Teile diesen Beitrag "Dieses Zitat zeigt, was mit unserer Gesellschaft nicht stimmt"
Kam Dir das alles schon mal (oder schon oft) komisch vor, die Welt und die Menschen und das ganze Treiben vor und hinter all den Fenstern von Autos und Büros und Arztpraxen und Geschäften und Wohnungen?
Ackern bis der Arzt kommt, und wenn er dann kommt, schimpfen und doch nichts ändern. Meetings über und hinter sich bringen, Rechnungen zahlen, Sachen waschen, Zeug auswendig lernen, Kacke kaufen, Kacke im Fernsehen anschauen, small talken (aber ganz small), mit Millionen in einer Stadt leben und doch einsam sein, eben das ganze Programm.
Viele von uns empfinden das schon in der Schule so. Schräg. Irgendwie absurd, obwohl die ganze Gesellschaft sich anscheinend drauf geeinigt hat.
Das folgende Zitat bringt die Sache bestens auf den Punkt. Es stammt aus Ray Bradburrys famosen Buch „Fahrenheit 451“, erstmals erschienen 1953.
„Warum bist Du nicht in der Schule? Jeden Tag sehe ich Dich umherstreifen.“
„Ach, man vermisst mich nicht. Es heißt, ich sei ungesellig, ich würde mich nicht mit anderen abgeben. Merkwürdigerweise. In Wirklichkeit bin ich höchst gesellig. Es kommt nur darauf an, was man unter Geselligkeit versteht. Mich mit Ihnen über so etwas zu unterhalten, rechne ich zum Beispiel zur Geselligkeit.“
Clarisse klapperte mit ein paar Kastanien, die sie vor dem Haus aufgehoben hatte.
„Oder darüber, wie seltsam die Welt ist. Es ist schön, mit Leuten zusammen zu sein. Aber eine Anzahl Leute zusammentrommeln und sie dann nicht reden lassen, das kann man doch nicht Geselligkeit nennen. Eine Fernsehstunde, eine Stunde Basketball oder Baseball oder Wettlaufen, eine Stunde Diktat oder Bildermalen, und dann wieder Sport, aber wissen Sie, wir kommen nie dazu, Fragen zu stellen, oder jedenfalls die wenigsten von uns; man wirft uns einfach die Antworten hin, peng peng peng, und wir sitzen wieder einmal vier Stunden lang da vor einem Lehrer. Das hat doch mit Geselligkeit nichts zu tun.
Man trichtert uns eine Menge ein, schüttet Wasser in den Trichter, unten läuft es wieder raus, und dann behauptet man noch, es sei Wein. Bis der Tag zu Ende ist, sind wir so erledigt, dass uns nichts anderes übrigbleibt, als zu Bett zu gehen oder in einen Freizeitpark, um Leute zu belästigen, Fenster einzuwerfen in der Scheibenschmeißerbude oder mit der großen Stahlkugel in der Autozertrümmerungshalle Autos zu zertrümmern. Oder mit dem Auto durch die Straßen zu rasen, um zu sehen, wie scharf man an Laternenpfählen vorbeiflitzen kann.
Es stimmt wahrscheinlich doch, was man von mir sagt. Ich habe keine Freunde. Damit ist angeblich bewiesen, dass ich nicht normal bin. Aber alle, die ich kenne, ziehen lärmend und tanzend herum oder liefern sich Schlägereien. Ist Ihnen auch schon aufgefallen, wie gewalttätig die Leute heutzutage sind?“
Wir reden zu viel über nichts. Lassen uns ständig ablenken von Unwesentlichem. Hauen die Zeit raus, als hätten wir unendlich viel davon oder als würde sie einfach so nachwachsen wie Unkraut. Scheinen nach und nach den Verstand zu verlieren, und das Herz, das Mitgefühl, das Verständnis für uns selbst und andere.
Die gute Sache: Wir können jederzeit den Kurs anpassen. Und ich glaube, es gibt immer mehr von uns, die genau damit anfangen.
