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Text von: Romy Hausmann

Samstagnacht im Club. Thorben tanzt wie unter Strom gesetzt. Als hätten ihn die bunten Laserblitze getroffen und ernsthaft verwundet. Ja, er muss Schmerzen haben, so unkoordiniert wie er da auf der Tanzfläche rumhampelt. Mann, ist der peinlich.

Und Anna erst! Die hat sich auf der Weihnachtsfeier letzte Woche so besoffen, dass sie ihrem Chef auf die blankpolierten Lackschuhe gekotzt hat. Vor allen Leuten!

Und dann Klaus: Er hat die Blondine im Sportstudio nach einem Date gefragt und eine ordentliche Abfuhr kassiert. Was für eine Blamage vorm kompletten Aerobic-Kurs! Das war’s dann wohl mit „Call on me“.

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Oh, wie furchtbar sie sind, diese peinlichen Momente im Leben. Alle glotzen, alle tuscheln und tratschen – und man wünscht sich nichts sehnlicher, als auf Pause drücken zu können und den Moment zurück zu spulen. Ach, hätte ich mich doch anders benommen. Hätte ich mich doch bloß unter Kontrolle gehabt. Hab‘ ich aber nicht. Und nun stehe ich da wie der letzte Idiot. Ich möchte sterben vor Scham. (Ach nee, lieber doch nicht. Ich kann mir die Inschrift auf dem Grabstein nämlich schon vorstellen: Hier liegt der schlechteste Tänzer der Welt/ die Lackschuh-Kotzerin/ der blamierte Romeo. Statt „Rest in Peace“ bedeutet RIP nun „Rest in Peinlichkeit“.)

Alte Steinzeitregel: Die Peinlichen werden zuerst gefressen

Peinlich wird es immer dann, wenn das Wunschbild, das wir anderen von uns präsentieren, und die Außenwahrnehmung auseinanderdriften. („Die Stimmung war so furchtbar traurig, also wollte ich etwas Gutes tun und habe einen Witz erzählt.“ – „Alter, das war ne Beerdigung!“)

Es geht also darum, etwas gesagt oder getan zu haben, was die Gesellschaft, die Gruppe, für unpassend hält und nun spürbar mit Geringschätzung quittiert. Die Folge: Beklemmendes Gefühl in der Brust, Tomatenkopf und der unmittelbare Wunsch, das nächste Erdloch zu besiedeln.

Hinter diesen Symptomen versteckt sich die Urangst, dass die anderen uns aus der Gruppe ausschließen könnten, weil wir uns gerade so „dämlich“ benommen haben. Für den Steinzeitmenschen bedeutete so ein Ausschluss den sicheren Tod. Und diese Angst scheint uns geblieben zu sein. Zwar müssen wir nicht fürchten, als Mittagessen für einen hungrigen Säbelzahntiger zu enden. Doch in einer auf perfekt getrimmten Welt fühlt sich ein Kratzer am sorgsam gepflegten Image manchmal ähnlich tödlich an.

Ich kann ein Lied davon singen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich gehörte zu den coolen Kids auf der Schule, mit festem Platz in der Raucherecke, mehr Place-to-be ging nicht. Bis ich es im Rahmen einer Castingshow ins Fernsehen geschafft habe. Aber natürlich nicht, weil meine gesanglichen Qualitäten so gut gewesen wären, wie ich es mir damals eingebildet habe. Tja, und dann geh mal am nächsten Tag in die Schule, wenn abends zuvor „Popstars“ lief.

Egal, wie wir es drehen: Sich blamiert zu haben, fühlt sich schrecklich an.

Es gibt allerdings ein paar Gedanken, die’s uns leichter machen können, damit umzugehen.

