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Ähhemmm, räusper, räusper. Unangenehmes Thema. Aber wir kommen nicht drum rum.

Ich werde sterben.

Ja. Wirklich.

Und Du auch.

Ähhemmm.

Ja, Du auch.

Bei den anderen sieht man das ja noch ein. Aber bei einem selbst … am besten nicht dran denken. Das Leben ist doch hart genug, warum dann noch freiwillig Gedanken an den Tod verschwenden.

Oder?

Tun wir so, als würden zumindest wir selbst nie sterben, Du und ich, dann  geht’s uns wie dem Mann oder der Frau in der folgenden Sehrkurzgeschichte von Joey Goebel:

Seine Methode war immer dieselbe:

er strangulierte seine Opfer von hinten,

während sie am Compu-

Kalt erwischt. Aus heiterem Himmel.

Ich finde, wir müssen nicht unbedingt über den eigenen Tod nachdenken. Nicht darüber, was uns danach erwartet – schließlich werden wir keine sichere Antwort darauf bekommen, ob wir in den Himmel oder die Hölle oder in ein neues Leben geführt werden als König oder als Schweinchen, das schon bald als Mett-Igel verarbeitet und vom König verputzt wird, oder als Grashalm, der noch davor vom Schweinchen verputzt wird, oder ob einfach gar nichts passiert, das Licht ausgeht und der Raum selbst damit verschwindet. Oder etwas ganz anderes.

Aber: an den eigenen Tod zu denken, das ist was anderes.

(Dass ich vielleicht etwas flapsig darüber schreibe, heißt nicht, dass ich ihn nicht tragisch und furchtbar schmerzhaft finde.)

Warum wir den Tod brauchen und an ihn denken sollten

Wir brauchen den Tod.

Wir – als ein Mitglied der Lebewesen – denn sonst wäre die so schon überbevölkerte Erde, es gäbe keinen Platz mehr für neues Leben.

Und vor allem:

Wir – für uns selbst – denn ohne den bevorstehenden Tod würden wir gar nicht richtig leben.

Schon der römische Philosoph Seneca (und sicher auch Leute vor ihm) sagten:

Wäre unsere Zeit auf der Welt nicht begrenzt, hätten wir keinen Ansporn, irgendetwas zu tun. Wir könnten es uns erlauben, erst mal noch zu chillen und vielleicht morgen loszulegen und etwas Schönes oder Sinnvolles zu unternehmen … und wir würden es uns auch erlauben. Bis in alle Ewigkeit.

Erst durch den Tod und unsere durch ihn begrenzte Lebenszeit sorgen wir uns um uns selbst und gestalten unsere Zeit.

Je weniger wir daran denken, dass wir sterben werden, umso mehr Macht geben wir dem Tod. Denn wenn wir nicht an ihn denken, neigen wir viel mehr dazu, Zeit zu verschwenden und auf das Leben zu warten, statt es so zu verbringen und auszukosten, wie wir es uns im Grunde unseres Herzens wünschen.

An den Tod zu denken macht uns nicht zu deprimierten Grufties, die Särge auf eBay ersteigern, um darin zu schlafen.

Es ist nicht morbide, sondern lebensbejahend, weil wir unsere Zeit dadurch zu schätzen lernen, weil wir sie dadurch wirklich spüren und nutzen. So sahen es auch schon die alten Ägypter: nach jeder Speise riefen sie sich den Tod ins Gedächtnis, um sich erst recht über das Geschenk des Lebens zu freuen.

Du wirst sterben … wie willst Du zuvor leben?

Was ist Dir angesichts Deiner beschränkten Zeit wichtig … sind es wirklich Geld und Besitz und Status, denen Du hinterherjagen möchtest?

Und wie möchtest Du mit Deinen Lieben und allen anderen … auf die ebenfalls der Tod wartet?

Ist das Leben zu kurz?

Seneca schreibt in „Von der Kürze des Lebens“ – und das spannt den Bogen zurück auf die Überschrift dieses Textes: das Leben ist (Schicksalsschläge außen vor gelassen, die es dramatisch verkürzen) eigentlich gar nicht zu kurz. Gehen wir es richtig an, dann wird es uns als lang genug vorkommen:

Aber nein, wir haben keine zu geringe Zeitspanne, sondern wir vergeuden viel davon. Lang genug ist das Leben und reichlich bemessen auch für die allergrößten Unternehmungen – wenn es nur insgesamt gut angelegt würde. Doch sobald es in Verschwendung und Oberflächlichkeit zerrinnt,  sobald es für keinen guten Zweck verwendet wird, dann spüren wir erst unter dem Druck der letzten Not: Das Leben, dessen Vergehen wir gar nicht merkten, ist vergangen. So ist es nun einmal: Wir haben kein kurzes Leben empfangen, sondern es kurz gemacht; keinen Mangel an Lebenszeit haben wir, sondern gehen verschwenderisch damit um.

Für die Zeitverschwendung verantwortlich sind Seneca zufolge, ich zitiere:

  • unersättliche Habgier
  • geschäftige Betriebsamkeit mit völlig überflüssiger Plackerei
  • Abhängigkeit von der Meinung anderer und daraus folgender Ehrgeiz
  • freiwillige Knechtschaft im Dienst undankbarer Herren / Streben nach fremdem Glück
  • Ziellosigkeit und Hindämmern im Nichtstun

Regelmäßig an den eigenen Tod zu denken lässt uns unsere Zeit GEbrauchen statt sie nur zu VERbrauchen, wie Wilhelm Schmid schreibt, schützt uns vor Zeitverschwendung.

Zurückdenken und vorausschauen und dann entscheiden, was es im Moment zu tun gilt – sich die Zeit also bewusst einteilen (er glaubt nicht an den Unsinn vom ständigen Leben im Hier und jetzt). Dazu gehören Aktivitäten natürlich genauso wie Muße. Muße der Muße selbst wegen und um immer wieder den nötigen Abstand zu gewinnen, der uns davor bewahrt, gedankenlos bis ins Grab rennen, ohne uns zuvor je nach der Richtung gefragt zu haben.

Dann ist unser Leben gut verbracht und lang genug.

Dann ist es kostbar, an den eigenen Tod zu denken.

Mehr unter Loslassen lernen – Eine Übung aus dem Buddhismus und unter Das dunkle Geheimnis der glücklichsten Menschen der Welt.

Photo: Thomas Leuthard