Mehr zum Thema Gesellschaft unter Warum unsere Gesellschaft so kaputt ist und Warum unsere Gesellschaft so pausenlos hetzt.
Photo: Roman Sotnikov
Moin Tim! 🙂
Danke für den inspirierenden Buchausschnitt. Ich studiere gerade Lehramt und finde dieses Zitat absolut wahr. So sehen unsere Schulen (leider) momentan noch aus.
Vielleicht wurdest du das schon öfter gefragt, aber: Wie wäre es, wenn du mal eine Liste mit deinen Lieblingsbüchern veröffentlichst? Oder hast du so etwas schon mal gemacht und ich hab’s nicht mitbekommen?
Liebe Grüße
Dieser Beitrag spricht mir aus der Seele!!!!
Ich verstehe nur nicht, wie es möglich ist, dass so viele Menschen diesen Zustand einfach so hinnehmen?? Ich persönlich halte das kaum aus. Suche nach anderen Wegen zu leben. Oder besser gesagt suche ich nach Leben, denn leben kann man das, was die „Gesellschaft“ als leben betrachtet wohl nicht bezeichnen. Sie funktionieren, aber leben tun sie nicht.
Wenn ich in meinem Umfeld dann anfange, meine Reden zu schwingen, erhalte ich oft als Reaktion: „Ach Elisa, du denkst zu viel nach.“ Lange habe ich gedacht, mit mir stimmt etwas nicht.
Dank Blogs und Beiträgen wie diesem gewinne ich aber immer mehr an Selbstbewusstsein und mache es mir zur Aufgabe, so viele Menschen wachzurütteln und ins Leben zu holen, wie ich kann. Denn wir Menschen brauchen einander. Ich kann nicht glücklich sein beziehungsweise bin ich einfach nicht glücklich, solange ich meine Mitmenschen in diesem elendigen Zustand sehe.
Liebe Elisa,
besonders junge Menschen ergeben sich in Ihr Schicksal, weil sie alleine nichts ausrichten können. Sie rebellieren eben auf anderer Ebene. Das Selbstbewusstsein ist noch nicht so ausgeprägt, um festzustellen, dass andere falsch ticken. Unsere Gesellschaft läuft in eine für mich falsche Richtung und ich versuche, anderst zu sein. So wie du auch. Mach weiter so.
Es ist, wie es ist, liebe Elisa… Viele Jahre hinweg war ich ein Rebell der „normalen“ Wege… Alles fiel mir schwer. Ich konnte nie ruhig sitzen, konnte keine Behauptung einfach stehen lassen, habe meine Schulnoten, die Lehrer, die Ausbildung, die Professoren, die „Vorgesetzte“ etc. kritisiert und habe versucht, einfach Mensch zu sein… Irgendwann hast Du dann eine Familie, eine Frau und Kinder… Die alle sind in Aufgaben, Verpflichtungen, Prozessen etc. eingebunden… Und ich, ich gehe arbeiten… Ich halte das alles zusammen und aus, und Du möchtest allen sagen und zeigen, worauf es im Leben ankommt, aber wann und wie? Die Rate muss bezahlt, der Kurs, die Klassenfahrt organisiert, die Hausaufgaben gemacht und der Kühlschrank gefüllt werden… Welch ein Glück, wenn man dann, ab und zu auf Menschen trifft, die in Australien im Busch, in Afrika auf einem Berg oder zu Fuß am Meer waren… Jeden Tag gibt es diese Herausforderung, zu leben, obwohl das eigentlich gar nicht Deines ist… Ich wünsche Dir, dass Du nicht aufgibst, lebendig und neugierig bleibst und die Dinge tust, die man als junger Mensch machen muss… Später ist irgendwann zu spät.
Ja, und manche wie ich haben es schon fast aufgegeben.. schon der Impuls hier zu kommentieren wird innerlich mit einem „nützt doch sowieso nichts“ fast verhindert.. aber ich tu es trotzdem 🙂
so wie in dem Artikel und von Elisa beschrieben, fühle ich mich schon seit ich ein Kind gewesen bin.
