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Johanna Schuh leitet das „Insightvoice Naikan Center“ in Wien, in dem Menschen mittels Achtsamkeitstechniken, der Naikan-Innenschau, Zen und Stimme und Gesang hilft, sich weiterzuentwickeln. Im Interview spricht Johanna mit mir vor allem über das hierzulande recht unbekannte, aber mächtige Naikan.

Wie haben Sie Naikan kennen gelernt – und an welches Gefühl oder welche Situation aus der ersten Sitzung können Sie sich besonders gut erinnern?

Als ich mit 23 Jahren nach einem passenden Berufsweg für mich gesucht habe, besuchte ich diverse Kurse, um verschiedene Bereiche kennenzulernen. In einem Massagekurs wollte ich herausfinden, ob Körperarbeit das richtige wäre – das war es nicht, aber der Leiter des Kurses war Josef Hartl (*1961 †2005), ein Naikan-Leiter, der mir später von Naikan erzählte. Rückzug, Zeit für sich selbst haben, herausfinden, wie man wirklich ist, ohne dass ein anderer sagt, wie ich sein soll – das faszinierte mich und machte mich neugierig.

Mit 25 Jahren besuchte ich zum ersten Mal eine Naikan-Woche und war tief beeindruckt. Es gab viele intensive Momente. Vor allem meine Eltern und mein Bruder erschienen in einem ganz neuen Licht. Bis dahin war zum Beispiel der Schmerz nicht verstanden zu werden im Vordergrund. Bei Naikan erkannte ich: Wenn ich nicht mitteile, was mich beschäftigt, dann kann ich gar nicht verstanden werden. Ich könnte noch mehr Dinge nennen, die mir über mein eigenes Verhalten klar geworden sind. Das Schlüsselerlebnis war für mich: Die anderen Menschen tun, was ihnen möglich ist. Meine eigenen Erwartungen hindern mich daran zu erkennen, wo mir Zuneigung, Liebe, Wertschätzung entgegengebracht werden.

Was ist Naikan und wie lauten die drei Naikan-Fragen?

Naikan kommt aus Japan und bedeutet übersetzt „Innenschau“. Die Naikan-Methode ist eine Form der Selbstreflexion, bei der man sich in die Stille zurück zieht und das eigene Erleben in Bezug auf Personen (oder Themen) reflektiert:

1. Naikan-Frage: Was hat dieser Mensch im Zeitraum X für mich gemacht?
2. Naikan-Frage: Was habe ich für diesen Menschen in diesem Zeitraum gemacht?
3. Naikan-Frage: Welche Schwierigkeiten habe ich diesem Menschen in diesem Zeitraum verursacht?

In der klassischen Form nimmt man sich für eine konzentrierte Innenschau eine Woche lang Zeit. Die Technik der 3 Naikan-Fragen können Sie auch ohne Naikan-Seminar sofort und jederzeit im Alltag anwenden.

Naikan-Innenschau dient der Selbsterfahrung und persönlichen Weiterentwicklung im ganzheitlichen Sinne. Selbstbeobachtung und Selbsterkenntnis sind die Basis für das Anerkennen, Verstehen, Begreifen, Entwickeln, Annehmen der eigenen Wesensart in allen Bereichen des Menschseins: auf geistiger, seelischer, emotionaler, spiritueller, körperlicher Ebene.

Was bedeutet „innerer Frieden“ und wie kommt es, dass wir so häufig mit uns selbst im Krieg zu sein scheinen?

Innerer Frieden bedeutet aus meiner Sicht, alles, was mich selbst ausmacht, als Teil meines Wesens anzuerkennen – alle Sonnen- und Schattenseiten, alle Stärken und Schwächen, alle schönen und leidvollen Erfahrungen und Eigenschaften. Dabei lernen, wie ich mein Leben in eine für mich heilsame Richtung steuern kann. Ich brauche eine Ausrichtung, ein Ideal – und darf dabei nicht vergessen, dass das Idealbild und die Realität immer auseinanderklaffen werden. Weil Ideal und Realität niemals übereinstimmen, leben wir in einem ständigen Spannungsfeld – ich muss lernen, mit allen Widersprüchen meinen Weg zu gehen.

Warum sind wir so häufig mit uns selbst im Krieg? Weil wir die Realität anders haben wollen, als sie ist. Wir wollen besser, erfolgreicher … jedenfalls anders sein, als wir sind. Wir arbeiten gegen Eigenschaften, die uns stören. Meine Beobachtung und Erfahrung hat mich gelehrt, MIT dem zu arbeiten, was da ist, und nicht dagegen. Das ist es, was Frieden schafft – in der Innenwelt und im Außen.

Was passiert aus Naikan-Sicht mit uns, wenn wir unsere Lebenszeit mit einem Job zubringen, der uns nicht erfüllt? Und können wir mit Naikan auch unsere „Berufung“ entdecken?

Egal, was du tust – es ist wichtig, wie du es tust. Sei dir bewusst, was deine Handlungen für andere und für dich selbst bewirken – das ist die Naikan-Sicht auf jedes Thema. Naikan sagt nur, dass man die Situation und die Menschen, die z.B. mit dem Thema Beruf zusammenhängen, mit den Naikan-Fragen genau unter die Lupe nehmen kann. Naikan selbst gibt keine Antwort, denn die Antwort muss jeder in sich selbst finden.

