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Text von: Lena Schulte

Lange Zeit hatte Anna immer funktioniert, immer ihr Bestes gegeben in ihren Rollen als aufopfernde Mutter, liebende Ehefrau und zuverlässige Mitarbeiterin. Doch an ihrem 35. Geburtstag wurde ihr voller Traurigkeit klar: Mein Leben ist nicht das, was es sein sollte. Zu lange, beschloss sie. Also machte sie sich auf die Suche nach einem besseren Leben. Einem, das ihr zustand. Einem, in dem sie nicht mehr traurig war.

Jahre später scheint es Anna gelungen zu sein. Hinter ihr liegen ein langer, harter Weg, reichlich Aha-Erlebnisse, schwere Entscheidungen. Unzählige Ratgeber füllen die Bücherregale. Anna hat viel an sich und ihrem Glück gearbeitet, Altes losgelassen, Platz für Neues gemacht. Sie war so happy! wie nie zuvor.

Dann geschieht eine Lappalie. Ein Kunde springt in letzter Sekunde von einem wichtigen Projekt ab. Nicht schön, aber auch nichts, was sie überfordern sollte. Schließlich hatte sie solche Rückschläge schon oft überlebt und gut überstanden. Und trotzdem stürzt es sie in den Abgrund. Ohne Vorwarnung. Sie fängt an zu weinen. Und kann gar nicht mehr aufhören, wochenlang. Plötzlich hilft ihr nichts von dem, was sie gelernt hat. Als hätte sie die ganze Zeit nur auf einem Katapult der Selbsttäuschung gesessen, das nur darauf gewartet hatte, sie zum richtigen Zeitpunkt wieder in ihr altes, wahres, trauriges Ich zurückzuschleudern. Zurück in die Dunkelheit, die sie so lange tapfer bekämpft hatte.

Immer nur ums Glück gekümmert

Wie konnte das passieren? Hatte Anna sich die ganze Zeit etwas vorgemacht?

Anna ging zu einem befreundeten Therapeuten und erzählte ihm von ihrem Problem. Sie erzählte von ihrem Leben, ihrer erreicht geglaubten Zufriedenheit und ihrem Unverständnis über diese plötzliche unverhältnismäßige Trauer. Weil der Therapeut wusste, dass sie eine ausgezeichnete Malerin war, bat er sie, beim nächsten Mal ihre neusten Bilder mitzubringen. Vielleicht könnte man dort ja etwas finden. Doch Anna hatte seit Ewigkeiten nicht mehr gemalt. Sie wusste nicht genau, warum. Hatte sich irgendwann wohl nicht mehr ergeben. Und Geschichten schrieb sie auch schon ewig keine mehr. Irgendwie war sie dazu nicht mehr so in der Stimmung. Ihre Kreativität war mit der Zeit in einen Schlummermodus gefallen.

Was hast Du denn immer gebraucht, um kreativ zu sein?“, fragte der Therapeut.

Anna schwieg kurz. „Meine Traurigkeit“, sagte sie dann leise.

Und wann hast Du Dich das letzte Mal richtig um Deine Traurigkeit gekümmert?“

Das wusste Anna nicht. Sie war die letzten Jahre damit beschäftigt gewesen, sich um ihr Glück zu kümmern.

Traurigkeit muss man können

Sich um seine Traurigkeit kümmern … was soll das heißen? Dass das Tal der Tränen ein verkanntes Paradies ist? Soll man sich jedes Mal fürs Traurigsein auf die Schultern klopfen?

Nicht unbedingt. Allerdings gibt es Menschen wie Anna, die von Natur aus melancholischer sind als andere von uns. Für sie stellen die Dunkelheit und die Traurigkeit naturgemäß stärkere Anteile ihrer Persönlichkeit dar. Diese Anteile können anstrengend sein, und oft will man sie nicht haben. Andererseits können sie das Leben auch bereichern. Vielleicht lassen sie uns Begegnungen intensiver wahrnehmen. Uns besser in andere Leute hineinversetzen. Oder Glücksmomente mehr wertschätzen.

Hinter Traurigkeit stecken oft Geschenke.

Anna wurde schnell klar, dass die Traurigkeit ihre größte Antriebskraft war. Hätte Anna ohne sie damals beschlossen, ihr Leben anzupacken? Nein. Hätte Anna ohne sie eine so gute Malerin werden oder Geschichten schreiben können, die andere berühren? Wahrscheinlich nicht. Seitdem sie sich nur noch um ihr Glück kümmerte, hatte sie viele ihrer Leidenschaften vernachlässigt.

Meine Klavierlehrerin hat einmal gesagt: „Musik lebt nur, wenn man ihr ein Stück seiner Seele gibt. Deswegen muss man Traurigkeit können und immer wieder üben. Wer Traurigkeit nicht kann, wird kein Musiker sein. Den wichtigsten Weg zu seiner Seele beschreitet man immer mit ihr.“

Vielleicht muss man Traurigkeit auch können, wenn man ein ganzer Mensch werden will?

Todunglücklich im dauerhaften Glück

Für Anna bedeutete „glücklich zu sein“ keinen Schmerz mehr zu spüren. Doch dazu muss man  einen wichtigen Anteil von sich selbst betäuben. Vor allem eben, wenn man melancholisch veranlagt ist. Anna wollte von etwas weg, das zu ihr gehört. Und für eine Weile hat es geklappt. Aber alles, was wir bekämpfen, direkt oder indirekt, macht es nur stärker. Kein Wunder also, dass ihre Traurigkeit mit so einer Wucht wiederkam.

Sie lernte, dass sie es todunglücklich macht, wenn sie dauerhaft glücklich sein will. Dann ist sie nicht mehr ganz, denn dann fehlt ihr eine wichtige Tiefe. Eine Tiefe, die sie in Wahrheit nicht abstürzen lässt, sondern auffängt, wenn sie sich um sie kümmert. Anna weiß inzwischen, dass es okay ist. Weil die Traurigkeit zu ihr gehört und viel Gutes für sie tut. Sie bringt sie voran, macht sie kreativ, dankbarer, sensibler, tiefer. Vor allem aber weiß sie: Die Traurigkeit ist für und nicht gegen sie.

In Zeiten des Glücks-Hypes gerät das schnell in Vergessenheit. Doch ich möchte mich in Zukunft wieder mehr um alles kümmern, was zu mir gehört. Weil es leichter wird, wenn auch das Schwere da sein darf.

Mehr unter Warum Du traurig bist und unter Wie man seelische Wunden heilen kann.

Photo: Mask / Shutterstock