Auch mir wurde das oft gesagt „denk doch nicht so viel nach“ und gerne hätte ich gerufen „denkt doch mal ein bisschen mehr nach, statt immer nur „oben reinzufüllen…“
Und der Mann, den ich glaubte zu lieben sagte neulich folgendes zu mir: „es hilft mir nicht alles endlos tief zu ergründen. Manchmal ist eine gewisse Oberflächlichkeit hilfreicher“.. und boing, wieder durch die Blume gesagt: wenn du nachdenkst, über das Leben, über das Sein, über die Menschen, über das was ist .. dann bist du einfach falsch hier, keiner will das haben… alle wollen nur Oberflächlichkeit.. (wie sich jetzt herausgestellt hat, hat er sich deswegen auch eine andere Frau gesucht, eine oberflächliche, eine die ihm keine Fragen stellt.. )
Hallo Jana,
Das kenne ich ganz genauso. Smalltalk ist mir zuwider und reine Zeitverschwendung, ich schaue immer hinter die Fassade und ergründe alles ganz genau, was meist den anderen überfordert. Der kann da nicht mithalten. Das heißt aber nicht, dass Du falsch bist, sondern Du denkst (und fühlst wahrscheinlich) in anderen Dimensionen, also tiefer.
Kurz und gut, Deine Beschreibung hört sich für mich nach Hochsensibilität an.
Vielleicht magst Du Dich mal mit dem Thema beschäftigen? Einfach mal dieses Wort googeln oder hier bei mymonk gibt’s auch einen Blogeintrag dazu. 🙂
Da kann ich mich nur anschliessen – der Text spricht mir auch aus der Seele. Werde gleich mal schauen, woher man das Buch bestellen kann, diese Textpassage ist echt gut.
Früher bin ich auch oft umhergestreift, anstatt zur Schule zu gehen. Für mich war das immer ein absurdes, inefffektives Schauspiel, in dem ich mich völlig fehl am Platze fühlte.
Aber nicht nur, dass die meisten Menschen diesen Zustand einfach hinnehmen – die Meisten stellen scheinbar gar nicht in Frage, was da um Sie herum passiert. Die merken das gar nicht oder finden es sogar noch gut. In einem Gespräch mit einem Arbeitskollegen sagte ich wieder einmal zu einem Sachverhalt: „das macht doch überhaupt keinen Sinn“. Da entgegnete er mir: „Ja warum muss denn bei Dir auch alles immer Sinn machen?“ Ich war völlig perplex.
Und dann die total oberflächlichen Gespräche, die sich die Leute immer drücken – für mich total ohne Inhalt. Aber oberflächlich kann ich halt nicht auf Dauer! Klar, hier und da etwas Smalltalk, um das Eis zu brechen und etwas zu erfahren, wie der Andere so tickt und wofür er sich interessiert. Aber bei den Meisten Leuten bleibt es dann für immer auf dem Niveau – selbst wenn’s Kollegen sind, die man Jahrelang fast jeden Tag sieht. Das macht mich total krank. Richtig geil sind auch die immerwährenden Gespräche über Fussball. Jeden Tag. Immer das Gleiche! Dabei bin ich dann immer zum Schweigen verurteilt. Gerne würde ich ja kommunizieren – aber jeden Tag über Fussball? Echt jetzt? Und sobald man ein Thema anspricht, dass etwas anspruchsvoller ist erntet man komische Blicke und Unverständnis. Und natürlich Aussagen, die darauf schliessen lassen, dass sich derjenige noch nie mit der angesprochenen Thematik befasst hat.
Lieber Tim,
Immer wieder schön zu lesen, dass du auch einer bist, der den Kurs ändert! 🙂
ganz liebe Grüße aus Wien!
Tief! Auch ein wenig bedrückend. Tatsächlich beschäftigen wir uns so häufig mit Belanglosigkeiten als käme das „richtige, echte“ Leben noch. Ein Plädoyer für Gegenwärtigkeit und Mut zur eigenen Wahrheit. Schöner Beitrag.