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Text von: Romy Hausmann

Hallo, mein Name ist Romy und ich habe ein Problem. Ich bin süchtig nach To-do-Listen.

Hätte es jemals eine Selbsthilfe-Gruppe für Häkchen-Kranke gegeben, wäre ich zweifelsohne beigetreten. Kein Tag meines früheren Lebens startete, ohne dass ich am Abend zuvor eine Liste verfasst hätte, mit all den Dingen, um die ich mich kümmern musste. Sie war mein Fahrplan durch den Alltags-Parcours, mein zweites Gehirn auf Din A3 – und es machte mich glücklich, Häkchen hinter erledigte Aufgaben zu setzen. Schwarz auf Weiß stand da abgehakt, was ich alles auf die Reihe gekriegt hatte. Die Häkchen-Parade, die sagte: Du bist Super-Woman. Bist unfassbar produktiv. Eine Macherin. Applaus für Dich!

Was anfangs in wohlgemerkt kleinerem Rahmen durchaus sinnvoll war, nahm sehr bald seltsame Züge an. Auf meiner To-do-Liste standen nun nicht mehr nur Punkte wie „Rechnung Haftpflicht überweisen“ oder „Redaktions-Meeting vorbereiten“, sondern zunehmend auch Kleinigkeiten. „Smoothie trinken“, „Nägel lackieren“ „Mama anrufen“ oder „um 22 Uhr ins Bett gehen“. Ich musste, musste, musste so viel wie möglich abhaken, einfach weil es sich so gut anfühlte. Kein Wunder eigentlich, denn jedes Häkchen bedeutete Erfolg für mich. Und Erfolg sorgt dafür, dass in unserem Gehirn das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird.

Ich war also ein Junkie, voll druff auf „To-do“…

Warum wir To-do-Listen lieben: Der „Zeigarnik-Effekt“

1927 reiste die russische Psychologin Bljuma Zeigarnik für einen Forschungs-Aufenthalt nach Berlin. Sie wollte ein Phänomen untersuchen, das sie kurz zuvor in einem Café beobachtet hatte: Der Kellner dort hatte mehrfach hintereinander zahlreiche Bestellungen im Kopf aufgenommen, an die er sich problemlos erinnern konnte – bis zu dem Moment, indem er sie servierte. Danach wusste er nicht mal mehr, ob er jemandem einen Kaffee oder ein Stück Kuchen gebracht hatte.

Zeigarnik fragte sich, wie das möglich war. Also führte sie während ihres Aufenthalts in Berlin ein Experiment an der Uni durch, bei dem sie 164 Teilnehmer verschiedene Aufgaben lösen ließ: Sie sollten ein Tier nachkneten, eine Blume malen, häkeln oder Perlen auffädeln. Manche dieser Aufgaben durften die Probanden fertig machen, bei anderen wiederum wurden sie mittendrin von Zeigarnik unterbrochen. Anschließend überprüfte die Psychologin, an wie viele ihrer Aufgaben sich die Testpersonen noch erinnern konnten. Das Ergebnis: Unabhängig von Alter und Bildungsgrad blieben den Leuten die unerledigten Aufgaben bis zu 90 Prozent besser im Gedächtnis haften. Dieses Phänomen wurde unter dem Namen „Zeigarnik-Effekt“ bekannt: Offenbar streicht das Gehirn erledigte Aufgaben sofort aus dem Gedächtnis, während es uns an Unerledigtes erinnert – und zwar so lange, bis wir es endlich auch erledigt haben.

An der Florida State Universität wurde weiter zum „Zeigarnik-Effekt“ geforscht und festgestellt:

Wenn Probanden eine Aufgabe nicht abschließen konnten, hatten sie später Probleme mit den einfachsten Brainstorming-Übungen. Der Grund: Im Kopf waren sie weiterhin mit der unerledigten Aufgabe beschäftigt und konnten sich deshalb nicht auf ein neues Thema konzentrieren.

Im zweiten Versuch ließen durften die Probanden ihre unerledigten Aufgaben auf einer To-do-Liste notieren. Es kam heraus: Die Liste hatte denselben Effekt, als wäre die Aufgabe bereits erledigt. Die Köpfe der Teilnehmer waren wieder frei und sie konnten ihre Aufmerksamkeit problemlos auf etwas anderes richten.

Zusammengefasst lautet das Forschungs-Ergebnis also: To-do-Listen sind wie ein externer Arbeitsspeicher, befreien uns von lästigen Nebenwirkungen wie dem „Zeigarnik-Effekt“ und rücken Ablenkungen aus dem Blickfeld.

Wenn aus „To do“ allmählich „To be“ wird

Da haben wir’s: To-do-Listen sind das optimale Mittel für ein besseres Zeitmanagement im Alltag. Sagen Forscher, Psychologen, Erfolgs-Coaches. Trotzdem kam ich ins Grübeln, als mein Freund eines Tages eine meiner Listen fand und mich fragte, warum dort der Punkt „Müll raustragen“ notiert stand.

