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Es folgt ein Gastbeitrag von Volker Kalmbacher. Über die Anwendung von Achtsamkeit zur Weiterentwicklung von Liebe und Sexualität in der intimen Beziehung.

In meiner Arbeit mit Paaren, die miteinander in einer intimen Beziehung leben, taucht irgendwann die Frage nach der Sexualität in der Partnerschaft auf. Manchmal sind es konkrete Probleme in der Sexualität, wie vorzeitiger Samenerguss, Lust- und Erregungsstörungen, Erektionsschwierigkeiten, Fragen zur Verhütung, die unmittelbar Anlass geben für die Beratung. In vielen Fällen sind es ganz andere Themen, welche als Belastung in der Partnerschaft wahrgenommen werden und den Grund für eine Beratung geben. Dann bleibt das Thema Sexualität zunächst im Hintergrund. Vielleicht fällt irgendwann – eher beiläufig – eine Bemerkung wie: ,Miteinander schlafen? Tun wir schon lange nicht mehr.‘

Kein Sex mehr, weil das Feuer aus ist?

Viele Paare haben nicht direkt ein Problem in der Sexualität – viele Paare haben das Problem, dass die sexuelle Begegnung nicht mehr stattfindet.

Manchmal ist es paradox: beide Beteiligten berichten von ihrer Sehnsucht nach mehr Nähe, Zärtlichkeit und erotischen Austausch. Trotzdem findet dieser Austausch nicht mehr statt. Irgendwann ist da etwas verloren gegangen, was vorher ganz interessant war – und es wurde nicht wiedergefunden.

Es mag gute Gründe geben, warum die sexuelle Begegnung nicht mehr stattfindet. Manche Gründe sind offensichtlich: Gewalt in der Beziehung, Untreue eines Partners, Alkoholprobleme sind solche Gründe. Wenn die Partnerschaft in der Krise steckt, ist vielfach verständlich, dass die beiden, die gerade miteinander streiten, sich auch sexuell voneinander distanzieren.

Immer wieder ist es aber so, dass ein keinen klaren Grund gibt für das ,Nicht-Leben‘ von partnerschaftlicher Sexualität. Gerade in langdauernden Beziehung ist es so, dass das Feuer der Begierde nicht mehr lichterloh brennt. Manchmal spreche ich davon, dass ,die Gnade der Hormone‘ irgendwann vorbei ist. Ich meine damit die ersten Monate von Verliebtheit – die Zeit, in der unser Körper in großen Mengen Hormone freisetzt, die uns zur sexuellen Begegnung motivieren. Da müssen wir nichts tun – dieses Feuer brennt ganz von alleine. Nach dieser Phase der Verliebtheit beginnt die Arbeit – die Beziehungsarbeit. Da geht es nun darum, Wege zu finden den anderen auch dann zu lieben und zu begehren, wenn der Blick nicht mehr durch die rosarote Brille gefärbt ist. Denn ohne diese Brille, sieht der andere tatsächlich nicht so blendend aus. Es fallen plötzlich Kleinigkeiten im Verhalten auf, die man früher nicht bemerken konnte. Der ,real existierende‘ Mensch wird sichtbar. Den wirklichen Menschen, der auch schwierige Aspekte haben wird, zu lieben – das ist eine Entscheidung, die man bewusst treffen muss – wenn man denn will. Stark reduziert ausgedrückt, ist Verliebtheit ein Zustand, der weitgehend unbewusst entsteht – eine automatische Reaktion. Liebe dagegen ist ein Zustand, der auf bewusster Mitarbeit, Motivation und Entscheidung beruht. Zugegeben: diese Ansicht unterscheidet sich deutlich von den romantischen Vorstellungen von Liebe, die unsere Gesellschaft prägen.

Bezogen auf die Sexualität bedeutet das: Paare können nicht davon ausgehen, dass die sexuelle Attraktion über einen langen Zeitraum stabil und unverändert bleibt. Es ist sicher, dass Schwankungen der Lust auftreten. Die Frage ist demnach nicht: Was kann ich tun, damit die Lust unverändert erhalten bleibt. Die Frage ist vielmehr: Wie geht man damit um, dass die Lust sich verändert? Was ist förderlich, um immer wieder aufeinander zuzugehen?

In der Sexualität gehen Menschen regelmässig ein großes Wagnis ein. Menschen ziehen sich voreinander aus, zeigen sich nackt und ungeschützt. Zu Beginn helfen die Hormone – sie trüben den Blick, stärken das Selbstbewusstsein. Vor allem steckt ja in jeder Begegnung der ,Zauber des Neubeginns‘.

