben, können wir uns vielleicht nicht vorstellen. Mit Vertrauen in den Moment leben sie mehr als viele einfach in Gewohnheit und Tun. Haben nicht einmal viel Zeit für klagende Gedanken. Folgen einfach dem Rufen von innen.
Und sie ernten. Befriedigung. Sich wertvoll fühlen. Dankbarkeit. Und wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, hören wir oft. „Ich bin zufrieden“. Obgleich vielleicht behindert, krank, oder anderweitig begrenzt.
Vertrauen ist keine Kleinigkeit. Vertrauen ermächtigt. Zweifel entmachten. Das Bedauern mit der Gewissheit, Vergebung zu erfahren, entlastet von Dingen der Vergangenheit, wie auch Vergebung selbst. Dankbarkeit ist ein Zustand dem Glück sehr nahe. Und sie kann ohne Grund einfach gelebt werden. Wie die Liebe selbst. Weisheiten aus dem Huna.
Dieser Artikel hat mich ganz tief im Innersten berührt.Weil er so stimmig ist und von tiefer Dankbarkeit spricht gegenüber den Menschen, denen wir gedanklich so oft Unrecht getan haben. Entweder innerlich, oder auch Anderen gegenüber. Die wir verurteilt haben oder über sie hergezogen haben , um sie der Lächerlichkeit preiszugeben.Und er passt so gut zu dem Thema meines innereren momentanen Lernens . Es befasst sich mit dem inneren richten Anderer —– oder halt dies innere Richten zu unterlassen.Also vielen Dank