„Der müffelt schon“, stellte er fest. „Dass der dringend raus muss, braucht man ja wohl nicht extra aufschreiben. Das riecht man doch.“ Und er hatte Recht. Zumal „müffelt“ auch noch ziemlich geschönt war. In meinem Abfalleimer – so roch es zumindest – verwesten Leichenteile, gemischt mit Fischkonserven und Käsefüßen. Das war der Punkt, an dem ich mich fragen musste, ob ich ohne meine To-do-Listen und die Aussicht aufs belohnende Häkchen-Setzen von selbst eigentlich gar nichts mehr auf die Reihe bekam. Ob ich blind (geruchsblind ja anscheinend sowieso) für mein Leben geworden war.

Die Bestseller-Autorin Shirley Seul hält das für wahrscheinlich. Sie sagt: „Wenn ich Tag für Tag nur noch To-do-Listen abarbeite, ist mein ganzes Leben irgendwann eine To-do-Liste. Spontane Ereignisse, auch die Schönen, werden dann als Störung gewertet. Man glaubt, mit einer Liste hat man alles unter Kontrolle. Es fragt sich bloß, ob es der Sinn des Lebens ist, es unter Kontrolle zu bringen.“

Abgesehen von meinem Müll, der tatsächlich schnellstens raus musste, fiel mir auf, wie viele – eigentlich schöne und lebenswerte – Dinge inzwischen auf meiner Liste gelandet waren. Sport zum Beispiel. Mochte ich es überhaupt noch, zum Sport zu gehen und mich auszupowern? Oder ging ich nur noch hin, um eine Aufgabe abhaken zu können? Ein Treffen mit Freunden. Meine Mutter anrufen. Ein Bad nehmen. Plötzlich schienen all diese Dinge nur noch Erledigungen zu sein – und das, wo ich das „To-do“-System doch ursprünglich einmal eingeführt hatte, um meine Zeit besser zu organisieren. Es sollte dafür sorgen, dass ich meine Aufgaben schneller und effektiver erledigte, um dann eben wiederum mehr Zeit für die schönen Dinge zu haben, die mir wirklich etwas bedeuten.

„Ein Kennzeichen des Lebens ist seine Unberechenbarkeit“, sagt auch Shirley Seul. „Wer versucht, das Leben ‚abzuarbeiten’ wie eine Liste, verhindert damit genau die wundervollen Situationen, in denen wir uns besonders lebendig fühlen.“

Wie eine sinnvolle To-Do-Liste aussehen könnte

Zudem, sagt Shirley Seul, entstehe beim exzessiven Häkchen-Setzen auf Dauer noch ein ganz anderes Problem: „Wenn man sich zu viel aufbürdet, die Dosis steigert, immer mehr schaffen will, setzt man sich selbst unter Leistungsdruck. Das mag eine Weile gut gehen, doch dann fühlen wir uns genervt, gestresst, urlaubsreif.“

Mittlerweile habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, Aufgaben, die nicht länger als zwei Minuten dauern und nur wenige Handgriffe brauchen (wie zum Beispiel „Müll rausbringen“ oder „Bett machen“) gar nicht erst aufzuschreiben, sondern direkt zu erledigen. Ansonsten halte ich es grob mit der 1-3-5-Methode.

1: Ganz oben auf meiner Liste steht nur ein einziger Punkt. Der wichtigste, manchmal auch einfach nur ätzendste für den entsprechenden Tag. Der ekelhafte Frosch sozusagen, nach dem englischen Ausspruch „Eat the Frog!“ („Iss den Frosch!“), der empfiehlt, die gefühlt schlimmste, anstrengendste oder zeitaufwendigste Aufgabe gleich zu Beginn des Tages zu erledigen, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch über die größte Willenskraft verfügen.

3: Darunter kommen drei ebenfalls wichtige, aber nicht ganz so „froschige“ Aufgaben, die an diesem Tag ebenfalls zu erledigen sind.

5: Schließlich schreibe ich noch ein paar Dinge auf, die ich heute erledigen könnte, aber nicht zwingend muss (dabei aber nie mehr als 5.).

Diese Methode kann dabei helfen, sich überhaupt erst einmal über die eigenen Prioritäten klar zu werden. Es gibt allerdings noch viele weitere Modelle, die in Summe aber alle eine Aussage gemeinsam haben: Eine To-do-Liste sollte nicht zu lang sein, sondern einfach und überschaubar bleiben. Sie sollte nicht zum Lebenszweck werden (Abhaken! Abhaken! Abhaken!) und uns nicht zu Maschinen machen (Muss. Unbedingt. Abhaken.). Und an manchen Tagen, wie am Wochenende oder im Urlaub, kann sie vielleicht auch mal ganz wegfallen – oder nur einen – den allerwichtigsten – Punkt enthalten: „Leben“.

Mehr unter Das Zen des Beginnens – Wie man endlich anpackt, was man schon ewig vor sich herschiebt und unter 5 Gründe, um 5 Uhr morgens aufzustehen (und wie Du das scharfst).

Photo: To do list / Shutterstock | Inspiriert von: Louise Chunn