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Text von: Christina Fischer

Es war die heiße Phase. Die Abschlussprüfungen standen an und ich verzweifelte bereits bei der Prüfungsanmeldung an der Uni-Bürokratie. Im Hinterkopf lauerten zermürbende Gedanken: „Was, wenn mein Abschluss nicht gut wird?“ „Was, wenn ich keinen Job finde?“ Schon hörte ich diverse „Ich-habs-dir-doch-Gesagts“ in meinen Ohren klingeln: „War doch klar, dass mit einem Germanistik-Studium nichts aus Dir wird.“

Gleichzeitig war meine finanzielle Lage gerade ziemlich mies. Ich jonglierte mit zwei Studentenjobs, für die ich aber wiederum keine Zeit hatte, da ich ja lernen musste. In meinen Gedanken erklärte ich meinen Arbeitgebern auf Knien, warum ich schon wieder keine 20 Stunden arbeiten konnte und diskutierte mit mir selbst darüber, warum ich dieses Studienfach gewählt hatte.

So tobte es in meinem geschundenen Hirn. Ich saß am Rheinufer und blickte aufs Wasser. Aber ich sah nichts davon wirklich. Vor meinen Augen waren nur meine Probleme, meine Horrorszenarien, meine eingebildeten Diskussionen.

Der große Knall

Als es in meinem Sichtfeld plötzlich schwarz wurde und mein Herz anfing zu rasen, war mir klar; Es ist aus mit mir, ich werde jetzt sterben. Mir wurde übel, gleichzeitig war mir kalt und in meinem Hals steckte ein unglaublich fetter Kloß. Mein Körper spielte vollkommen verrückt, ich war nicht mehr Herrin der Lage (aber wann war ich das eigentlich überhaupt zuletzt gewesen?).

Wider Erwarten erlebte ich nicht mein letztes Stündlein, aber dafür eine fiese Panikattacke.

Wie konnte mir das passieren?

Anstatt selbst das Ruder in der Hand zu behalten, hatte ich meine Befürchtungen, die Erwartungen anderer und jede Menge eingebildete Zweifel, Sorgen und Ängste die Kontrolle übernehmen lassen. Mein Körper tat etwas, aber mein Geist war an tausend Orten gleichzeitig und weit, weit weg. Das alles war mir nun mit einem Knall gründlich um die Ohren geflogen.

Mangelware Achtsamkeit

Dabei hätte ich genauso gut einen wunderbaren Moment der Ruhe erleben können, damals am Rheinufer. Vielleicht hätte ich einen schönen Sonnenuntergang gesehen oder einfach nur festgestellt, dass ich in Taubenkacke saß – wer weiß. Doch ich war beschäftigt mit tausend anderen Dingen und Fragen in meinem Kopf. Fragen, die ich in diesem Moment ohnehin nicht hätte beantworten können. Dingen, die ich in diesem Moment sowieso nicht hätte erledigen können.

Und so geht es uns allen viel zu oft. Wir reiben uns auf an Erwartungen anderer, hämmern mit Selbstzweifeln auf uns ein, wälzen Befürchtungen in unseren Hirnen hin und her wie hundert Kilo schwere Ölfässer. Wir denken, dass wir einen Plan für alles brauchen – und das am besten seit gestern. Und im Nacken sitzt uns die ganze Gesellschaft mit ihrem Korsett an Erwartungen, in das wir uns gewaltsam pressen wollen, um ja nicht unangenehm aufzufallen. In diesem selbstgebauten Hamsterrad strampeln wir uns viel zu oft ab. Was auf der Strecke bleibt, ist der Moment, der gerade ist. Unsere Achtsamkeit. Das Einfach-mal-Loslassen.

„Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt“

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Schreib’ Deine Geschichte wieder selbst

Statt uns unser Leben – unsere Geschichte – von äußeren (tatsächlichen und eingebildeten) Zwängen diktieren zu lassen und nach diesem Drehbuch zu leben, sollten wir dringend öfter selbst den Stift in die Hand nehmen. Wir sind die Hauptperson in diesem Stück, das unser Leben ist. Und da uns nur diese eine Rolle auf den Leib geschrieben ist, sollten diese doch auch ausfüllen. Dazu müssen wir jedoch erst einmal dort ankommen, wo wir gerade sind: Im Hier und Jetzt.