Die Hoffnung, gerade in diesem Gegenüber den Menschen gefunden zu haben, der die eigenen Wunden heilt und intime Bedürfnisse erfüllt. Später zeigt sich, dass auch dieser Mensch nicht perfekt ist, sondern mit großer Präzision den Finger genau und immer wieder auf die wunde Stelle legt.

Die wunden Stellen sind Gefühlszustände, die ihren Ursprung in alten Erfahrungen haben. Erfahrungen, die weit vor der Zeit der aktuellen Beziehungssituation ihren Ursprung haben. Die frühen Bindungserfahrungen haben sich fest eingeprägt im Muster unserer neuronalen Organisation. Dem aktuellen Gegenüber fällt die undankbare Aufgabe zu, durch sein Tun die abgespeicherten Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster auszulösen.

Meist ist nicht wirklich zu erkennen, wodurch der eigene Zustand ausgelöst wurde. Das passiert weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Das rationales Selbst versucht nun Erklärung zu finden, für den eigenen Zustand – und findet diese Erklärung vorzugsweise im Verhalten des Gegenübers. Es entsteht die ,Du-bist-falsch-Trance‘ – die Vorstellung, der Andere sei verantwortlich dafür, dass es gerade so schwierig ist miteinander.

Sich nun nicht umzudrehen, sich zu bedecken, wegzulaufen – das ist die Herausforderung. Der alltägliche Kompromiss kann darin liegen, sich zwar nicht zu trennen, aber sich auch nicht mehr so ,nackt‘ zu zeigen. Dann liegt es nahe, auf die sexuelle Begegnung zu verzichten. Immerhin bleibt ja noch der gemeinsame Alltag. Leider verzichtet man damit auf die Stärkung der Beziehung durch die gemeinsam gelebte Sexualität und die nährenden Erfahrungen von Lust und Nähe.

Will man diesen Kompromiss nicht eingehen, gilt es Wege zu finden um gerade dann miteinander in Kontakt zu bleiben, wenn es schwierig ist. Die Methode der Achtsamkeit kann hierbei eine verlässliche Stütze sein.

Achtsamkeit für Paare

Ihren Ursprung hat die Methode der Achtsamkeit in der buddhistischen Psychologie. Trotz der Nähe hierzu, ist Achtsamkeit kein neuer Begriff für Meditation. Umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen von Neuro-biologen, -physiologen und -psychologen belegen eindrucksvoll den Nutzen dieser Methode.

Die Anwendung der Achtsamkeit in der Beratung von Paaren basiert auf dem Verständnis, dass durch achtsame Beobachtung des eigenen Erlebens, Fühlens und Handelns ein Zustand von Bewusstheit entsteht, aus dem heraus willentliche Entscheidungen für die Gestaltung der Beziehung zum Gegenüber überhaupt erst möglich werden. Durch diese vertiefende Form der Selbstwahrnehmung entsteht die Möglichkeit der Selbstregulation.

Durch das Training von Achtsamkeit ist es möglich, sich selbst empathisch wahrzunehmen und im Detail zu verstehen, wie die eigenen inneren Zustände entstehen und wodurch diese ausgelöst werden. Aus dieser Haltung heraus ist es gleichsam möglich, den Beziehungspartner neu zu entdecken, ihn so zu sehen, wie er (oder sie) tatsächlich ist. Die ,Du-bist-falsch-Trance‘ weicht dem Bedürfnis, den anderen ,wirklich‘ zu sehen und verstehen zu wollen. Wirklich sehen meint: Den anderen wahrnehmen ohne rosarote Brille und ohne die unbewussten Muster der eigenen Wahrnehmung.

Die Kehrseite der Methode? Es braucht Training! Der ,Achtsamkeitsmuskel‘ wächst durch regelmässiges und beharrliches Üben. Dazu gibt es umfassende Anleitungen, die in der Beratung weitergegeben werden, durch Kurse trainiert und vertieft werden können. Die Methode der Achtsamkeit beinhaltet die grundsätzliche Haltung des Beraters als Unterstützer für das Selbstmanagement des eigenen Zustands. Der Berater tritt nicht als Experte für die intime Beziehung auf und gibt keine Ratschläge für erfüllende Sexualität. Es wird auf das Aufstellen von Regeln für gegenseitige Wertschätzung verzichtet, sondern die Neugier geweckt auf den Menschen, mit dem man manchmal hadert, und den man eigentlich lieben möchte.

Achtsamkeit fördert die intime Beziehung, im Sinne von Intimität als ,einen Zustand tiefer Vertrautheit‘. Es entstehen Zustände von grundlegendem Verständnis füreinander mit der Chance dem anderen wahrlich zu begegnen. Und das ist natürlich sehr förderlich dafür, dass die sexuelle Begegnung wieder interessant und lebendig werden kann.

Text von und herzlichen Dank an: Volker Kalmbacher

 

Photo: Cia de Photo