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Susanne steht am Fenster und raucht. Draußen ist es grau. In ihr wechselnd blutig-rot wie eine offene Wunde, dann wieder sargschwarz. Früher konnte sie Ringe in die Luft hauchen, manchmal erinnerte die Wolke sogar ein bisschen an ein Herz. Seit einer Weile kommt höchstens noch was zwischen Hundehaufen und Atompilz, wenn sie den Rauch ausbläst.

Susannes Mann hat sie verlassen, für eine Ältere, von heute auf morgen.

Es ist aus, hat er gesagt. Es ist aus, es ist aus …

Er ist weg und er hat die ersten drei Buchstaben aus gemeinsam mitgenommen.

Sie kann und will sich nicht mehr so fühlen wie in diesen letzten Monaten, die sich über die Zeitachse ausbreiteten wie Ewigkeiten, eine Stunde so lang wie ein Tag, ein Tag so lang wie ein Jahr festsitzen in der Hölle.

Also ist Loslassen wohl die Antwort. Das hat sie gelesen und ja, sie will, will, will loslassen. Den Schmerz, den Partner, der nicht mehr ihrer ist, nach über sechs Jahren. Die Bilder in ihrem Kopf, von ihm und seinem neuen Leben, die von innen auf ihre Tränensäcke einprügeln.

Das falsche Loslassen

Immer wieder versucht sie es. Setzt sich auf die Couch oder legt sich ins Bett. „Lass los, Susanne.“ Sie wartet ab. „Loslassen“, wiederholt sie. Nichts passiert. „Jetzt lass endlich los, Scheiße!“ Aber der Schmerz ist da und bleibt, die Traurigkeit, die Wut. Es funktioniert nicht. Am nächsten Tag versucht sie es wieder. Diesmal will sie mit dem Schmerz verhandeln. „Schmerz, ich lasse Dich fünf Minuten lang da sein, aber dann haust Du wirklich ab, okay?“ Einen Moment lang scheint’s ihr besser zu gehen, sie wird ruhiger. Doch als sie beginnt, sich etwas sicherer zu fühlen, ist er wieder da, dieser miese, verdammte Schmerz.

Susanne hat die falsche Art des Loslassens kennengelernt (eine Art, die mir selbst bestens vertraut ist). Das heißt, die Art des Loslassens, die nicht funktioniert, nie. Loslassen ist auf diese Weise nur ein weiterer Versuch, Kontrolle über die Gefühle zu erlangen. Genauso wie sie zu verdrängen, sie wegzudrücken, sich abzulenken.

Es ist, als würden wir auf eine geschlossene Zange „Loslassen“ schreiben: Es bleibt eine geschlossene Zange, ein Werkzeug, das kontrollieren und manipulieren will.

„Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt“

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Das richtige Loslassen

Die richtige Art des Loslassens – das heißt jene, die funktioniert – geht anders. Loslassen heißt nicht loswerden. Sondern da sein lassen. Der buddhistische Mönch Ajahn Brahm schlägt folgenden Satz vor:

„Schmerz, die Tür zu meinem Herzen steht Dir offen, ganz gleich, was Du mir antust.“

Und: ganz gleich, wie lange Du es mir antust. Ich hab echt wenig Lust darauf, aber wenn es so sein soll, mein ganzes restliches Leben.

So geben wir die Kontrolle ab, die zu nichts führt. Wir räumen dem Schmerz ein Bleiberecht ein.

Scheinbar paradoxerweise wird er gerade dann viel eher wieder abreisen. Denn worum es ihm wirklich geht, was er wirklich will, ist die uneingeschränkte Einladung und Freiheit. Er will gar nicht für immer bleiben, sondern nur die Erlaubnis haben, da sein zu dürfen.

So wie ich, und so wie Du wahrscheinlich auch.

Mehr dazu unter Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt und im myMONK-Buch Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt.

Photo: Pedro Ribeiro Simões