Wenn Dein Leben ein Roman wäre …

Warum entspannt es uns, wenn wir ein gutes Buch lesen? Einer der vielen Gründe ist wohl: Weil wir voll und ganz in die Geschichte eintauchen und dabei unseren Alltag mit all seinen Forderungen draußen lassen. In einer guten Geschichte sind wir nah am Protagonisten. Wir sehen, was er sieht, riechen, was er riecht, schmecken, was er schmeckt – und das gefühlt in Echtzeit. Wenn ein Autor eine Szene in einem Buch zum Leben erwecken will, muss er sie beschreiben – mit allen nötigen Details. Nur so kommt der Leser tatsächlich in dem Moment an, den der Protagonist in der Story erlebt.

Genau diesen Effekt können wir auch für uns nutzen, um in unserem eigenen Hier und Jetzt anzukommen – gerade dann, wenn uns die Achtsamkeit mal wieder verlassen hat.

Beschreibe den Moment wie in einem Roman – Eine Variante der 5-4-3-2-1-Übung nach Yvonne Dolan

Es gibt einen Trick, der mir oft sehr geholfen hat, meine Achtsamkeit recht schnell wiederzufinden und mich von den Ängsten und Sorgen zu befreien. Dafür kannst Du Dir folgendes vorstellen:

Du bist der Autor der Geschichte, die sich gerade abspielt, und blickst auf Dich als Protagonisten. Was ist um Dich herum? Wo befindest Du Dich? Was tust Du gerade?

Welche Geräusche umgeben Dich? Wonach riecht es? Wie fühlt sich der Boden an, auf dem Du stehst, der Stuhl, auf dem Du sitzt? Ist es kalt, ist es warm? Wie ist das Licht? Beschreibe all das in Gedanken, genau so, als würdest Du eine Situation in einem Roman darstellen wollen. Geht bis ins Detail – tobe Dich künstlerisch richtig aus. Beschreibt den Moment so lange und so ausführlich, bis Du wirklich da bist: Bei Dir selbst in Deinem Hier und Jetzt.

Wichtig ist, dass Du Dich auf das Außen konzentrierst und nicht auf Dein Inneres, wo Deine Gedanken kreiseln, wild mit den Armen rudern und beachtet werden wollen. Um die notwendige Distanz zum Gedankenwirrwarr zu wahren, kannst Du die Geschichte auch in der dritten Person erzählen und für zusätzlichen Abstand gern auch in der Vergangenheit (z.B. „Christina saß an ihrem Schreibtisch. Es duftete nach dem Milchkaffee, den sie sich gerade erst über ihre Hose geschüttet hatte…“).

Wenn Gefahr in Verzug ist (Du zum Beispiel gerade eine Panikattacke am idyllischen Rheinufer hast) oder Dir einfach mal die Worte fehlen, kann auch die „5-4-3-2-1-Übung“ der Psychologin Yvonne Dolan helfen, an die die obige Schreib-Übung angelehnt ist. Sie geht ähnlich – nur ohne die Roman-Komponente: Du nennst zuerst fünf Dinge, die Du siehst. Dann fünf Dinge, die Du hörst. Und danach fünf Dinge, die Du fühlst – nicht emotional, sondern nur körperlich (etwa einen Druck im Bauch, einen Kloß im Hals, …). In der nächsten Runde nennst Du noch mal vier Dinge, die Du siehst, hörst und fühlst. Dann drei, und so weiter. Nach wenigen Minuten solltest Du Dich auf diese Weise selbst am Schlafittchen zurück in Deine Gegenwart gezogen haben.

Der Autor Joseph Conrad sagte: „Das Ziel des Schreibens ist es, andere sehen zu machen“. Das (geistige) Schreiben kann uns jedoch auch selbst sehen machen. Und zwar den Moment, den wir erleben und in dem selten alles so schlimm ist, wie es uns die Gedanken im Kopf weismachen wollen.

Mehr dazu unter Von Zorn befreien in 60 Sekunden und im myMONK-Buch zur Achtsamkeit Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt.

Photo: Man Bartlett