Blamagen können helfen, unsere Lage zu klären

Manchmal sabotieren wir unbewusst Situationen, in denen wir uns nicht wohlfühlen. Vielleicht findet Anna ihren Chef ja tatsächlich zum Kotzen, aber das dürfte sie ihm natürlich niemals ins Gesicht sagen. Stattdessen betrinkt sie sich nun auf der Weihnachtsfeier, bis sich ihre Gefühle in einem ziemlich unappetitlichen Schwall Anverdautem manifestiert haben. Oder sie wollte einfach nur besonders locker rüberkommen, weil sie sonst so furchtbar schüchtern ist, und hat sich deswegen Mut angetrunken.

Will sagen: Ab und zu lohnt es sich, die Umstände einer Blamage genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie könnten Hinweise auf tiefergehende Bedürfnisse geben.

Christian Saehrendt, Historiker und Autor des Buches „Blamage! Geschichte der Peinlichkeit“ geht sogar noch weiter. Ihm zufolge helfen Blamagen nicht nur dabei, die eigene Lage auszuloten, sondern motivieren uns aktiv, sie zu verbessern. „Peinliche Erlebnisse sorgen dafür, dass wir an uns arbeiten“, sagt er. „Sie führen dazu, dass ich mein Wunschbild besser mit meinem Realbild koordiniere. Nur so werden die Menschen wirklich authentisch.“

„Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt“

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Blamagen zeugen von Mut

Klaus hat sich also vor der Aerobic-Blondine (und dem kompletten Kurs) blamiert. Ätzend. Doch vor dieser Blamage stand ja erst mal der Mut, den er aufbringen musste, um die Frau überhaupt anzusprechen. Und mutig zu sein ist überhaupt nicht ätzend. Nur wer mutig ist, (er-)lebt.

Die ständige Angst, sich zu blamieren, führt dagegen automatisch zu Vermeidungsstrategien und damit zu Starre. Schlimmstenfalls geht Klaus jetzt gar nicht mehr zum Aerobic und eine Frau wird er sowieso nie wieder ansprechen. Stattdessen sitzt er nun Zuhause auf der Couch und zappt durchs Fernsehprogramm. Isst Chips dabei und kratzt sich im Schritt.

Blamagen machen sympathisch

Gibt es in Deinem Leben einen peinlichen Moment, der Dich auch nach Jahren verfolgt?

Von meinem Auftritt bei „Popstars“ ist heute nur noch eine Anekdote übriggeblieben, die ich gerne auf Partys erzähle, weil ich weiß, dass ich die Leute damit zum Lachen bringe. Da hält mich keiner für eine Idiotin. Da bin ich einfach nur die mit der lustigen Geschichte.

Und wenn ich dazu noch „Let’s get loud“ in meiner Quietsche-Version anstimme, kriege ich meist nicht nur Lacher, sondern sogar Applaus (und Bier). Nicht, weil ich inzwischen besser singen könnte. Sondern weil ich zeige, dass ich ein Mensch bin. Menschlich. Unvollkommen. Unmusikalisch. Verletzlich. Nahbar.

Richtig werten

Versteh mich nicht falsch. Das ist kein Plädoyer gegen das Schamgefühl an sich, denn das brauchen wir, damit unsere Gesellschaft funktioniert. Wenn es uns überhaupt nicht kratzt, wie andere unser Verhalten werten, dann gibt es auch keine Regeln mehr. Dann sind wir zurück noch vor der Steinzeit und ich ziehe meiner Freundin einfach die Keule über die Rübe, wenn ich sauer auf sie bin. Dann sind wir plötzlich alle nackt. Und bei „Popstars“ oder „DSDS“.

Zu einem gewissen Maß müssen wir uns einfach im Griff haben, damit wir überhaupt mit anderen zusammenleben können. Aber wir müssen die peinlichen Situationen nicht überbewerten.

Wenn Du magst, freue ich mich über Deinen Kommentar: Wann hast Du Dich das letzte Mal so richtig blamiert?

Mehr unter Wie man schmerzhafte Gefühle überlebt und unter Wie man den Kopf frei bekommt in 1 Minute sowie im myMONK-Buch Wie man Sorgen, Stress und Selbstzweifel loslässt.

Photo: Shame / Shutterstock