In jeder Hinsicht geht es darum, das Leben selbst zu leben und nicht von den Umständen gelebt zu werden. Für manche Menschen ist es wichtig einen sinnerfüllten Beruf auszuüben, für andere nicht. Das ist sehr individuell. Grundsätzlich ist es wichtig, möglichst im Einklang mit dem eigenen individuellen Sein zu leben und gleichzeitig gelingende und wertschätzende Beziehungen im privaten und beruflichen Umfeld zu pflegen. Wenn das nicht gelingt, leiden wir und werden früher oder später krank.

Ja, es ist möglich, mit Naikan seine Berufung zu entdecken. Ich betone: Es ist möglich, denn es gibt keine Garantien im Naikan. Sie können ein Thema oder eine Frage beleuchten, aber wann sich die Antwort im Inneren zeigt kann man nicht erzwingen. Im Rückzug, wenn die Ablenkungen des Alltags wegfallen und wenn man sich in einem geschützten Umfeld befindet, ist es leichter, die wirklich wesentlichen Dinge in sich selbst zu erkennen.

Kann man Naikan auch alleine, ohne erfahrenen Lehrer betreiben?

Ja, Naikan als Werkzeug im Alltag ist sehr wirkungsvoll. Durch die Frage-Technik lernt man, die eigenen Anteile in Beziehungen und in Situationen herauszufiltern – und zwar in Eigenregie. Außerdem kann man durch die Naikan-Fragen Gedanken- und Gefühlsspiralen, die sich ewig im Kreis drehen, unterbrechen.

Allerdings kann Naikan nicht die volle Wirkung entfalten, wenn man allein Naikan macht, denn in diesem Fall arbeitet man mit Naikan als Fragetechnik, nicht jedoch mit Naikan als Rückzugsphase. Der Rückzug in die Stille in Kombination mit der Begleitung durch einen erfahrenen Lehrer bewirkt einen geschützten Rahmen. Dadurch können tiefer liegende Themen ins Bewusstsein kommen, die im Alltag (aus gutem Grund) nicht zugänglich sind.

Wie lange muss man Naikan praktizieren, bis man nachhaltige Wirkungen verspürt?

Schwierige Frage, weil das sehr individuell ist. Idealerweise macht man eine Naikan-Woche, fast alle Menschen berichten von nachhaltigen Wirkungen aus dieser Woche.

Die Bandbreite an Wirkungen ist sehr groß. Ich weiß von Naikan-Übenden, die durch eine Naikan-Woche dauerhafte positive Veränderungen erlebt haben, andere wiederum haben in wenigen Bereichen Veränderungen erlebt und müssen sich vieles nachher erarbeiten, manche spüren die Wirkung Monate oder Jahre und dann wird sie schwächer, und vereinzelt gibt es Menschen, die enttäuscht sind, weil die Erfahrungen rasch im Alltag verloren gegangen sind. Ich habe auch Menschen begleitet, die an einem einzigen Naikan-Wochenende eine tiefgreifende Erfahrung gemacht haben, die ihr weiteres Leben positiv beeinflusst hat.

Die Empfehlung lautet: Machen Sie eine Woche Naikan, denn dann haben Sie Ihre Lebensgeschichte geordnet und mit den Naikan-Fragen neue Perspektiven auf Ihr Leben gewonnen.

Wie passen Zen-Meditation und Naikan zusammen?

Sowohl Zen als auch Naikan sind aus dem buddhistischen Weltbild entstanden, das bildet eine Art gemeinsame Heimat. Was die Methoden betrifft sind sie vollkommen unabhängig und recht verschieden, aber sie können einander unterstützen und ergänzen. Zen und Naikan arbeiten beide mit dem Element der Stille und der Aufforderung: Sieh einfach, was ist, bewerte es nicht. Beide fordern dazu auf, sich selbst zu erkennen und die Erkenntnisse in den Alltag umzusetzen.

Naikan konzentriert sich auf den Kontakt mit anderen und fragt ganz konkret, wie diese Begegnungen ablaufen. Die Methode arbeitet dort, wo das Ich und das Du in Berührung gehen. Zen konzentriert sich darauf zu üben, wie man in jeder Situation Haltung bewahren kann. Dabei arbeitet Zen daran, Körper und Geist auszurichten und an nichts anzuhaften. Beide Methoden haben als „Nebeneffekt“ die Klärung, was innerlich abläuft. Die Kombination aus beiden Methoden ist aus meiner Erfahrung eine feine Sache.

Wo können die Leser mehr über Sie und Ihre Arbeit erfahren?

Meine Website www.insightvoice.at gibt Information über mich und meine Arbeit mit Naikan-Innenschau, Zen-Meditation, Stimmtraining & Gesang. Dort finden Sie auch kostenlose Ebooks zum Download, Links zu meinen Büchern und mehr.

Herzlichen Dank!

PS: Mehr über Naikan und Zen könnt ihr in den kostenlosen Ebooks von Johanna erfahren, siehe Ebook Naikan Einfuehrung  und Ebook Herz Geist Zen.

 

Photo (oben): Leland Francisco